Der heimatlose Musterknabe

Jeder große Spieler kommt irgendwann einmal dorthin zurück, wo er groß geworden ist. Andreas Ivanschitz hat bei Rapid seine sportliche Heimat verloren. Eine Rückblende.

„Meine Heimat ist dort, wo ich gerade lebe“, sagt Andreas Ivanschitz und rührt in seinem Tee. In der Konditorei Naglreiter in Eisenstadt ist an diesem Vormittag im Mai viel los. Der 26-jährige Fußballprofi bei Mainz 05 ist gern hier. Er verbringt in seiner burgenländischen Heimat nicht nur seinen Urlaub bei Eltern und Verwandten. Seine Frau Anja erwartet dieser Tage ihr zweites Kind. Es wird wie einst sein Vater in Eisenstadt zur Welt kommen.

Privat hat der Familienmensch Andreas Ivanschitz hier sein Zuhause. Obwohl er schon als 14-Jähriger weggegangen ist. „Ich hab halt gespielt und bin den Scouts aufgefallen“, erzählt er. Mit dreizehn trickste er bei seinem Klub Baumgarten bereits so gut, dass er den Talentesuchern aus Wien ins Auge sprang. Irgendwann hieß es: „Komm doch nach Wien, komm zu Rapid.“

Rapid Wien: Das ist, wovon tausende junge Burschen in Österreich träumen. Ivanschitz kam in ein Internat in Hietzing. „Fünf Minuten vom Hanappistadion entfernt“, erinnert er sich. Neben der Schule gab es nur eines: Fußball. „Entweder wir haben trainiert oder wir haben auf dem Asphaltplatz gespielt.“ Wir: Das war unter anderem auch György Garics. Die beiden wurden Freunde. Und die beiden verbindet bis heute vieles. Etwa gleichzeitig verließen sie Rapid. Garics zog es nach Italien, zuerst zu Napoli, dann zu Atalanta Bergamo. Und beide wurden von Teamchef Didi Constantini aussortiert.


Ein Debüt wird zum Fiasko. Aber zurück nach Hütteldorf: Bereits mit 14 trainierte Ivanschitz mit den Profis. Wenige Tage nach seinem 16. Geburtstag zog er erstmals das Trikot der Kampfmannschaft über. In der 63. Minute wurde er beim Spielstand von 1:1 eingewechselt.

Das Spiel gegen den Landesligisten wurde zum Fiasko. Rapid verlor das Elfmeterschießen 1:4. In Anbetracht der Blamage ging das Debüt des jungen Burgenländers unter. Auch in Anbetracht dessen, dass ein anderer Newcomer ein noch beeindruckenderes Erstlingswerk zustande brachte: Auch für den jungen Roman Wallner war es der erste Auftritt inmitten der Profis. Er dauerte um fünf Minuten länger als jener von Ivanschitz. Wallner wurde in der Pause eingewechselt und kassierte in der 77. Minute nach einem rüden Foul die Rote Karte.

2003 wurde Ivanschitz von den Fans zum „Rapidler des Jahres“ gewählt. Er wurde von den Anhängern verehrt, war der unumstrittene Star der Mannschaft. Zwei Jahre später führte er die Hütteldorfer zum Meistertitel. „Er hat nach einem Tor das Rapid-Logo geküsst“, erinnert man sich bei Rapid. Und im Jänner 2006 wechselte er zum Erzrivalen nach Salzburg. „Ivanschitz Judas“ hallte es aus dem Rapid-Sektor. Er habe des Geldes wegen seine Heimat verraten, sagen die Fans. Der einstige Sonnyboy war bei ihnen unten durch, wie wohl noch nie ein Rapid-Spieler zuvor.

Das letzte Mal besuchte Ivanschitz das Hanappistadion am 30. Mai 2007. Beim EM-Vorbereitungsspiel gegen Schottland wurde der Teamspieler vom Rapid-Anhang derart ausgebuht und angefeindet, dass selbst den Schotten Hören und Sehen verging.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2010)

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