Der Kampf dauert seit 100 Jahren

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Die Rivalität der beiden Glasgower Fußballclubs Celtic und Rangers spiegelt die Geschichte Schottlands wider: eine Geschichte von Katholiken versus Protestanten und von Republikanern versus Unionisten.

Ich bin ein Genießer von sportlicher Rivalität. Ich sage das mit einem leichten Gefühl der Scham, denn dieses Geständnis mag vielleicht ein wenig dekadent oder pervers erscheinen - aber es ist wahr. Ich liebe die spezielle Würze, die zu sportlichen Auseinandersetzungen hinzukommt, wenn wir wissen, dass die Anhänger der zwei rivalisierenden Seiten einander wirklich und aufrichtig hassen. Im Fußball, wenn Barca auf Real trifft, Deutschland auf Holland oder Argentinien auf England. Im Eishockey war USA gegen Russland für mich immer ein Höhepunkt der Olympischen Winterspiele. England gegen Australien im Cricket ist ein weiterer. Die Rivalitäten müssen nicht groß sein oder in den Massensportarten existieren, um mich zu interessieren. Eine meiner Lieblingsrivalitäten herrscht in der unbedeutenden Sportart Shinty. Hier gibt es einen klassischen Konflikt zwischen den kleinen Orten Newtonmore und Kingussie in den schottischen Highlands. Shinty ist ein uralter gälischer Sport, ähnlich dem Feldhockey, aber viel aggressiver, und es ist ein echter Dorfsport mit eingeschlagenen Zähnen und gebrochenen Beinen.

Jeden Samstag treffen einander Amateurspieler in den Bergschluchten des schottischen Hochlands im Schatten der weiten, grünen Berghänge auf Gemeindesportplätzen, ausgerüstet mit Holzschlägern und mit dem Ziel, den schweren Ball in einem hohen Tor zu versenken oder, wenn das nicht gelingt, im Gesicht eines Gegenspielers.

(Ein Shinty- Schlachtgesang enthält die Zeile: „Durch Shinty leben, durch Shinty sterben!") Newtonmore und Kingussie sind zwei kleine Orte im Bezirk Cairngorm. Sie liegen, glaube ich, nicht weiter als eine Meile auseinander und haben jeweils rund 1000 Einwohner. Aber die beiden Orte stellen die mächtigsten Teams in der Welt des Shinty. Sie sind Brasilien, sie sind Argentinien. Sie haben die meisten Turniere und Meisterschaften gewonnen, die es in ihrem Sport gibt. Aber keine noch so große Zahl an Trophäen kann ihrer Begierde, die andere Seite noch einmal zu besiegen, die Schärfe nehmen. Die Wände in den Pubs beider Orte sind gepflastert mit Fotos, Trophäen und Siegesparolen. Während einer Radreise in den Norden verbrachte ich kürzlich eine Nacht in Kingussie. Ich lauschte dem Zimmervermieter und seinen Geschichten von sportlichem Konflikt und Ruhm, die weit in die Vergangenheit zurückreichten. Ich fühlte mich wie ein Weinkenner, der über eine besonders seltene Sorte stolpert. In der feuchtkühlen Luft des Hochlandes konnte ich diese köstliche lokale Rivalität in ihrem eigenen Territorium genießen. Ich halte es für möglich, dass ich mich von Rivalität so angezogen fühle, weil ich Schotte bin. Was Chili für Mexiko bedeutet, ist für einen Schotten die Missgunst - sie definiert uns und würzt unser Leben.  Was Chili für Mexiko, ist für einen Schotten die Missgunst - sie definiert uns und würzt unser Leben. Vielleicht ist das der Grund, warum Schottland Schauplatz der bittersten, tiefsten und, ja, besten aller Sportrivalitäten ist. Sozusagen der Château Pétrus der Rivalität: jene zwischen den Glasgower Fußballteams von Celtic und Rangers. Dieser Kampf dauert seit mehr als einem Jahrhundert an und spaltet nicht nur die Stadt Glasgow, sondern auch den größten Teil des übrigen Schottland. Celtic und Rangers sind die beiden führenden Vereine in Schottland. Celtic wurde als Bubenklub für die Söhne von Einwanderern gegründet, die nach der Hungersnot in Irland nach Glasgow gekommen waren.

Das bedeutet, dass es vorwiegend ein katholischer Klub war. Die Rangers wurden ungefähr zur selben Zeit gegründet. Es war nicht unbedingt die Absicht, die Rangers als protestantischen Verein zu etablieren, aber mit der Zeit wurden sie der Klub der protestantischen Arbeiterklasse einer wachsenden Industriestadt.

Rivalität als gutes Geschäft. Katholiken waren im Westen Schottlands der Diskriminierung ausgesetzt, und deshalb wurde ihre Loyalität mit Celtic ein unverzichtbarer Teil ihrer Identität. Als in der Rezession der Wettbewerb um Arbeitsplätze und Ressourcen immer härter wurde, fühlte sich die protestantische Arbeiterklasse in ihren Vorrechten von der katholischen Minderheit bedroht, und ihre Verbundenheit mit den Rangers wurde ihr umso wichtiger. Die Fußballstadien von Ibrox und Parkhead boten zwei Gemeinschaften die Möglichkeit, ihre Träume, aber auch ihre Feindschaft und ihren Hass auszudrücken. Diese Rivalität verband sich sehr schnell mit Schottlands Liebe für Fußball und schuf für beide Vereine die Basis für ein lukratives Geschäft. In Schottland kennt man die beiden zusammen als „The Old Firm". Das lässt sich mit „Die alte Firma" oder „Das alte Geschäft" übersetzen und bezieht sich darauf, dass die beiden Vereine, obwohl sie einander hassen, voneinander wirtschaftlich abhängig sind. Man schätzt, dass sie zusammen im Jahr 120 Millionen Pfund an Einnahmen für die schottische Wirtschaft generieren. Sie haben Fans auf der ganzen Welt, an die sie ihre Trikots und andere Produkte verkaufen. Sie brauchen einander; sie brauchen den Hass, um zu überleben. Die Rivalität hat natürlich tiefe und hässliche konfessionelle Wurzeln, die über die Irische See nach Nordirland reichen. Viele der im 19. Jahrhundert nach Glasgow Eingewanderten kamen aus der Provinz Ulster.

Gleichzeitig stammte die protestantische Mehrheit in Nordirland von schottischen Siedlern ab, die im 17. und 18. Jahrhundert Irland kolonialisiert hatten. Die irische Bruchlinie wurde rasch zum entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Klubs. Auf der einen Seite Republikaner (Katholiken), auf der anderen Seite Unionisten (Protestanten). Die Mehrheit der Fans beider Vereine kommt aus Irland. Die gegenwärtigen Besitzer von Celtic Glasgow sind Iren. Viele schottische Celtic-Fans sehen sich selbst bis heute als Iren - obwohl sie in Schottland geboren wurden und aufgewachsen sind. Umgekehrt verstehen sich Rangers-Anhänger nicht als schottisch, sondern als britisch. Im Parkhead-Stadion, der Heimstätte von Celtic, wird regelmäßig die irische Fahne geschwenkt. Auf der anderen Seite der Stadt, im Ibrox-Stadium von Glasgow, sieht man den britischen Union Jack am häufigsten. Interessanterweise verwendet keine der beiden Seiten die schottische Fahne. Celtic-Fans halten zu Irland, und Rangers-Anhänger drücken für England die Daumen. Die Fans der originär schottischen „Tartan Army" halten in der Regel zu einem der kleineren Klubs aus dem übrigen Land. Das ist besonders pikant, werden doch die Spieler des schottischen Nationalteams traditionell fast ausschließlich von den beiden Klubs der „Old Firm" gestellt - schließlich haben sie die finanziellen Möglichkeiten, sich die besten Talente des schottischen Fußballs zu sichern.

Iren gegen Iren. In einem gewissen Sinn drückt die Teilung zwischen Protestanten und Katholiken eine tiefere historisch-linguistische Spaltung zwischen den Gälen, die einst die Küsten und Inseln Irlands sowie den Norden und Westen Schottlands bewohnten, und den englischsprachigen Sachsen oder „Sassenachs" aus, die sich in den fruchtbaren Landstrichen Südschottlands niedergelassen hatten. Die beiden Kräfte kämpften jahrhundertelang um diese Gebiete. Aber nach der Niederlage von Bonnie Prince Charlie im Jahr 1745 wandten sich die Gälen Schottlands einer strengen Version des calvinistischen Protestantismus zu.

Das bedeutet, dass die Inseln Lewis und Harris im äußersten Norden als letzte Hochburgen der schottisch-gälischen Sprache heute zu den glühendsten Anhängern der Rangers in Schottland zählen. Dass eine winzige linguistische Gemeinschaft von vielleicht 20.000 Menschen ihren schärfsten Hass nicht gegen die sie umgebenden Englischsprechenden richtet, sondern gegen die einzige Gruppe, mit der sie in ihrer eigenen Sprache sprechen könnte - die nordirischen Gälen -, ist eine niederschmetternde Tatsache. Natürlich haben die Bewohner von Lewis und Harris wenig Gelegenheit, zu einem Fußballmatch zu gehen, und im Zweifelsfall sind sie Shinty-Fans. Ich weiß es nicht, aber ich bin mir fast sicher, sie würden, wenn man sie fragte, entweder Kingussie oder Newtonmore unterstützen - auf der Grundlage, dass sie ein „Rangers-Team" sind. Das hat absolut nichts mit den tatsächlichen Umständen der beiden Klubs zu tun. Es hat allein damit zu tun, dass - gleichgültig, um welchen Konflikt wo auch immer in der Welt es sich handelt - Celtic- und Rangers-Fans immer alles tun werden, ihren Konflikt weiter anzuheizen.

Konflikt weiter anheizen. Als die IRA Unterstützung von arabischen Nationalisten wie den Palästinensern bekam, trugen einige Celtic-Fans aus Solidarität das Palästinensertuch. Sobald Rangers- Anhänger dieses neue Symbol sahen, begannen einige von ihnen, israelische Fahnen zu schwenken. Heute findet man die baskische Flagge im Parkhead-Stadion und die spanische Fahne in Ibrox. Rangers-Fans tragen oft Orange und unterstützen Holland (William von Oranien war der große protestantische König, der die Iren in der Schlacht von Boyne besiegte), und umgekehrt findet man Celtic-Fans in deutschen Farben. Ich persönlich bin in diesen Angelegenheiten neutral. Ich halte zu dem kleinen Verein „Patrick Thistle". (Unser Schlachtgesang: „Wir hassen die Burschen in königlichem Blau, wir hassen die Burschen in Smaragdgrün, so scheiß auf den Papst und scheiß auf die Queen.") Ich denke, um eine sportliche Rivalität richtig genießen zu können, ist es wichtig, Distanz zu ihr zu haben. Idealerweise sollte man die Leidenschaften mit objektiven Augen betrachten; ähnlich wie ein Voyeur bei einer Orgie. Richtig den Hass zu spüren, richtig darin einzutauchen - das ist es. Wie ein Weinkenner, der sich betrinkt. Es ist hässlich, unerfreulich, und man bekommt einen brummenden Schädel davon. Beim letzen „Old Firm"-Derby setzte es drei rote und 13 gelbe Karten. Die beiden Trainer gingen bei Spielende aufeinander los. Es gab zahlreiche Festnahmen, und die Polizei beklagte eine 80-prozentige Zunahme von häuslicher Gewalt und Be Bonnie Prince Charlie im Jahr 1745 wandten sich die Gälen Schottlands einer strengen Version des calvinistischen Protestantismus zu. Das bedeutet, dass die Inseln Lewis und Harris im äußersten Norden als letzte Hochburgen der schottisch-gälischen Sprache heute zu den glühendsten Anhängern der Rangers in Schottland zählen.

Dass eine winzige linguistische Gemeinschaft von vielleicht 20.000 Menschen ihren schärfsten Hass nicht gegen die sie umgebenden Englischsprechenden richtet, sondern gegen die einzige Gruppe, mit der sie in ihrer eigenen Sprache sprechen könnte - die nordirischen Gälen -, ist eine niederschmetternde Tatsache. Natürlich haben die Bewohner von Lewis und Harris wenig Gelegenheit, zu einem Fußballmatch zu gehen, und im Zweifelsfall sind sie Shinty-Fans. Ich weiß es nicht, aber ich bin mir fast sicher, sie würden, wenn man sie fragte, entweder Kingussie oder Newtonmore unterstützen - auf der Grundlage, dass sie ein „Rangers-Team" sind.

Das hat absolut nichts mit den tatsächlichen Umständen der beiden Klubs zu tun. Es hat allein damit zu tun, dass - gleichgültig, um welchen Konflikt wo auch immer in der Welt es sich handelt - Celtic- und Rangers-Fans immer alles tun werden, ihren Konflikt weiter anzuheizen. Konflikt weiter anheizen. Als die IRA Unterstützung von arabischen Nationalisten wie den Palästinensern bekam, trugen einige Celtic-Fans aus Solidarität das Palästinensertuch. Sobald Rangers- Anhänger dieses neue Symbol sahen, begannen einige von ihnen, israelische Fahnen zu schwenken. Heute findet man die baskische Flagge im Parkhead-Stadion und die spanische Fahne in Ibrox. Rangers-Fans tragen oft Orange und unterstützen Holland (William von Oranien war der große protestantische König, der die Iren in der Schlacht von Boyne besiegte), und umgekehrt findet man Celtic-Fans in deutschen Farben. Ich persönlich bin in diesen Angelegenheiten neutral. Ich halte zu dem kleinen Verein „Patrick Thistle". (Unser Schlachtgesang: „Wir hassen die Burschen in königlichem Blau, wir hassen die Burschen in Smaragdgrün, so scheiß auf den Papst und scheiß auf die Queen.") Ich denke, um eine sportliche Rivalität richtig genießen zu können, ist es wichtig, Distanz zu ihr zu haben. Idealerweise sollte man die Leidenschaften mit objektiven Augen betrachten; ähnlich wie ein Voyeur bei einer Orgie. Richtig den Hass zu spüren, richtig darin einzutauchen - das ist es. Wie ein Weinkenner, der sich betrinkt. Es ist hässlich, unerfreulich, und man bekommt einen brummenden Schädel davon. Beim letzen „Old Firm"-Derby setzte es drei rote und 13 gelbe Karten. Die beiden Trainer gingen bei Spielende aufeinander los. Es gab zahlreiche Festnahmen, und die Polizei beklagte eine 80-prozentige Zunahme von häuslicher Gewalt und Beschimpfungen nach einem Spiel Celtic gegen Rangers. Der schottische First Minister Alex Salmond berief eine Krisensitzung ein, um das Problem der Gewalt im Zusammenhang mit der „Old Firm" zu besprechen.

Wir haben jede Menge Schlagzeilen und Kommentare gesehen, die das alte Problem des Konfessionsstreits in Schottland beklagen. Die Wahrheit aber ist: Niemand wird etwas machen. Teilweise, weil die Rivalität gutes Geld produziert, und teilweise, weil - ähnlich wie beim Sadomasochismus - die meisten schottischen Männer diese Gewalt insgeheim genießen. Die Freude an dem Konflikt ist vergleichbar mit der Freude, auf eine Safari zu gehen, um wilde Tiere zu beobachten, oder Tornados nachzujagen oder die erschreckenden Abhänge steiler Berge anzustarren. Es ist der Kitzel, der in Wildheit, dem Irrationalen und dem Angsteinflößenden seinen Ursprung hat. Die schottische Identität definiert sich durch die Kluft zwischen dem zivilisierten Kenner nach außen und dem wilden Tier nach innen. Das ist die sogenannte „Caledonian Antisyzygy" - die Polarität, die wir in klassischen Werken der schottischen Literatur finden, am bekanntesten wohl in Robert Louis Stevensons „Dr. Jekyll and Mr. Hyde". Der schottische Mann ist oberflächlich ein zivilisierter und umsichtiger Christ, aber im Kessel eines Fußballstadions oder eines Shinty-Matches, nach einigen Drinks, entlädt sich unser Zorn - wir werden zu Ungeheuern, böse, flegelhaft, eklig. Der große Glasgower Schriftsteller Alasdair Gray beschrieb Schottland einmal nicht als ein Land, sondern als einen Archipel. Er meinte damit, dass Schottland aus vielen kleinen Inseln der Identität bestehe: katholisch/protestantisch, Glasgow/ Edinburgh, Gälisch/Sassenach, Dorf/Stadt etc. Jede Insel des Selbst bestimmt durch ein Meer von Missgunst und Hass. Doch es gibt eine Sache, die Schottlands Fussballfans verbindet, ein überwältigendes Gefühl, das kein Schotte verbergen kann: Jedesmal, wenn ein deutscher Fußballer einen entscheidenden Elfmeter gegen England verwandelt, dann hüpfen alle schottischen Herzen - die Herzen von Celtic, Rangers, Edinburgh, Glasgow, Kingussie und Newtonmore -, und alle singen: „Steh auf, wenn du England hasst, steh auf, wenn du England hasst." Außer mir natürlich. Ich bin neutral in diesen Angelegenheiten.

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