Fussball: Ein historischer Sieg für Amerikanisch-Samoa

(c) AP (Brian Vitolio)
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Auf Samoa spielten vier der schlechtesten Mannschaften der Fifa-Rangliste ein Qualifikationsturnier. Samoa gewann es, Amerikanisch-Samoa überwand das Trauma vom 0:31 gegen Australien.

Es ist Ende November, und wir befinden uns am „Ende der Welt“– im Südpazifik. Es geht um die Teilnahme an der Fußball WM 2014 in Brasilien. In Apia, Samoa, findet dafür die erste Runde statt. Die pazifischen Fußballteams sind nicht gerade für ihre Talente und zahlreichen Gewinne bekannt, aber dies macht das Turnier interessant, in dem sich vier der schlechtesten Nationalmannschaften der Welt duellieren. Gastgeber Samoa und Nachbar Amerikanisch-Samoa teilen sich den 204. und letzten Tabellenplatz der Weltrangliste, das Team Tonga befindet sich zwei Plätze davor. Als Favorit des Turniers gelten die Cookinseln, die Nummer 196 der Fifa-Rangliste. Der Sieger des Turniers erhält einen Startplatz für die zweite Qualifikationsrunde, die im Juni 2012 auf den Fidschi-Inseln ausgetragen wird.

Die Vorbereitungsphase der vier Teams war hart, das Wetter im Pazifik bietet nicht dieselben Konditionen wie in Europa. Es hat in Samoa täglich zwischen 28 und 32 Grad Celsius, die Luftfeuchtigkeit beträgt mehr als 90 Prozent. Im Vorfeld des Turniers sprach ich mit den jeweiligen Trainern, auch für sie ist das Team der Cookinseln klarer Favorit. „Samoa möchte als Gastgeber zumindest den zweiten Platz holen“, sagt Toetu Petana, Präsident des Fußballverbandes Samoa. „Sowohl Amerikanisch-Samoa als auch Tonga würden sich jeweils über einen Sieg freuen, selbst ein Unentschieden wäre bereits eine gute Leistung für die Teams“, meint Thomas Rongen, der US-amerikanische Coach von Amerikanisch-Samoa, der pausenlos an seiner filterlosen Camel zieht und mir den Rauch ins Gesicht bläst.

Grund für dieses bescheidene Ziel ist, dass es Amerikanisch-Samoa bisher nie gelungen ist, ein Fußballspiel zu gewinnen. Sie ist somit die einzige Fußballnationalmannschaft, die seit Aufnahme in die Fifa weder Sieg noch Unentschieden feiern durfte.

Bei einem Gespräch mit dem Nationaltorwart des Teams erzählte mir Nicky Salapu von dem Qualifikationsspiel, das vor einigen Jahren gegen Australien stattfand. Es ging als Weltrekord in die Geschichte ein, 0:31 verlor das Team. Ich frage ihn daher nach seiner Motivation, weiterhin im Tor zu stehen. „Ich denke mir bei jedem Spiel, heute können wir gewinnen“, antwortet Salapu. Ich frage weiter nach seinem Vorbild. Daraufhin lächelt er und sagt ganz stolz: „Oliver Kahn! Nein, nicht weil du Deutscher bist, er war einfach der beste Torwart der Welt.“

Eine weitere Kuriosität, die das Team Amerikanisch-Samoa betrifft: Weltweit ist sie die einzige Nationalmannschaft, in der ein Transgender (ähnlich wie Transsexueller) als Spieler aktiv ist. Die Akzeptanz im Team dafür ist vorhanden, denn in Samoa sind Transgender nichts Außergewöhnliches – hingegen ist Homosexualität strafbar.


22.November, 1. Spieltag: Ankick zum Spiel zwischen Amerikanisch-Samoa und Tonga; es ist 15 Uhr. Der Himmel ist klar, die Hitze jedoch nahezu unerträglich. Im Joseph-Sepp-Blatter-Stadion in Apia befinden sich 70 Zuschauer, die Nationalhymnen ertönen viel zu laut über die Boxen des Verbandgebäudes. Kurz vor Ankick zwinkere ich dem 25-jährigen Chris Williams zu, Coach von Tonga und jüngster Nationaltrainer aller Zeiten. Er sieht zu mir herüber und sagt: „Wir werden dieses Spiel gewinnen.“

Es gibt kaum Torchancen, das Niveau ist äußert schwach. Erst in der 36. Minute folgt der erste Torschuss, kurz darauf erzielt Ramin Ott das 1:0 für Amerikanisch-Samoa. Die Leute im Stadion können es nicht glauben, der Jubel der Spieler ist mitreißend, so etwas habe ich noch nie erlebt. Die Freude ist riesengroß. In beiden Teams spielen nur Amateure, keine Profis. Es geht weiter: Erneuter Torschuss für Tonga, der Tormann hält, zweiter Schuss, wieder gehalten. Amerikanisch-Samoa kontert, greift an und erzielt ein 2:0 – unfassbar! Nun macht Tonga Druck und holt auf, es steht 1:2. Es gibt fünf Minuten Nachspielzeit. Tonga trifft bloß die Torstange, der Trainer ist stocksauer. Letzter Schuss, den der Tormann wieder hält, und schon ist Abpfiff. Amerikanisch-Samoa gewinnt zum ersten Mal in der Geschichte ein Fußballspiel. Die Spieler sind außer sich, es folgt eine Abschlusszeremonie mit wildem Geschrei und Bewegungen von Kriegern – „Siva Tao“ heißt das Ritual. Viele der Spieler haben Tränen in den Augen, sie können es nicht glauben und rufen: „Wir haben heute Geschichte geschrieben!“ Ich rede mit dem Torwart, der immer noch nicht fassen kann, dass er so viele Bälle gehalten hat. Plötzlich unterbricht er das Gespräch und läuft zu seiner Familie.

Es ist 17.30Uhr, das zweite Spiel beginnt, Samoa trifft auf das Team der Cookinseln. Die Spieler sind stark, es besteht ein deutlicher Niveauunterschied zu dem Duell, das davor stattgefunden hat. Samoa macht das erste Tor, kurz darauf gleichen die Cookinseln aus. Nur wenige Minuten später steht es 2:1 für Samoa, Lukie Gosche konnte beide Treffer erzielen. Somit hätte er gute Chancen, Rekordtorschütze für das Nationalteam zu werden. 86.Minute: Elfmeter für Samoa. Gosche verschießt den Ball. Das 2:2 folgt jedoch kurz darauf, in der 88.Minute. Der Trainer explodiert und schreit: „Man hätte gewinnen können!“ Just in diesem Moment passiert es: Albert Bell trifft in der 95.Minute zum Siegestreffer, 3:2 gewinnt das Team aus Samoa! Die 500 Zuschauer singen und feiern. Ich stehe neben dem Präsidenten und gratuliere ihm: „Was habe ich gesagt, ihr werdet gewinnen.“ Er nickt zufrieden und lächelt mir zu.


24.November, 2. Spieltag: Amerikanisch-Samoa trifft auf die Cookinseln. Die meisten prognostizieren ein zweistelliges Ergebnis zugunsten der Cookinseln. Amerikanisch-Samoa geht vor 27 Zuschauern überraschend in Führung. Selbst die Verantwortlichen der Fifa können es kaum glauben. Kurz nach der Halbzeit passiert jedoch etwas Tragisches, ein Verteidiger der Samoaner schießt ein Eigentor, 1:1. Amerikanisch-Samoa hat noch einige Chancen, jedoch reicht es nicht mehr für einen zweiten Sieg. Die Spieler sind dennoch zufrieden und verlassen nach Schlusspfiff das Spielfeld. „Siva Tao“ gibt es diesmal nicht.

Im zweiten Spiel des Tages trifft mit 30-minütiger Verspätung (der Tongaische Bus hatte eine Panne) Gastgeber Samoa auf das Königreich Tonga. Samoa vergibt mehr als zehn Chancen. In der 44.Minute: Elfmeter für Samoa. Die Nummer 19 trifft, es steht 1:0 für die Gastgeber, die 350 Zuschauer jubeln.

Kurz vor Spielende gleicht Tonga zum 1:1 aus. Das Spiel verläuft schnell, der Ball geht hin und her. Samoa trifft zweimal den Pfosten, Tonga einmal die Latte. Es bleibt beim Unentschieden. Sowohl Tonga als auch die Cookinseln haben somit keine Chance mehr auf den Turniersieg. Ich frage beim Verband an, ob es möglich wäre, die Spiele am Samstag zu tauschen (weil es auch für die Dramaturgie meines Berichts besser wäre). Der Verantwortliche der Fifa sendet eine Anfrage, am nächsten Tag bekommen wir positive Antwort. Das Spitzenspiel um den Turniersieg findet somit nun als zweites Spiel am Samstag statt.

26.November, 3.Spieltag: Tonga trifft auf die Cookinseln. Die beiden Teams können nicht mehr gewinnen, geben trotzdem alles. Das Spiel beginnt bei strömendem Regen, der Platz ist kaum bespielbar. Lange Zeit nur ein Hin und Her auf dem nassen Rasen. Tonga schießt vermeintlich das 1:0, doch der Ball bleibt im hohen Wasser auf der Linie stehen. Kurz darauf erneuter Angriff, der Stürmer erzielt das 1:0 für Tonga in der 27.Minute. In der 35.Minute gleichen die Cookinseln aus. Wenige Minuten vor dem Schlusspfiff gelingt Tonga dann aber doch der verdiente Siegestreffer zum 2:1.

17.30h: Anpfiff zum alles entscheidenden Spiel um die Qualifikation für die zweite Runde im Juni. Amerikanisch-Samoa trifft auf Samoa. Samoa bestimmt von Beginn an das Spiel, hat viele Chancen, doch trifft den Ball nicht ins Tor.

Es ist das spannendste Spiel des Turniers, und die rund 1000 Zuseher sind begeistert und feuern ihre Teams an. Samoa reicht ein Unentschieden, Amerikanisch-Samoa benötigt einen Sieg. Bei starkem Regen ist Samoa stärker und hat unzählige Chancen. Kurz vor Ende trifft Samoa dann auch zum 1:0. Weder die Fans noch die Spieler sind zu halten, viele laufen aus lauter Freude auf das Feld. Minuten später geht es weiter. Samoa gewinnt mit 1:0 und qualifiziert sich für die zweite Runde auf den Fidschi-Inseln. Alle Spieler liegen auf dem Boden, können es kaum fassen. Jeder, wirklich jeder hat Tränen in den Augen. Es wird noch bis spät in die Morgenstunden gefeiert. Es ist ein historisches Ereignis für Samoa.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2011)

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