Rassismus: England hat ein Problem

Rassismus England Problem
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John Terry ist nicht mehr Kapitän der "Three Lions". Er soll einen Gegenspieler beschimpft haben. Mit Terry stehen auch Englands Fußball und Gesellschaft unter Verdacht.

London. Natürlich sind es in erster Linie seine eigenen Interessen, die Sir Alex Ferguson verfolgt. Diesmal aber passen sie sogar in den Mainstream. Es sei an der Zeit, sagte der Manchester-United-Trainer, eine Hardliner-Position beim Thema Rassismus im Sport einzunehmen. Und er wolle sich gar nicht vorstellen, dass Fußballfelder wieder Spielplätze für rassistische Äußerungen werden. „Ich kann nicht verstehen, woher das kommt“, sagte Ferguson. Schließlich habe der Sport in den vergangenen 20 Jahren erfolgreich gegengesteuert.

Ferguson münzte seine Aussage auf den nächsten Gegner seiner Mannschaft. Am Samstag trifft Manchester United auf Liverpool. Es ist die erste Begegnung der Klubs, nachdem Liverpools Stürmer Luis Suarez eine Acht-Spiele-Sperre verbüßt hat. Der Uruguayer hatte im Oktober United-Stürmer Patrice Evra mit rassistischen Äußerungen beschimpft.

Fergusons Kommentar fällt genau in die Zeit, in der ein anderes Rassismus-Streitthema diskutiert wird: John Terry wurde wieder einmal seines Amtes als englischer Teamkapitän enthoben. Und wieder einmal wegen unrühmlicher Anschuldigungen. „Wir haben diskutiert und zuletzt beschlossen, dass es im Interesse aller ist, John die Verantwortung als Kapitän zu entziehen.“ Das sagte David Bernstein, Vorsitzender des englischen Fußballverbands Football Association (FA), vergangene Woche. Vier Jahre, nachdem Terry zum ersten Mal Kapitän geworden war, nahm man ihm 2010 das Amt, weil er eine Affäre mit der Freundin eines Mitspielers gehabt haben soll. Diesmal wird er beschuldigt, er habe im Oktober seinen Gegenspieler Anton Ferdinand rassistisch beschimpft: Beim Spiel zwischen Chelsea und Queens Park Rangers soll er Ferdinand „schwarze Fotze“ geschimpft haben. Terry leugnet das nicht, bestreitet jedoch eine Beschimpfung. Er habe Ferdinand bloß versichert: „Ich habe dich nicht schwarze Fotze genannt.“ Was Terry vor dem Schimpfwort gesagt hat, ist über die TV-Bilder nicht abzulesen, da in dem entscheidenden Moment ein Spieler durch das Bild läuft.

Prozess auf 9. Juli verschoben

Da sich der ausstehende Gerichtsprozess in der Causa Terry/Ferdinand kürzlich von Februar auf Juli verschoben hat, beschloss die FA, Terry als Englands Spielführer bei der EM in diesem Sommer zu opfern. Denn der Verband hat Erklärungsnotstand. In England, sowohl im Fußball als auch in der Gesellschaft, häufen sich Zwischenfälle mit rassistischem Hintergrund. Dabei ist Englands Rechtssystem auf einen Kampf gegen Rassismus vorbereitet. Die Umsetzung hingegen lässt zu wünschen übrig.

Als etwa der FC Liverpool Anfang Januar im Pokal auf den drittklassigen Klub Oldham Athletic traf, brach Oldhams Tom Adeyemi plötzlich in Tränen aus. Ein Fan von Liverpool soll den Verteidiger als „schwarzen Bastard“ diffamiert haben. Ex-Teamspieler Stan Collymore fühlte sich rassistisch über Twitter beleidigt, und erstattete Anzeige. Die Fälle häufen sich. Also musste die FA handeln. Dabei ist Terrys Schuld bisher nicht bewiesen. Chelseas Trainer André Villas-Boas hält daher den Schritt für falsch. Für Chelsea werde Terry weiterhin als Kapitän auflaufen. Allen Anschuldigungen und früheren Affären zum Trotz. Auch für das englische Team wird Terry weiterhin spielen dürfen. „Das ist halbherzig“, kritisierte der einstige Nationalspieler Gary Neville im „Daily Mail“. Wenn die FA ihn nicht mehr haben wolle, dürfe er gar nicht spielen.

Überhaupt scheine Terry ein Bauernopfer zu sein, durch das die FA ihre Opposition gegen Rassismus demonstrieren will. Denn rassistische Beschimpfungen sind in England eine Straftat, Rassismus in den Fankurven, auf dem Feld und außerhalb der Stadien aber kaum ungewöhnlich. Anfang des Jahres wurden zwei Engländer erst nach 18 Jahren für den Mord am damals 18-jährigen dunkelhäutigen Stephen Lawrence verurteilt. Das Verfahren hatte so lange gedauert, weil in der Polizei die Ermittlungen gezielt zurückgehalten wurden. Auch nimmt die Polizei übermäßig häufig dunkelhäutige Menschen fest, wenn Verdacht auf eine Straftat besteht. Eine Umfrage der Zeitung „Observer“ und des Thinktanks „British Future“ ergab, dass die Mehrheit der Briten findet, Immigranten würden ihnen Wohnraum und Arbeit wegnehmen.

Gerrard könnte Terry beerben

Ob John Terry tatsächlich Rassist ist, wurde in der Debatte um die Kapitänsbinde unter Fans mittlerweile nebensächlich. Terry bekräftigte, weiter für England spielen zu wollen. Wer ihm als Kapitän nachfolgt, ist aber offen. Favorit ist Steven Gerrard. Der müsste dann auch mithelfen, das angekratzte Image von Englands Fußball zu retten. Gerrard könnte gleich in Liverpool anfangen. Dort steht er seit 14 Jahren unter Vertrag.

Auf einen Blick

John Terry (* 7. Dezember 1980 in London) verlor das Kapitänsamt im englischen Fußballteam. Dem Chelsea-Verteidiger wird vorgeworfen, einen Gegenspieler der Queen's Park Rangers rassistisch beschimpft zu haben. Terry war schon mehrmals in Skandale verwickelt, etwa 2009, als er eine Affäre mit der Freundin eines Teamkollegen hatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2012)

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