Die internationale Kritik am Umgang mit Oppositionellen wird immer lauter. Die deutsche Regierung hat deshalb angekündigt, den Spielen in Kiew, Charkow, Donezk oder Lemberg fernzubleiben.
Wien. Die Fußball-Europameisterschaft, die am 8. Juni in Polen und der Ukraine angepfiffen werden soll, ist zum politischen Zankapfel geworden: Der Grund sind vor allem Menschenrechtsverletzungen, wie etwa das Vorgehen gegen Oppositionsführerin Julia Timoschenko. Sie wurde in einem als politisch eingestuften Prozess zu sieben Jahren Haft verurteilt und im Gefängnis mutmaßlich misshandelt.
Die deutsche Regierung hat deshalb angekündigt, den Spielen in Kiew, Charkow, Donezk oder Lemberg fernzubleiben, die Euro soll boykottiert werden. Bundespräsident Joachim Gauck hat mit der Absage seines geplanten Treffens mit seinem ukrainischen Kollegen den Anfang gemacht, auch Angela Merkel denkt laut über ein Fernbleiben nach. Die fußballbegeisterte Kanzlerin macht eine Reise davon abhängig, ob sich die Situation der schwer kranken Timoschenko verbessert.
Was von Deutschland ausging, hat sich europaweit ausgebreitet: EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso wird der Ukraine nicht seine Aufwartung machen, in Italien wird die Forderung nach einem EM-Boykott unterstützt. Das ukrainische Außenministerium tobt: „Da werden Methoden des Kalten Kriegs wiederbelebt.“
Die Rute ins Fenster gestellt
Der Forderung, die Europameisterschaft in ein anderes Land zu verlegen, erteilten am Dienstag Sportfunktionäre allerdings eine Absage. Turnierdirektor Martin Kallen, bereits bei der Euro 2008 im Amt, geht davon aus, dass die EM planmäßig über die Bühne gehen wird, stellt dem Veranstalter aber auch die Rute ins Fenster: „Wenn die Sicherheit nicht gewährleistet ist, dann würde das Turnier nicht durchgeführt werden. Wir organisieren Fußballfeste – und nichts anderes.“ Sollte die Situation in der Ukraine eskalieren, „dann müsste man an eine Verschiebung der EM denken“.
Die in der Ukraine geplanten Spiele an einen anderen Ort zu verlegen sei aus organisatorischen Gründen nicht mehr machbar. „Die Forderung zeugt von großer internationalen Respekt- und Instinktlosigkeit, weil sie über die Köpfe selbst des Mitgastgeberlandes Polen, aber auch der anderen europäischen Nationen und des Veranstalters Uefa hinweg erhoben wird“, sagt Thomas Bach, Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees und Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes.
Ähnliche Bedenken hat auch Theo Zwanziger, der ehemalige DFB-Präsident und Mitglied im Exekutivkomitee der Uefa. Aber er ermuntert die deutschen Spieler, sich zu den Menschenrechtsverletzungen zu äußern: „Wir treten für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ein. Und dann müssen wir das überall tun, wo wir hingehen.“ Bayern-München-Boss Uli Hoeneß stößt ins selbe Horn. Die Nationalspieler sollten ihre Solidarität mit ukrainischen Regimekritikern bekunden. „Uefa und DFB sollten bei jeder Gelegenheit öffentlich darauf hinweisen, dass die Haftbedingungen von Frau Timoschenko nicht akzeptabel sind. Ein sportlicher Boykott bringt nichts.“
In Österreich sind die Ukrainer willkommen: Der EM-Kogastgeber wird am 25.Mai in Walchsee seine Trainingszelte aufschlagen und bis 6.Juni bleiben. Geplant sind zwei Länderspiele, eines gegen Estland in Kufstein und eines gegen Österreich. Am 1.Juni spielt das ÖFB-Team Sparringpartner in Innsbruck. „Das ist eine sportliche, keine politische Veranstaltung“, meint ÖFB-Kommunikationsdirektor Wolfgang Gramann. „Sport soll Sport bleiben, wir brauchen diese Spiele zur Vorbereitung auf die WM-Qualifikation. Für uns besteht kein Handlungsbedarf.“
Darabos will „Zeichen setzen“
Norbert Darabos, Sport- und Verteidigungsminister, sieht allerdings schon einen gewissen Handlungsbedarf. Er will „ein Zeichen setzen“ – und wird zum Ukraine-Länderspiel nicht nach Innsbruck reisen. Reisen zur Europameisterschaft waren ohnedies keine geplant.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2012)