Hickersberger: "Man hat mich für blöd verkauft"

Josef Hickersberger, 67, genießt den Ruhestand, Fußball konsumiert er als Liebhaber des Sports. „Barcelona und Bayern verfolge ich mit großer Freude.
Josef Hickersberger, 67, genießt den Ruhestand, Fußball konsumiert er als Liebhaber des Sports. „Barcelona und Bayern verfolge ich mit großer Freude.(c) APA/ROBERT JAEGER
  • Drucken

Josef Hickersberger erinnert sich an die Emotionen der Heim-EM 2008. Der 67-Jährige äußert Sorgen, weckt Hoffnungen und kritisiert den ÖFB in der Teamchef-Frage.

Sie sind seit über zweieinhalb Jahren im Fußballruhestand. Fehlt Ihnen etwas?

Josef Hickersberger: Nein, es hat seit meinem letzten Engagement in den Vereinigten Arabischen Emiraten 2013 nicht ein einziges Mal gekribbelt. Ich bekam noch Angebote, das letzte erst vor wenigen Wochen, aber nichts davon hat mich gereizt, oft auch aus Sicherheitsgründen. Ägypten ist derzeit kein Land, in dem ich arbeiten möchte, dasselbe gilt für Algerien.


Ein Indiz dafür, dass Trainer kein Ablaufdatum haben?

Man kann sich selbst eines verpassen. Es gibt ältere Kollegen, die noch aktiv sind, aber irgendwann muss Schluss sein. Ich hatte das Glück, bis 65 auf dem Platz stehen zu können und zu dürfen. Jetzt genieße ich das Leben, ohne für den Fußball arbeiten zu müssen.


Wie meinen Sie das?

Ich kann es mir erlauben, Spiele anzuschauen, die ich wirklich sehen will. Ich muss nicht mehr den kommenden Gegner studieren, obwohl er mich im Grunde nur beruflich interessiert.


Was bereitet Ihnen sonst noch Freude?

Golf ist noch immer eine große Leidenschaft, obwohl es mir nicht mehr so viel Spaß bereitet wie früher. Mit abnehmender körperlicher Flexibilität verliert man an Schlagweite. Das Leistungsdenken ist also schon noch da.


Lassen Sie uns über die Nationalmannschaft sprechen. Viele sehen in der aktuellen die beste der jüngeren Vergangenheit. Stimmen Sie zu?

Absolut. Teamchef Marcel Koller hat ein funktionierendes Team mit Zukunft geformt. Österreich verfügt mit David Alaba über einen Weltklassespieler, im Angriff agiert Marko Arnautović in der Form seines Lebens. Ich habe einige Spiele von Stoke City gesehen, Arnautović ist wirklich torgefährlicher denn je. Dann gibt es Junuzović, Fuchs, Janko, Baumgartlinger oder Dragović, diese Liste ließe sich noch lang fortführen. Es ist schon unglaublich, über welches Potenzial diese Mannschaft verfügt.


Wozu wird dieses Potenzial diesen Sommer reichen?

Ich erwarte das Erreichen des Achtelfinals, zutrauen tue ich der Mannschaft sogar das Viertelfinale. Zu den acht besten Teams zu gehören wäre sensationell. Darüber hinaus zu spekulieren, wäre nicht seriös und verkennt die Qualitäten anderer Mannschaften.


Haben Sie denn überhaupt Zweifel an einer erfolgreichen EM?

Meine einzige Sorge ist der Gesundheitszustand der Spieler. Wir haben eine eingespielte Mannschaft. Ob aber Alternativen auf Anhieb funktionieren, weiß man nie.


Bei der Heim-EM 2008 waren die Voraussetzungen ganz andere.

Auch meine Mannschaft hat funktioniert, aber wir hatten viel weniger individiuelle wie kollektive Qualität. Das beste Beispiel ist Christian Fuchs: Er hat damals bei Mattersburg gegen den Abstieg gespielt, heute steht er beim englischen Tabellenführer unter Vertrag. Mein Team war defensiv ziemlich stabil, es hat wenig zugelassen, war in der Chancenauswertung aber einfach nicht gut genug. Im Nachhinein traue ich mich zu sagen: Mit einem Janko in der Form von 2009 (39 Bundesligatore für Salzburg, Anm.), hätten wir das Viertelfinale gepackt.


Dieses Vorhaben scheiterte letztlich am 0:1 gegen Deutschland. Haben Sie im Vorfeld selbst noch an den Aufstieg geglaubt?

Man schließt so etwas nicht völlig aus, aber fest daran glauben? Dafür bin ich zu sehr Realist. Ich wusste, wie schwierig es ist, gegen Deutschland zu gewinnen. Noch dazu in einer Situation, in der wir ungeheuren Druck hatten.


Was verbinden Sie rückblickend mit der Heim-EM? Tore, Stolz, Enttäuschungen?

Außergewöhnliche Emotionen. Es war wirklich zu spüren, welche Stimmung die österreichischen Fans erzeugt haben. Ich werde nie vergessen, als wir zweieinhalb Stunden vor dem Anpfiff des ersten Spiels gegen Kroatien mit dem Bus durch rot-weiß-rote Fahnen schwingende Menschenmengen zum Happel-Stadion gefahren sind. Das war surreal.


Der ÖFB möchte die Teamchef-Frage noch vor der Europameisterschaft geklärt wissen. Ein Schuss ins eigene Knie?

Ich verstehe nicht, warum der Verband auf Marcel Koller vor der EM durch dieses Vorgehen Druck ausübt. Das hat der ÖFB 2008 auch schon bei mir versucht. Man hat mir vor der EM eine Vertragsverlängerung angeboten – für den Fall, dass wir eine gute EM spielen. Nur für diesen Fall. Sollten wir keine gute EM spielen, wäre der Vertrag null und nichtig gewesen. Das war das Angebot.


Und wie haben Sie reagiert?

Es hat Klick gemacht, ich wollte nur meine Ruhe haben. Für mich war das ein No-go. Wenn ich eine schlechte EM spiele, dann stehe ich ohne Vertrag da. Aber wenn ich eine gute EM spiele, wir ins Viertelfinale kommen und ich vorher einen Vertrag unterschrieben habe, will ich ihn doch gar nicht mehr. Wenn ich heute darüber nachdenke, regt es mich immer noch auf. Man hat mich – ich will es nicht anders formulieren – eigentlich für blöd verkauft.


Ähnliche Gedanken hegt womöglich auch Marcel Koller.

Marcel Koller braucht jetzt keinen neuen ÖFB-Vertrag zu unterschreiben, er hat alle Zeit der Welt. Und wenn sich Koller noch einmal für Österreich entscheiden sollte, dann müssen wir dankbar sein. (Anmerkung: Marcel Koller hat am Dienstag seine Vertragsverlängerung bis 2018 bekanntgegeben.)


Die EM wird von Terrorangst begleitet werden. Haben Sie große Bedenken?

Gibt es noch Sicherheit? Ich will bei Gott nicht den Teufel an die Wand malen, aber: Es gibt Horrorszenarien, über die ich gar nicht nachdenken möchte, weil sie mich nicht mehr ruhig schlafen lassen.

Steckbrief

Josef Hickersberger wurde am 27. April 1948 in Amstetten geboren.

Als Spieler lief er u. a. für Austria, Rapid, Innsbruck und Düsseldorf auf, mit dem Nationalteam nahm er an der WM 1978 in Argentinien teil.

Die Liste als Trainer liest sich noch länger, Hickersberger coachte Österreich bei der WM 1990 und bei der EM 2008. Auch stehen Rapid (Meister 2005) sowie einige Klubs aus dem arabischen Raum in seiner Vita.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.