"Hooligans sehen das Spiel als Instrument zur Auseinandersetzung"

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Wega-Kommandant Oberst Ernst Albrecht erzählt anlässlich der Europameisterschaft über Ultras, Hooligans, Perspektivenlosigkeit und die Grenze der Deeskalation.

Die Presse: Herr Oberst, ist die Hooligan-Szene in den vergangenen Jahren rabiater geworden?

Ernst Albrecht: Nach der Katastrophe im Heysel-Stadion in Brüssel Mitte der 1980er-Jahre, zu der die Attacke von englischen Fans auf italienische Fans führte und englische Klubs aus dem Europacup ausgeschlossen wurden, ist das Problem in Mitteleuropa zum Thema geworden. Große Veränderungen in der Gewaltbereitschaft gibt es aber nicht.

Seither hat sich die Szene in verschiedene, mehr und weniger gewaltbereite Gruppen aufgesplittert?

Man muss zwischen Ultras und Hooligans unterscheiden. Ultras haben einen Ehrenkodex, der Hooligan hingegen sucht die Gewalt. Früher gab es drei Kategorien: Ein Fan der Kategorie A ist konsumorientiert, besucht wegen des Spiels das Stadion. Die Kategorie B ist fußballzentriert, fanatisiert, nimmt schwache Spiele und Schiedsrichterfehler persönlich. Ein Typ-B-Fan kann sich dazu verleiten lassen, Auseinandersetzung mit Anhängern des anderen Klubs zu suchen. Fan C ist fußballinteressiert, sieht das Spiel als Instrument, um die Auseinandersetzung zu suchen. Das sind die eigentlichen, gewaltbereiten Hooligans.

Ultras funktionieren somit anders als Hooligans?

Sie raufen auch, wenn sie sich über etwas ärgern oder provoziert werden, haben aber eigene Rituale. Heute spricht man bei der Polizei nur von zwei Gruppen, von No-Risk-Fans, früher die Kategorie A, und Risk-Fans, das sind die ehemaligen Gruppen B und C. Daher werden Ultras und Hooligans oft vermischt.

Ultras haben also eine Mission?

Ihre Mentalitäten haben sich deutlicher ausgeprägt. Früher haben sie Vereinsleiberl und Schals angehabt, heute sind Gruppen strukturiert und führen eine ideologisch aufgeladene Sprache. Sie mögen die Kommerzialisierung des Fußballs und Eingriffe in ihr Vereinsleben nicht, sie sehen sich als Revolutionäre. Passieren Eingriffe, weil manches eben verboten ist, empfinden Ultras die Polizei und oft auch die Klubführung als Feinde.

Löst Gewaltausübung nicht auch einfach ein Glücksgefühl aus?

Natürlich gibt das einen Kick. Wir machen das beruflich und uns wird immer erhöhtes Aggressionspotenzial vorgeworfen. Ich kenne keinen Beamten, der daran Spaß hat.

In Polen gibt es Videos, auf denen Übungen der Gewalttätigen zu sehen sind. Ist deren Reizschwelle niedriger?

In Polen haben viele Hooligans eine Anbindung zu kriminellen Gruppen. Hooligans sind quasi Soldaten, sind gut austrainiert. Für die ist es wie ein ,Cage-Fight‘. Dort ist so ein Hass gewachsen, dass Schwerverletzte oder Tote in Kauf genommen werden. Vor der WM in Deutschland hat sich eine polnische Gruppe in Ostdeutschland in einem Wald getroffen, um klarzumachen, wer der Chef im Ring ist. Dem Vernehmen nach haben die Polen klar gewonnen, die Deutschen waren beeindruckt.

Im Ostblock weht ein rauerer Wind?

Dort herrscht eine größere Leidensfähigkeit und eine größere Härte zu sich selbst.

Die Polizei und der Fußball baden Probleme aus, die woanders entstehen.

Mancher Jugendliche findet nur noch in solchen Gruppen Geborgenheit, weil zu Hause niemand mehr mit ihm redet und sich keiner um ihn kümmert. Das Grundproblem kann die Polizei nicht lösen. Deeskalation hat ihre Grenzen. Oft wird ein Schritt zurück nur als Angebot verstanden, weiterzumachen. Wir bekämpfen die Symptome, aber die Ursache, warum der Deckel vom Topf wegfliegt, ist nicht der Deckel, sondern die Flamme, die darunter brennt.

Auf einen Blick

Ernst Albrecht, 47, leitet seit 2005 die Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung (Wega). Sie besteht aus sechs Kompanien, umfasst Greif-, Beweissicherungs- sowie Festnahmetrupps und verfügt über Sondereinsatzmittel. [APA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2012)

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