Fußball eint, aber manchmal wartet doch die Couch

Confederations Cup
Confederations Cup(c) REUTERS (RICARDO MORAES)
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In zwei Wochen beginnt in Brasilien der Confederations Cup. Er dient als Generalprobe für die Fußballweltmeisterschaft, die in einem Jahr angepfiffen wird. Die Kosten sind explodiert.

Romario ist die gute Seele auf dem Strand von Ipanema. Der Beach Boy läuft über sein Areal, er erkennt seine Gäste schon von Weitem und grinst. Romario trägt Schirme, Tische, Sessel, Bierdosen, bringt frische und geöffnete Kokosnüsse und wenn es die Zeit erlaubt, spielt er auf dem Beach-Soccer-Platz. Romario, der ehemalige Fußballstar, ist – welch Überraschung – auch noch sein Vorbild. Zudem weht über seiner Station eine überdimensional große Fahne des Fußballklubs Flamengo Rio de Janeiro. Die könne niemand übersehen, sagt er stolz. Hier, auf seinem kleinen Strandabschnitt, hier regiert der Fußball.

Samba, Strand, Sonne, Fußball – es sind Klischees, die Brasilien beschreiben. Für manch verblendeten Reisejournalisten ist Ipanema nur ein „mickriger Stadtstrand“, für viele Touristen, Anwohner und Romario ist es aber die große Welt. Wenn in Brasilien von 15. bis 30. Juni der Confederations Cup und 2014 die Fußballweltmeisterschaft stattfinden, werden Bilder dieses Viertels um die Welt gehen. Romario will dann seinen Gästen „Special Public Viewing“ bieten. Eine Fußball-WM, live am Strand, wer hat das schon? Rio gilt nicht umsonst als „A Maravilhosa“, als wunderbare Stadt. Vom „Girl from Ipanema“ ganz zu schweigen.

Ein halbes Jahr vor Beginn des Con-Fed-Cups war vom Trubel und der im Jahr darauf folgenden WM noch kaum etwas zu bemerken. Selten tauchten beim Spaziergang durch die Metropole Plakate oder Werbeschilder auf, nur von jeder Cola-Dose lachte das Maskottchen. Das „Fuleco“ getaufte Kugel-Gürteltier genoss aber schon damals hohe Akzeptanz. Laut einer Umfrage kannten es bereits 89 Prozent der Bevölkerung – und die beläuft sich immerhin auf 192 Millionen Menschen.

In der Gegenwart ist alles ganz anders: Der Fußball, WM und Confederations Cup haben Brasilien in Beschlag genommen. Zudem ist auch das mächtige Maracanã-Stadion fertig. Die Kosten dafür haben sämtliche Budgetgrenzen gesprengt – 455 Millionen Euro kostete die Generalsanierung des berühmtesten Fußballstadions der Welt. Am heutigen Sonntag wird es mit dem Spiel der Seleção gegen England offiziell eröffnet, auch ein Testspiel hat der neue Rasen schon erlebt. Die Kräne aber sind erst vor Kurzem verschwunden. Und: Anstatt 100.000 passen nur noch 76.000 Zuschauer in diesen Palast.

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Confederations Cup(C) DiePresse


Fußball schürt Ehekrisen. Auch die elf anderen WM-Orte scheinen bereit. Belo Horizonte (Fassungsvermögen des Stadions: 66.805), Brasilia (70.064), Cuiaba (42.968), Curitiba (40.000), Fortaleza (64.165), Natal (42.086), Recife (43.921), Salvador da Bahia (56.500), São Paulo (65.807), Manaus (42.374) und Porto Alegre (50.287) locken. Rio de Janeiro ist aber die Fußballhochburg, das stellten zuletzt Botafogo und Fluminense mehrfach unter Beweis.

Während Fluminenses Meisterfeier die Stadt stundenlang ins blanke Verkehrschaos stürzte, ging es bei Botafogo, das seine Heimspiele im Estádio Olímpico João Havelange – derzeit wegen Einsturzgefahr des Daches gesperrt – austrägt, weitaus sozialer zu. Eintrittskarten sind ab 30 Real, also knapp elf Euro erhältlich. Verkauft werden sie sogar an vielen Tankstellen, und wer am Spieltag für Bedürftige ein Kilo Reis oder Mehl mitbringt, bekommt das Ticket dann nahezu geschenkt.

Fußball eint Brasilien, doch in mancher Familie treibt er seltene Blüten. „Was wollt ihr denn mit Botafogo? Flamengo ist der beste Klub“, stellte der Taxifahrer klar und begann nach ein, zwei auf Portugiesisch gestellten Gegenfragen plötzlich nervös an seinen Fingernägeln zu knabbern. Der schwergewichtige Mann wirkte kleinlaut, verlegen. Denn auf dem Handschuhfach klebte, es war nicht zu übersehen, das Klublogo der Schwarz-Weißen. „Ach, ja – meine Frau ist Fan von denen, habe ich vergessen.“ Und, leidet da das Eheleben bei den Lokalderbys? „Was soll ich sagen, ich muss dann zu ihrem Klub halten. Wenn Botafogo verliert, schlafe ich immer auf der Couch...“

Spiele um die Mittagszeit. Auch in Bezug auf Beginnzeiten scheint es keine Einigkeit im Land zu geben. Einerseits verlangt tropisches Klima manchmal Spiele um die Mittagszeit, abends aber soll für Spiele im Live-TV ein ganz anderes Diktat gelten, munkeln Couch-Potatos. Eines, vor dem selbst politische Diskussionsrunden Halt machen: die Telenovelas. Erst wenn die tägliche Soap-Opera gesendet ist, rollt der Fußball.

Pele, Neymar (er wechselt zum FC Barcelona), Ronaldinho, Kaka – es gibt kaum einen Fußballer, der in Brasilien nicht von Begriff ist. Spielt er in der Seleção, der Nationalmannschaft, ist er sowieso automatisch ein Held. Aber, Brasilien wartet seit 2002 auf den WM-Sieg. Auch sorgten zuletzt die Auftritte des Teams eher für blankes Entsetzen. Daher wurde Luiz Felipe Scolari, der die Elf in Japan und Südkorea zum Titel geführt hatte, im November erneut zum Teamchef bestellt. Er soll das Fiasko bei der Heim-WM verhindern.

Dazu ist die Leitfigur der Seleção von 2002 bei Leibe nicht mehr in der Lage. Stürmerstar Ronaldo schoss Brasilien mit acht Toren fast im Alleingang zum Titel. In der Gegenwart ist der 36-Jährige aus ganz anderen Gründen über das Ziel hinausgeschossen. Er brachte 2012 noch stattliche 118 Kilogramm auf die Waage, doch seinen Landsleuten war das gleich. Er ist eine Legende, und das macht sich die Industrie zunutze. Ronaldo verdiente 2,2 Millionen Euro damit, in einer Diätshow aufzutreten, oder eine weitere Million damit, als „dicke Verbindung“ eines Mobilfunkbetreibers zu werben. „O Fenomeno“ wurde aber seinem Namen gerecht: Statt des „Fasses“ trägt er beinahe schon wieder einen Sixpack. Der Bauchumfang schrumpfte von 107 auf 93 Zentimeter. Was er kann, so das Credo in der Bevölkerung, muss doch die Seleção auch auf dem Rasen schaffen.

Aber auch Rio de Janeiro putzt sich gehörig heraus. Denn nach der WM ist vor Olympia, 2016 finden unter dem Zuckerhut Olympische Sommerspiele statt. Die Großereignisse verlangen von der Stadtverwaltung immensen Aufwand. Die Infrastruktur ist das eine Problem, das andere, noch viel größere, die Kriminalität.

Galt es einst als „Gesetz“, bei Dunkelheit nicht über die Copacabana zu gehen, ist das in der Gegenwart kaum noch problematisch. Scheinwerferlicht erleuchtet das Abendschauspiel, schummrige Kioske sind dem einheitlichen Look aller Strandlokale gewichen. Polizei und Sicherheitsdienste überwachen auch tagsüber das Geschehen und Plünderungen, mit denen sich Kinder aus den Favelas den Lebensunterhalt finanzierten, sind nur noch Legenden.

Copacabana und Ipanema gelten abends selbst in Seitengassen, in denen versteckte Fejoada-Restaurants und Bierbars („Chopi“) zu finden sind, als sicher. Außer ein „Freiwilliger“ drängt sich mit dicker Kamera, schmucker Uhr und gezückter Geldbörse in den Vordergrund – aber dieser Tourist wäre wohl auch auf der Wiener Kärntner Straße für Langfinger ein gefundenes Fressen.


Das geliebte Chaos. Brasilien ist anders. Die Bossa-Nova-Musik verläuft langsamer, also muss auch der Lebensfluss der Menschen anders sein als in Europa oder Amerika. Als Starkoch Alex Atala bei der Auslosung der Gruppen für den Confederations Cup einen Fehlgriff machte, blieb heillose Panik unter den Gastgebern aus. Fifa-Generalsekretär Jerome Valcke war überfordert, „Herr Präsident, sie müssen mir helfen“, flehte er in Richtung von Fifa-Boss Joseph S. Blatter. Für Brasilien war es aber eine Hetz: Der Rekordweltmeister trifft in Gruppe A auf Italien, Olympiasieger Mexiko und Japan. In Gruppe B spielen WM- und EM-Champion Spanien, Uruguay, Tahiti und Nigeria, der Sieger des Afrika-Cups 2013.

Dafür spricht eine ganz andere Zahl Bände: Für die 16 Spiele der WM-Generalprobe hatte Brasilien allein in der ersten Phase 130.000 Eintrittskarten verkauft. Zum gleichen Zeitpunkt vor dem Turnier in Südafrika 2009 waren es nur 9000 Tickets gewesen. 97 Prozent aller Eintrittskarten für das „Festival der Meister“ wurden im eigenen Land verkauft. Von 826.628 Tickets an sechs Spielorten wurden bereits 588.178 abgesetzt.

Messi? Troyansky! Ganz Brasilien hofft also geschlossen auf Erfolge des Nationalteams. Ganz Brasilien? Nein, denn in Búzios, einem kleinen Ort an der Costa do Sol zweieinhalb Autostunden nordöstlich von Rio, geben Argentinier den Ton an. Sie haben das durch Brigitte Bardot 1964 bekannt gewordene Fischerdorf im Lauf der Jahre in ein märchenhaftes Tourismuszentrum verwandelt. Spanisch ist Amtssprache, selbst die Eisverkäufer am Strand tragen im Land der Ronaldinhos und Kakas ungeniert das Messi-Dress.

Natürlich dreht sich aber auch hier alles um den Fußball. Selbst Europas Champions-League-Spiele sind am Strand zu verfolgen, Messi und Barcelona sind immer und überall. Nur einem Argentinier wurde dieses Theater plötzlich zu bunt. „Messi, Messi, lasst den Kerl aus Austriaco doch damit in Ruhe. Sag mir: Was macht Troyansky?“

Minuten später war der Enthusiasmus des Herrn aus Bahía Blanca, der Heimatstadt von Fernando Troyansky, verflogen. Denn der seit 2001 in Österreich bei Austria, Admira, Kärnten und Wr. Neustadt kickende Landsmann läuft nun beim FAC auf. „Regionalliga Ost“ ist weder in Argentinien noch in Brasilien ein Begriff.

Ob denn wenigstens „Austriaco“ bei der Weltmeisterschaft mitspiele? Der Argentinier nickte, er wirkte irritiert. „Wenigstens habt ihr Live-TV-Übertragungen, oder...?“

Lexikon

Der Confederations Cup ist ein interkontinentales Turnier, das seit 1997 vom Fußball-Weltverband (Fifa) ausgetragen wird. Das Turnier fand bis 2005 zunächst alle zwei Jahre statt und wird seitdem im Vierjahresrhythmus – im jeweiligen WM-Gastgeberland als Generalprobe – ausgetragen. Teilnahmeberechtigt sind die aktuellen Meister der sechs Kontinentalverbände, der amtierende Weltmeister und der jeweilige Gastgeber.

Titelverteidiger ist Brasilien, die Seleção ist Rekordsieger (drei Titel).

Spielorte 2013 sind Brasilia, Fortaleza, Recife, Belo Horizonte, Rio de Janeiro und Salvador de Bahia. Das Finale findet am 15. Juni im Estádio do Maracanã statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2013)

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