Katar: Notruf aus der Wüste

Katar
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Das WM-Gastgeberland Katar hält einen französischen Fußballprofiund seine Jungfamilie seit Monaten fest. Der Albtraum des Zahir Belounis.

Zahir Belounis ist, man kann es nicht anders sagen, ein Gefangener. Sein Gefängnis besteht zu weiten Teilen aus Wüstensand. Es misst rund 11.400 Quadratkilometer. Das ist etwas weniger, als Oberösterreich flächenmäßig zu bieten hat. Belounis' Gefängnis heißt Katar.

„Es ist ein Albtraum“, sagt der 33-jährige Fußballprofi im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Belounis, seine Frau und die beiden kleinen Töchter Maissa und Louna sind vorerst auf unbestimmte Zeit im Emirat gefangen. Sie erhalten kein Ausreisevisum. So läuft das im Gastgeberland der Fußball-Weltmeisterschaft 2022. Nicht nur bitterarme Gastarbeiter aus Südasien werden wie moderne Sklaven gehalten. Auch Fußballprofis.


„Dann tun sie alles für dich.“ Das Drama beginnt in – Wien. Belounis will 2010 nach drei Jahren in Katar eigentlich zurück nach Frankreich. Doch der Präsident des Klubs Al-Jaish (übersetzt: Die Armee) bittet den Stürmer um ein letztes Treffen in der Bundeshauptstadt. Ein Chauffeur holt Belounis ab und bringt ihn in das Hotel des Klubchefs. „Sie tun alles für dich, wenn sie dich haben wollen“, erinnert sich der Franzose. Fünf Stunden lang umschmeichelt ihn der Präsident. Dann stimmt Belounis einem neuen Engagement in Katar zu. Drei Jahre später wird er sich wegen dieser Entscheidung in den Schlaf weinen.

Zu Beginn schwebt Belounis noch auf Wolke sieben. Er führt den Militärklub 2011 als Kapitän in die Qatar Stars League. Doch in der Top-Etage angekommen, plant Al-Jaish nicht mehr mit ihm. „Sie haben mich an einen Zweitligaklub in Katar verliehen – mit der Garantie, dass ich von ihnen weiter mein Gehalt bekomme.“ Tatsächlich läuft sein Vertrag erst am 30. Juni 2015 aus. „Doch seit Juli 2011 habe ich von Al-Jaish kein Geld mehr bekommen.“ Eine Zeit lang hält Belounis sein Leihklub über Wasser. Doch seit Februar 2013 bekommt er „nichts, nichts, nichts“. Denn in diesem Monat reicht der Franzose algerischer Abstammung Klage gegen Al-Jaish wegen der ausstehenden Gehälter ein. Und spätestens in diesem Monat lernt er auch „das System kennen, das Leben zerstören kann“, wie er heute sagt. Dieses „System“ nennt sich Kafala. Es liefert Gastarbeiter schutzlos an ihre Arbeitgeber aus. Die Firma übernimmt dabei als Sponsor die Bürgschaft für den Migranten. Sie stellt ihm auch das Ausreisevisum aus, wenn er das Land wieder verlassen will. Oder besser: Wenn die Firma will, dass er das Land verlässt. Belounis: „Mir wurde gesagt, ich darf erst gehen, wenn ich die Klage fallen lasse.“


Suizidgedanken. Während des Telefoninterviews ist immer wieder die kleine Tochter Louna im Hintergrund zu hören. Ob sie mitbekommt, dass die Familie vorerst in Katar gefangen ist? „Sie spürt zumindest die schlechte Stimmung. Ich war früher ein lustiger Kerl und habe immer mit ihr herumgealbert. Doch das geht jetzt nicht mehr.“ Belounis spielt heute kaum noch mit den Kindern, er spielt auch nicht mehr mit dem Ball, „meine Karriere ist zu Ende“. Stattdessen spielt er mit Selbstmordgedanken. „Manchmal wache ich auch auf und fühle mich okay. An anderen Tagen denke ich daran, meinem Leben ein Ende zu setzen.“

Doch die Suizidgedanken wischt Belounis gleich wieder beiseite: „Meiner Frau geht es psychisch sehr schlecht. Ich darf mich nicht aufgeben. Damit würde ich auch meine Familie im Stich lassen.“ Auch die Pläne für einen Hungerstreik verwarf der Franzose auf Anraten seines Anwalts. Hat er nie daran gedacht, dem Erpressungsversuch einfach nachzugeben, die Klage gegen die Freiheit einzutauschen? Belounis versteht die Frage nicht. „Ich habe nichts Unrechtes getan! Wenn ich aufgebe, dann machen sie das hier weiterhin mit jedem so.“


„Der Druck ist zu groß.“ In dem Rechtsstreit geht es um ein Grundgehalt von monatlich 5000 Euro. Gemessen am Hungerlohn der hunderttausenden Gastarbeiter Katars ist das ein kleines Vermögen. Die Migranten schuften für 5,70 Euro pro Tag auf den WM-Baustellen, allein diesen Sommer fanden dabei 44 Nepalesen den Tod. Verglichen mit dem BIP pro Kopf im (öl-)reichen Katar von 73.000 Euro pro Jahr nimmt sich Belounis' Gehalt eher bescheiden aus. Und zieht man die Jahresgage von Raul heran, ist es nicht einmal ein Taschengeld. Spaniens alternder Weltstar lässt seine Karriere um kolportierte sechs Mio. Euro am Persischen Golf ausklingen. Natürlich, Raul hat Real Madrid und drei Champions-League-Titel in der Vita stehen, Belounis' Gastspiele in der dritten Schweizer Liga und in Malaysia. Wohl auch deshalb halten sie den Franzosen fest. Er ist keine Berühmtheit, hat keinen Namen. Belounis weiß das. Er wendet sich daher an internationale Medien – und an François Hollande. 20Minuten spricht er im Juni in Katar mit Frankreichs Präsidenten. „Er hat mir gesagt, es wird bald eine Lösung geben.“ Aber auch Hollande kann lange nichts ausrichten.

Doch die Familie darf nun vielleicht doch den goldenen Käfig verlassen, vor wenigen Tagen bahnte sich ein Deal an: „Ich soll einer Vertragsauflösung rückwirkend per Februar 2013 zustimmen. Und dann darf ich trotz Klage ausreisen. Ich unterschreibe das. Ich bin unter Druck. Wir müssen hier raus!“ Denn die Ersparnisse gehen zur Neige.

Der Weltfußballverband Fifa hält trotz aller Skandale unerschütterlich am WM-Gastgeber Katar fest. Doch wie steht er zum Fall Belounis? „Ich weiß nicht, ob sie mir helfen wollen. Sie reden nie über meinen Fall.“ Warum nicht? „Das können Sie sich denken“, sagt Belounis.

KATARS SKLaven

Das Schicksal des Zahir Belounis ist kein Einzelfall. Auch andere Fußballprofis sind nach Angaben der Spielergewerkschaft (FIFPro) im Wüstenemirat gefangen. „Doch viele schweigen – aus Angst“, sagt Belounis.

Auch der marokkanische Ex-Nationalspieler Abdeslam Ouaddou wurde gegen seinen Willen in Katar festgehalten. „Die Katarer glauben, sie können sich alles erlauben und mit Geld alles kaufen, Hochhäuser, Unternehmen, schöne Autos – und Menschen“, erklärte Ouaddou jüngst in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2013)

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