Das Finalísima spaltet Madrid

Fußball. Das Finale um die Champions League zwischen Real und Atlético Madrid am Samstag in Lissabon ist ein Duell zweier völlig unterschiedlicher Fußballwelten.

Der Riss geht quer durch die Stadt, durch ihre Viertel, durch viele Familien. Und sogar durchs spanische Königshaus. Thronerbe Felipe ist ein leidenschaftlicher Fan von Atlético de Madrid, Spaniens armem Aufsteigerklub, der mit dem Gewinn der Meisterschaft für eine Sensation sorgte. Monarch Juan Carlos feuert derweil lieber den ehrwürdigen „königlichen“ Verein Real Madrid an. Dieser trägt ja schließlich auch die Königskrone im Wappen, musste sich in der Liga dieses Mal aber mit dem dritten Platz begnügen.

Erstmals in der Geschichte treffen die beiden Madrider Stadtrivalen nun in Lissabon im Finale der Champions League aufeinander. Kämpfen um den wichtigsten Vereinstitel Europas. Der lange Zeit belächelte Arbeiterklub aus dem Süden Madrids, der sich mit wenig Geld und viel Teamgeist nach ganz oben durchboxte. Und der reiche Nobelverein aus der nördlichen Stadthälfte, bei dem der Klubpräsident und Milliardär Florentino Pérez mit dem Scheckheft regiert und gern die teuersten Spieler der Welt einkauft.

Doch Geld ist nicht alles. Der Außenseiter Atlético de Madrid hat nicht einmal ein Viertel jenes Etats, mit dem die Fußballweltmacht Real Madrid klotzen kann – etwa 120 Millionen Euro gegen mehr als 500 Millionen. Kein Atlético-Spieler wird mit einem einzigen Monatsnettogehalt zum Millionär, wie es etwa bei Real-Star und Weltfußballer Cristiano Ronaldo der Fall ist. Und die Finanzprobleme von „Atleti“, wie der Underdog-Verein kurz genannt wird, zwingen ihn regelmäßig dazu, die besten Spieler zu verkaufen – auch Torjäger Diego Costa wird sich deswegen wohl verabschieden.

Im Gladiatorenstil

Was ist das Erfolgsgeheimnis von Atlético? „Arbeit, Arbeit, Arbeit“, sagt Trainer Diego Simeone knapp. Der Argentinier hat es in zweieinhalb Jahren geschafft, aus seinem wilden Haufen von Spielern ein knallhartes Team zu formen, in dem jeder bereit ist, für die Mannschaft zu sterben. „Gehe in jedes Spiel so, als wäre es dein letztes!“, feuert Simeone seine Männer an. „Hier ist keiner besser als der andere“, hämmerte er ihnen ins Gehirn. Mit Erfolg: Seine Kicker zeigen einen Kampfgeist, wie man ihn bei Real Madrid selten zu sehen bekommt.

Zwei Welten spiegeln sich schon in den Stadien der beiden Rivalen wider: Die „Königlichen“ logieren in der komfortablen Bernabéu-Arena an Madrids feiner Prachtallee Paseo de la Castellana. Wo schon allein eine Besichtigungstour des Stadions 19 Euro kostet. Und die sündhaft teuren Spieleintrittskarten für viele unter der Wirtschaftskrise leidenden Spanier unerschwinglich sind. Die „Matratzenmacher“, wie die Atlético-Kicker wegen ihres rot-weiß gestreiften Trikots auch genannt werden, rackern derweil im zugigen Calderón-Stadion an der Stadtautobahn. Stadiontour wie Spielbesuch sind sehr viel billiger als beim edlen Nachbarn.

Das Calderón gilt als einer der „heißesten“ Plätze Spaniens, wo nicht Lautsprechermusik, sondern Fangesänge die Tribünen vibrieren lassen. „Atleti, Atleti, Atlético de Madrid“ klingt es vielstimmig von den Rängen, „wir kämpfen wie Brüder.“ Im Bernabéu läuft vor Spielbeginn die Puccini-Opernarie „Nessun Dorma“ vom Band mit den aufmunternden Zeilen „Ich werde siegen, ich werde siegen.“ Was die Anhänger vielleicht noch mit einem braven „Hala Madrid!“ (Auf geht's, Madrid) begleiten, und was dem Stadion den Beinamen „Oper“ eingebracht hat.

Eigentlich reicht es schon, den Trainern zu lauschen, um zu verstehen, dass beim „Endspiel aller Endspiele“, wie es Spaniens Sportpresse getauft hat, zwei Fußballseelen aufeinanderprallen. „Ich danke den Müttern dieser Spieler, weil sie diese mit so großen Eiern auf die Welt brachten“, lobte Atlético-Coach Simeone den Mut seiner Krieger, nachdem sie Chelsea niederrangen und so ins Finale einzogen. Wenn sich der italienische Real-Trainer Carlo Ancelotti freut, wie etwa nach dem Triumph gegen Bayern München im Halbfinale, dann sagt er gesittet: „Ich bin sehr zufrieden.“

Ein Risikospiel

Das Finalísima spaltet die spanische Hauptstadt derart, dass die Polizei den Plan der Madrider Bürgermeisterin, Ana Botella, eine Riesenleinwand auf dem zentralen Platz Puerta del Sol aufzustellen, entsetzt abgelehnt hat. Das Champions-League-Finale sei „ein Spiel mit hohem Risiko“, warnte eine Sprecherin der Sicherheitsbehörden. Es sei „nicht die beste Idee“, die aufgeputschten Fans beider Klubs in der City aufeinandertreffen zu lassen. Beide Vereine bauen nun in ihren Stadien, die sieben Kilometer auseinanderliegen, gigantische Bildschirme auf.

Wie auch immer das Duell in Lissabon ausgeht: In der spanischen Hauptstadt, in der die Herzen gespaltet sind, wird es auf jeden Fall eine euphorische Siegesfiesta geben. Die drei Millionen Einwohner der Metropole befinden sich jetzt schon im Fußballrausch, der die Europawahl am Sonntag und die spanische Wirtschaftskrise aus den Köpfen verdrängt. Zumal es bei aller Rivalität keinen Zweifel gibt, dass ein Gewinner bereits feststeht, wie die heimische Sportpresse vorab bejubelt: „Madrid gewinnt die Champions League.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2014)

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