Fifa-Affäre: Früherer FA-Chef für WM-Boykott

Fifa-Zentrale in Zürich
Fifa-Zentrale in ZürichAPA/EPA/STEFFEN SCHMIDT
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Sollte die "totalitäre" Fifa keine Reformen umsetzen, spricht sich David Bernstein für drastische Maßnahmen aus.

Englands ehemaliger Verbandschef David Bernstein hat Europas Nationen zum gemeinsamen Kampf gegen die Fifa aufgerufen und einen WM-Boykott ins Gespräch gebracht. "Es sind 54 Länder in der Uefa. Es gibt Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich und die Niederlande - alle mächtig - und man kann ohne sie keine ernsthafte WM abhalten", betonte Bernstein in einem BBC-Interview.

"Sie haben die Macht, das zu beeinflussen, wenn sie den Willen dazu haben", sagte der frühere FA-Chef für den Fall, dass der Internationale Fußball-Verband (Fifa) keine wirkungsvollen Reformen auf den Weg bringen sollte. Die Turbulenzen rund um die Fifa werden auch am 1. und 2. Dezember in Frankfurt am Main ein Thema sein, wenn der Deutsche Fußball-Bund Gastgeber für andere europäische Verbände ist.

"Es ist kein Krisengipfel, sondern ein turnusmäßiges Treffen", betonte Ralf Köttker, Mediendirektor des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), am Montag. Es seien Diskussionen über Wettbewerbe der Nationalteams und "allgemeine fußballpolitische Angelegenheiten" zu erwarten, teilte die Europäische Fußball-Union (Uefa) auf Anfrage mit. Es steht das "lange geplante" siebente sogenannte Top-Executive-Programm-Meeting an. Teilnehmen werden die Präsidenten und Generalsekretäre aus Deutschland, Österreich, Ungarn, Israel, Liechtenstein, Luxemburg, Polen und der Schweiz.

Auch Uefa-Loslösung von Fifa Option

Bei dem Treffen dürfte es wohl auch um den umstrittenen Untersuchungsbericht der Fifa-Ethikkommission zur Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 und 2022 gehen, auch wenn dieses Thema nicht speziell auf der Agenda steht. Zumal der deutsche Ligapräsident Reinhard Rauball das Urteil der Fifa-Ethikkommission zu den WM-Vergaben nach Russland 2018 und Katar 2022 scharf kritisiert und angedroht hatte: "Eine Option, über die ernsthaft nachgedacht werden müsste, ist sicherlich, dass die Uefa sich von der Fifa löst."

Keine Reaktion gibt es nach den turbulenten Tagen, die die Fifa in ihre größte Glaubwürdigkeitskrise gestürzt haben, von Präsident Joseph Blatter. Der Schweizer bekommt jetzt erneut Druck aus England. Ein von Bernstein angeregter WM-Boykott hätte die Unterstützung der englischen Öffentlichkeit. Dessen ist sich der frühere Chef des Englischen Fußball-Verbandes (FA) sicher, der inzwischen aus der Anti-Diskriminierungs-Kommission der Fifa zurückgetreten ist. Dieses Gremium nannte er ineffektiv.

Die Fifa bezeichnete Bernstein als "totalitär" und "lächerlich". Sie erinnere ihn als das ehemalige Sowjet-Regime. Die Glaubwürdigkeit des Fußballs habe unter der jetzigen Verbandsführung erheblich gelitten. Die Wahl Katars zum WM-Gastgeber 2022 bezeichnete Bernstein als "die lächerlichste Entscheidung in der Sportgeschichte". Blatter werde so lange an der Spitze stehen, "bis jemand etwas dagegen" tue.

Amtsende von Blatter erwünscht

"England allein kann das nicht beeinflussen, ein Land allein kann das nicht. Aber innerhalb der Uefa hat England zweifellos die Macht, etwas zu bewirken. Und dafür muss man auch einen Rückzug von der nächsten WM in Betracht ziehen, sollte die Fifa keine richtige Reform durchführen", führte Bernstein aus. Dies schließe auch ein, dass es für Blatter keine fünfte Amtszeit als Fifa-Präsident gebe.

Bernstein reagierte mit seinen Äußerungen auf die weltweit kritisierten Ermittlungen der Fifa-Ethikkommission zu den WM-Vergaben 2018 und 2022 an Russland und Katar. Darin war den beiden Ausrichtern kein gravierendes Fehlverhalten bescheinigt worden.

Informantinnen kritisieren Fifa-Bericht
Eine frühere Fifa-Informantin beschwerte sich unterdessen formell über ihre Behandlung in dem umstrittenen Bericht. Phaedra Almajid, Ex-Mitarbeiterin von Katars Bewerbungskomitee und wichtige Zeugin des Fifa-Sonderermittlers Michael Garcia, beklagte sich über den Verstoß gegen die Vertraulichkeit durch den Bericht von Fifa-Ethikhüter Hans-Joachim Eckert.

Demnach fühlt sich Almajid "in Verruf gebracht". Damit habe Eckert den unhaltbaren Schluss stützen wollen, dass die Bewerbung im Dezember 2010 komplett akzeptabel gewesen ist. Ihre Aussagen würden durch den Bericht "plump, zynisch und fundamental fehlerhaft" als unzuverlässig dargestellt, schrieb Almajid in ihrem Brief an Garcia.

Druck auf Fifa wächst

Inzwischen haben auch die Fußballverbände der Niederlande und Belgiens die Fifa aufgefordert, den gesamten Untersuchungsbericht zur WM-Vergabe vorzulegen. "Zusammen mit Belgien haben wir zwischenzeitlich in einem Brief an die Fifa darauf gedrungen, den Bericht zur Einsicht zu bekommen", sagte der Vorsitzende des niederländischen Verbandes KNVB, Michael van Praag, nach Angaben der Zeitung "De Telegraaf". Notfalls könnten die Namen von Betroffenen zunächst geschwärzt sein.

Die Fifa sollte den Korruptionsbericht des von ihr beauftragten US-Ermittlers Garcia "anonymisieren und veröffentlichen", forderte Van Praag. "Dann erfährt man wenigstens, was geschehen ist." Der deutsche Jurist Eckert hatte am Donnerstag einen Report auf der Basis des umfangreichen Garcia-Berichtes vorgelegt und die Vergabe der WM-Endrunden 2018 und 2022 für zulässig erklärt. Garcia kritisierte dies als "unvollständige und fehlerhafte Darstellung von Fakten und Schlussfolgerungen" und legte Einspruch ein.

(APA/dpa)

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