Der Wahnsinn namens Premier League

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Keine Regel, die in England nicht auch zu neuen finanziellen Exzessen führte. Nun sind Eigenbauspieler die kostbarsten Preziosen.

In einem Alter, in dem seinesgleichen oft noch mit den Eltern über die monatliche Unterstützungszahlung verhandelt, unterzeichnete der 20-jährige Raheem Sterling diesen Sommer einen Vertrag mit Manchester City, der ihm mindestens 160.000 Pfund (227.500 Euro) in der Woche (!) garantiert. „Es geht mir nicht ums Geld“, betonte der Flügelstürmer treuherzig. Bei so einem Betrag sagt sich das leicht: Sterlings Wochengage (exklusive diverser Prämien) entspricht dem Jahres(!)einkommen von sechs Beziehern eines britischen Durchschnittsgehalts.

In anderen Ländern würden wegen solcher Ungleichheiten Revolutionen ausbrechen. In Großbritannien werden höchstens kluge Studien veröffentlicht, die nachzuweisen suchen, dass mehr Gleichheit zu erfolgreicheren Gesellschaften führt. Zu dumm für die Theorie, dass die Briten in der Praxis ganz andere Schlüsse ziehen: Sie wollen nicht den Reichtum des Herrn Sterling umverteilen, sondern selbst ähnlich viel verdienen.

So können es die Engländer akzeptieren, dass ihr Nationalsport längst ein Milliardenbusiness ist. Die 20 Vereine der Premier League schwimmen dank TV- und Werbeeinnahmen buchstäblich im Geld. Knapp neun Milliarden Pfund kommen allein aus den nationalen und internationalen Übertragungsrechten für die Jahre 2016 bis 2019. Und das ist nicht alles: Sportartikelhersteller Adidas zahlt Manchester United den Rekordbetrag von 750 Millionen Pfund dafür, den Rekordmeister in den nächsten zehn Jahren mit Dressen ausstatten zu dürfen. Der japanische Reifenhersteller Yokohama lässt sich seinen Namen auf den Leibchen von Meister Chelsea 200 Millionen Pfund kosten.

Englische Fußballvereine sind heute Großunternehmen: Manchester City meldete in seinem jüngsten Jahresbericht 346 Millionen Pfund Umsatz. Man darf davon ausgehen, dass eine Vereinsleitung verantwortungsbewusst und rational handelt, auch wenn sie 49 Millionen Pfund für den Kauf eines Spielers wie Sterling ausgibt. Die Erklärung liegt in den Bestimmungen zur Förderung des Nachwuchses. Nachdem man sich rund zwei Jahrzehnte gewundert hatte, warum die Premier League eine der besten Meisterschaften der Welt ist, aber das englische Nationalteam von einer Blamage zur nächsten stolpert, kam man im Verband auf die Königsidee, dass es vielleicht nützlich wäre, wenn bei englischen Spitzenklubs auch englische Spieler zum Einsatz kämen. Arsenal war im Februar 2005 nur der erste Verein, der ein Spiel ohne einzigen Engländer begann.

Nachwuchs im Hintertreffen

Eine erste Initiative zur Nachwuchsförderung ab dem Jahr 2010 blieb weitgehend erfolglos. „Englische U21-Spieler bekommen weniger als die Hälfte Spielzeit als ihre deutschen, französischen oder spanischen Kollegen“, heißt es in einem Bericht der Football Association. Durch den massiven Zukauf von Spielern im Ausland habe sich in den vergangenen fünf Jahren die Quote an „home grown players“ pro Premier-League-Team sogar von 11,4 auf 9,4 verringert.

Jeder Klub darf für die Saison einen Kader von maximal 25 Spielern nennen, von denen acht Eigenbauspieler sein müssen. Als solche gelten Spieler, die vor dem Erreichen des 21. Lebensjahres drei Saisonen bei einem englischen Verein gemeldet waren. Die Staatsangehörigkeit bleibt dabei jedoch unbeachtet, was dazu führte, dass mehr als 60 Prozent der Eigenbauspieler keine Engländer sind. So gilt etwa der Spanier Cesc Fabregas als „home grown“, da er aus dem Arsenal-Nachwuchs stammt. Vereine können auch weniger als 25 Spieler nennen. Wer nur sechs Eigenbauspieler im Kader hat, kann das ausgleichen, indem er nur 23 Spieler registriert. Chelsea wurde im Vorjahr mit einem 20-Mann-Kader Meister. Doch die Belastungen von Liga, Cup, Champions League und Nationalteam fordern ihren Preis: Das Scheitern aller englischen Klubs in der Champions League war ein Warnsignal.

Um international mitzuhalten ist ein großer Kader nötig. Nun aber werden die Regeln verschärft und die „home grown players“ müssen künftig mindestens zwei Jahre im eigenen Verein gespielt haben. Daher werden Spieler wie Sterling wie Diamanten gehandelt. Man City erwarb auch den 18-jährigen Patrick Roberts von Fulham für elf Millionen Pfund. Chelsea jagt Verteidiger John Stones, 21, von Everton, für den die „Toffees“ mehr als 30 Millionen Pfund wollen, nachdem sie ihn vor drei Jahren für drei Millionen geholt haben. Eine derartige Rendite schafft kein Börsenspekulant.

Die Titelrivalen Chelsea und Manchester City haben unbegrenzte Geldmittel, aber nicht genug Eigenbauspieler im Kader. Doch es ist nicht so, dass in England keine Jugendarbeit geleistet wird. Southampton, im Vorjahr Tabellensiebenter, „produziert“ seit Jahren Talente wie Gareth Bale, Theo Walcott oder Adam Lallana. Der Klub beschäftigt 24 hauptberufliche und 45 freiwillige Trainer allein für die Jugendarbeit. Oft schaffen heimische Talente aber den Durchbruch nicht. Eine Alternative wäre es, wenn mehr englische Spieler im Ausland Erfahrung sammelten und damit auch das Nationalteam vorwärtsbrächten. Doch wer verlässt schon gern das Schlaraffenland? Chelsea-Verteidiger Gary Cahill: „Wenn man das Glück hat, in der Premier League zu spielen, braucht man nirgendwo anders hinzugehen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.08.2015)

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