Deutschland außer Form: Das Rätselraten des Weltmeisters

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Deutschland besiegte Georgien nur mit Hängen und Würgen, das EM-Ticket ist nur ein schwacher Trost - denn Form und Auftritt stimmen 15 Monate nach dem WM-Finale nicht mehr.

Leipzig. Zum zwölften Mal in Serie ist Deutschland bei einer Fußball-EM-Endrunde dabei, doch so recht wollte bei diesem Qualifikationsversuch keine Freude aufkommen im Land des Weltmeisters. Denn der Mannschaft von Joachim Löw ist die Souveränität abhanden gekommen. Spielwitz, Pässe und allen voran ein Brecher in der Strafraummitte sind fromme Wünsche geblieben. Der mickrige 2:1-Sieg gegen Georgien lieferte den nächsten Beweis dafür.

In Deutschland selbst herrscht über dieses Formtief, für das vor allem der ehemalige Tirol- und Austria-Trainer Löw geradezustehen hat, großes Rätselraten. Auch blickt man gespannt der Auslosung am 12. Dezember in Paris entgegen, auch Österreich (Topf 2) könnte ein Gegner sein. Abwehrspieler Jérôme Boateng aber brachte alle dahingehenden Spekulationen ohnehin rasch zum Erliegen. „So wie wir gegen Georgien gespielt haben, brauchen wir bei der EM in Frankreich erst gar nicht anzutreten.“

Neun Monate vor der Euro ist die Aussage für die stets auf ihr Fußball-Geschick bedachten Deutschen mehr als nur ein alarmierendes Armutszeugnis. War es Systemkritik oder nur ein Weckruf? Auffällig ist jedoch, dass nach dem 0:1 in Dublin auch vor eigenem Publikum eine gewisse Überheblichkeit bei der Chancenverwertung deutlich wurde. Und, es fehlte der Nachdruck, das Verlangen. „Gegen ein Spitzenteam kannst du so nicht spielen“, legte Boateng erbost nach. „Das kommt, wenn man einen Schritt zu wenig läuft und glaubt, es geht von alleine. Man muss jetzt schon Klartext reden!“

„Geilheit“ nach Toren verloren

Löw stimmte unwidersprochen zu. Auch er sah den Anspruch nicht erfüllt, wie man als Weltmeister gegen den 110. der Weltrangliste zu spielen habe. Stückwerk, Starkult oder über 20.000-€-Prämien, darüber wurde vorab viel Auskunft erteilt vom DFB und seinen Protagonisten. Aber offenbar haben alle rund um ihren Trainer vergessen, was Fußball ausmacht. Manche nennen es Behäbigkeit. „Wir müssen diese Geilheit, ein Tor machen zu wollen, wieder erlangen“, sagt etwa Reals Mittelfeldspieler Toni Kroos. Im Schnitt brauche Deutschland sieben, acht Großchancen für ein Tor. Und, diese Sichtwesie ist keineswegs übertrieben: Hätte Manuel Neuer nicht die besten Chancen der Georgier verhindert – Deutschland hätte sich in der Barrage wiedergefunden.

„Rein im sportlichen, im taktischen Bereich müssen wir die eine oder andere Überlegung machen“, beantwortete Löw eher zögernd bissige Fragen der Journalisten. Über einen (echten) Strafraumspieler à la Mario Gómez in seinen besten Zeiten oder verlässliche Knipser wie Miroslav Klose würde er zwar nachdenken. Zum Brechstangen-Fußball von einst wolle er aber nicht zurückkehren. Man brauche jetzt nicht glauben, „dass man einen großen, kopfballstarken Spieler braucht – einen wie Horst Hrubesch“. Nur, wer schießt dann Deutschlands Tore bei der Euro?

Beim Abschied gab Löw seinen irritierten und auch angesäuerten Weltmeistern später in der 27. Etage des Teamhotels beim traditionellen Dinner eine klare Botschaft mit auf den Weg. „Es kommt sehr viel Arbeit auf uns zu. Wir sind im Moment ein Boxer, der viele Treffer landet, aber nicht frühzeitig den K. o. schafft“, bemühte Löw den visuellen Vergleich mit einer weitaus härteren Sportart. Deutschland hat – trotz des Gruppensieges – an Gleichgewicht eingebüßt.

Wie die Korrekturen bis zum 10. Juni 2016 aussehen sollen? Löw winkte ab. Auf Knopfdruck gelinge das nicht. Doch 15 Monate nach dem WM-Finale hat Deutschland all seine WM-Tugenden verloren. Löws Mannschaft ist berechenbar geworden, an dieser Erkenntnis werde er feilen. „Ich kann versprechen, dass Deutschland bei der EM eine sehr, sehr gute Mannschaft stellen wird – mit allen Chancen.“




GRUPPE D

1.Deutschland1071224922
2.Polen10631331021
3.Irland1053219718
4.Schottland10433221215
5.Georgien1030710169
6.Gibraltar1000102560

Deutschland – Georgien 2:1 (0:0), Gibraltar – Schottland 0:6 (0:2), Polen – Irland 2:1 (2:1).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2015)

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