Fußball-WM 2006: Staatsanwalt prüft Sommermärchen

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War Deutschlands WM 2006 gekauft oder sind alle Vermutungen doch haltlos? Es gibt weiterhin Unklarheiten bei Geheimpapieren, auch Jahreszahlen stimmen nicht überein.

Berlin/Wien. War das Sommermärchen der WM 2006 in Deutschland gekauft oder nicht? Diese Frage, von einem „Spiegel“-Bericht mit Vermutungen ins Rollen gebracht, spaltet die Fußballwelt. Während Autor und Magazin an dem Bericht festhalten, hat sich eine Front formiert. Deutscher Fußballbund, Präsident Wolfgang Niersbach und der damalige OK-Chef Franz Beckenbauer wehren sich. Dementis, Klagsdrohungen und die Suche nach dem Whistle Blower bestimmen die Gespräche.

Die deutsche Justiz verfolgt diese Vorwürfe nun besonnen. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt erklärte am Montag, einem „Anfangsverdacht“ zu folgen. Mögliche Tatbestände sind Betrug, Untreue oder Korruption. Ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werde, blieb unbeantwortet.

Erst 2002 kam das Darlehen

Der „Spiegel“ hatte über den Verdacht berichtet, der DFB habe mittels einer mit 6,7 Millionen Euro gefüllten schwarzen Kasse vier (asiatische) Stimmen der damaligen Fifa-Exekutive gekauft. Deutschland gewann damals mit 12:11-Stimmen gegen Südafrika. Das Geld soll 2000 vom damaligen Adidas-Chef, Robert Louis-Dreyfus, als Darlehen offeriert und 2005 via Fifa-Konto an den Sponsor refundiert worden sein. Louis-Dreyfus hat einst auch Uli Hoeneß fünf Millionen Mark und 2001 eine Bürgschaft über weitere 15 Millionen für „Zockereien“ gewährt.

Nach dem Sturz von VW erlebt nun mit Adidas die nächste deutsche Weltmarke Negativschlagzeilen. Der DFB galt zudem als Vorzeigeverband, Niersbach sogar als potenzieller Nachfolger von Platini im höchsten Amt der Uefa.

Es tauchen nun auch erste Widersprüche zu dieser Kontroverse auf. Laut „Bild“-Recherche floss das Geld von Louis-Dreyfus erst 2002 – und damit zwei Jahre nach der WM-Vergabe. Die ominösen Geheimpapiere, die handschriftliche Notiz mit den Initialen RLD – sie wurden bislang nicht vorgelegt oder vom DFB bestätigt.

So läuft ein WM-Wahlkampf

Auch bleibt offen, warum sich Scheichs, Milliardäre und Topfunktionäre für diese, für ihre Verhältnisse bescheidene Summe, hätten kaufen lassen sollen. Tatsächlich läuft ein Wahlkampf für gewöhnlich smarter ab. Turniervertreter, Lobbyisten und Politiker klappern mit Exstars als Aufputz zig Länder, deren Präsidenten und Geschäftspartner ab. Man vereinbart Tests prominenter Klubs, mit abgetretenen TV-Rechten, Kooperationen von Automobilherstellern, vielleicht Waffengeschäfte. Für die WM 2006 wurde all das auch unternommen – nur in puncto Waffenverkäufe gibt es fortlaufend Entgegnungen der deutschen Politik.

In einem Punkt bietet der DFB allerdings eine breite Angriffsfläche: Man räumte Ungereimtheiten bei einer Zahlung – in Höhe von 6,7 Mio. Euro – an den Weltverband ein. Niersbach wies am Montag erneut alle Korruptionsvorwürfe zurück. „Die WM 2006 war ein Sommermärchen, sie bleibt es auch. Es hat keine schwarzen Kassen, keinen Stimmenkauf gegeben. Man muss sich aber die Frage stellen, [. . .] wofür diese 6,7 Millionen verwendet wurden.“ Der Zeitpunkt der Bekanntgabe, dass der DFB dazu längst eine Untersuchung führe und eine renommierte Wirtschaftskanzlei beauftragt habe, irritiert. Es geschah am Freitag – neun Jahre nach der WM, wenige Stunden vor der „Spiegel“-Vorabmeldung.

Hinter den DFB-Kulissen ist womöglich auch der Auslöser für diesen Skandal zu finden. Wer hat diese Erkenntnisse „verraten“? Viele wähnen Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger in der Rolle des Whistle Blowers, er lässt das jedoch via Anwalt untersagen. Dennoch, sein Disput mit Niersbach ist offenkundig. Er wollte ihn als Nachfolger verhindern, 2014 prangerte er auch den steilen, finanziell lukrativen Aufstieg des Kontrahenten an. Er hätte als DFB-Generalsekretär 300.000 Euro jährlich verdient, als ehrenamtlicher Präsident sind es nur ca. 70.000 Euro pro Jahr. Die sonderbare „Ausbezahlung einer früher vereinbarten Betriebsrente“, schreibt die „Süddeutsche“, nannte Zwanziger „Heuchelei“. Er schaltete die Ethikkommission ein, die zuletzt Sepp Blatter und Michel Platini suspendiert hatte. Sie sah kein Vergehen – nur die Fortsetzung einer Feindschaft biblischen Ausmaßes. (fin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2015)

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