Argentinien: Fußball als Staatsangelegenheit

ARGENTINA SOCCER MACRI
ARGENTINA SOCCER MACRI(c) APA/EPA/DAVID FERNANDEZ
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Die Wahl Mauricio Macris zum argentinischen Staatschef wirft ein grelles Licht auf das Verhältnis von Sport und Politik in dem Land. „Fútbol“ öffnet populären Politikern alle Türen.

Buenos Aires. Im November 2001 kam Mauricio Macri, damals Präsident des Fußballklubs Boca Juniors, zu einem Vortrag an die altehrwürdige Oxford-Universität. Der Unternehmer verriet seine politischen Ambitionen. „Die erste Sache, die hilft“, sagte Macri in perfektem Business-Englisch vor den Studenten, „ist, dass ich kein Kapital investieren muss, um bekannt zu werden. Ich habe 98Prozent Anerkennung.“ Die sportlichen Erfolge verschafften ihm landesweite Bekanntheit, selbst die Fans des Stadtrivalen River Plate blickten neidisch auf die Position.

Jetzt, vierzehn Jahre später, ist Macri Präsident Argentiniens. Der konservative Oppositionsführer setzte sich in der Stichwahl gegen Daniel Scioli durch. Überraschend kam dieses Votum nicht.

„Argentina, Argentina“

Die Wahl zeigt, wie eng Politik und Sport in Argentinien miteinander verwoben sind. Ohne Fußball wäre Macris Aufstieg von der Bombonera, dem Stadion der Boca Juniors, in die Casa Rosada, den Präsidentenpalast, wohl nicht möglich gewesen. Macri nutzte seine Popularität geschickt. Erst wurde er zum Bürgermeister von Buenos Aires gewählt, spann dort ein Netzwerk. Seine Anhänger skandierten bei Wahlkampfveranstaltungen „Argentina, Argentina“, als wären sie in einem Fußballstadion.

Fußball und Politik in Argentinien – das weckt böse Erinnerungen an die WM 1978. Damals bemächtigte sich die Militärjunta der Fußballweltmeisterschaft. Das brutale Regime um General Videla, das zehntausende Menschen folterte und ermordete, konnte sich als Land des Tangos und der Rindersteaks präsentieren – der schon damals ausschließlich dem Gewinn verschriebene Weltverband Fifa sah schweigend zu.

Präsident Juan Perón, selbst bekennender Boca-Fan, ernannte sich einst zum Chef der nationalen Sportverwaltung und proklamierte sich auf Plakaten als erster Sportsmann des Landes. Ex-Präsidentin Cristina Kirchner fädelte 2009 mit Verbandschef Julio Grondona einen TV-Deal ein, der Fußball faktisch zur Staatssache machte.

„Fútbol“ und populäre Führer

Schon Juan Perón erkannte, dass der Fußball die perfekte Arena der Macht ist. Der politische Analyst Julio Burdman vom Observatorio Electoral GEO in Buenos Aires sagt: „Der Fußball ist extrem beliebt, er kann populäre politische Führer produzieren. Viele Politiker gehen ins Fußballmanagement, weil es eine nützliche Funktion in ihrer politischen Karriere ist.“

Populär muss Macri nun auch agieren. Er muss eine Einigung im Streit um die Milliardenschulden bei Hedgefonds erwirken, Argentinien gilt technisch als zahlungsunfähig. Im Land selbst aber fehlt Geld für Investitionen, die Inflation ist längst zweistellig, die Arbeitslosenrate ebenso und mit Fußballrhetorik allein sind diese Tatsachen nicht mehr zu kaschieren.

Doch auch im Fußballverband herrscht ein selten so intensiv gelebtes Chaos. Die Wahl des Nachfolgers des 2014 verstorbenen Grondonas wurde zur Farce. Die Wahl des AFA-Präsidenten (Asociación del Fútbol Argentino) wurde annulliert – 75 Funktionäre durften wählen, beide Kandidaten, TV-Moderator Marcelo Tinelli und Interimspräsident Luis Segura, erhielten jeweils 38 Stimmen . . .

Am Sonntag waren die Mitglieder der Boca Juniors aufgerufen, einen neuen Klubpräsidenten zu wählen. In den bunten Wellblechhäusern von La Boca gilt die Wahl als wichtigste des Landes. Der Präsident muss die Unterstützung der meist linksgerichteten Fangruppen gewinnen. In dem Arbeiterklub ziehen sich die Gräben zwischen „kirchneristas“, Anhängern der peronistischen Ex-Präsidentin Kirchner, und „macristas“ fort. Um Sport geht es schon lang nicht mehr, es geht um Macht und Einfluss. Neuer Amtsinhaber ist Daniel Angelici– er gilt als Vertrauter Macris. Aber das ist nicht weiter verwunderlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2015)

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