Der Stillstand im Stade de France

Joachim Löw wirkte vor der EM-Auslosung 2016 aufgekratzt. Terrorängste und -erinnerungen wurden wach, sportliche Wünsche machten aber Mut. Zwei Quartierfragen sind gelöst.

Die Wunden sind noch lang nicht verheilt. Auch sind die Erinnerungen noch präsent, vor allem beim DFB-Teamchef Joachim Löw, der am Samstag eine hoch emotionale Rückkehr nach Paris erlebt hat. Erst der eine, dann wenig später der zweite, noch lautere Knall während des Länderspiels am 13. November in Stade de France. Das Spiel gegen Frankreich wurde zur Nebensache, die Stunden im Kabinentrakt, die Nacht im Stadion und draußen die drohende Ungewissheit, die Angst, der Terror, die vielen Toten. Löw wurde bei diesen Aussagen sehr still.

„Natürlich ist die Rückkehr nach Paris für mich speziell“, sagt Löw noch unter dem Eindruck des hautnah erlebten, unfassbaren Terrors vor einem Monat. Nur langsam rückt für den Chef der deutschen EM-Mission 2016 der Sport wieder in den Mittelpunkt – doch Samstagabend, im betongrauen Palais de Congrès, sollte es bei der Auslosung der EM-Vorrundengegner zumindest für wenige Augenblicke nichts anderes geben außer dem Sport.


Hervorragender Gastgeber. Frankreich werde ein hervorragender Gastgeber sein, in diesen Tagen genauso wie beim Turnier 2016 selbst, sagte der ehemalige Tirol- und Austria-Trainer dann wenig später schon sichtlich entspannter. „Wir haben auch allen Grund, uns auf die Europameisterschaft zu freuen, den Blick nach vorn zu richten“, fügte er hinzu und dass nach dem WM-Sieg 2014 alle Blicke auf die DFB-Auswahl gerichtet sind, musste er nicht gesondert betonen. „Frankreich ist ein Fußballland, die Franzosen lieben den Fußball. Sie werden herzliche und gute Gastgeber sein und alles für das höchstmögliche Maß an Sicherheit tun“, erklärte auch DFB-Teammanager Oliver Bierhoff, der mit Löw und der DFB-Delegation in Paris dabei war.

Dem Europameister, Golden-Goal-Finalschützen von 1996 und ehemaligen Salzburg-Legionär wurde sechs Monate vor dem Eröffnungsspiel am 10. Juni im Stade de France eine große Ehre zuteil. Mit weiteren Titelhelden wie David Trezeguet (Frankreich), Antonin Panenka (Tschechien) und Angelos Charisteas (Griechenland) durfte Bierhoff als Losfee die erstmals 24 EM-Starter auf sechs Gruppen verteilen. Bei Redaktionsschluss war dieses Spiel aber noch im Gang.

Auf das Löw-Team, das sein EM-Stammquartier in Evian Les-Bains am Genfer See beziehen wird, könnten unbequeme Vorrundengegner warten. Italien (bei einem Turnier noch nie von Deutschland bezwungen), Schweden (4:4 nach 4:0-Führung), und Irland (knöpfte in der Qualifikation dem Weltmeister vier Punkte ab) wären mögliche Kontrahenten. „Entscheidend sind nicht die Gegner, entscheidend sind wir selbst. Alles hängt von uns ab. Deswegen bin ich optimistisch“, sagt Löw, der nach der Auslosung endlich konkret planen kann. Nach 1972, 1980 und 1996 soll es auch europäisch der vierten Stern für Deutschland gewonnen werden.

Dass die Teilnehmerzahl aufgestockt und der Modus komplizierter wurde, sieht Löw mit gemischten Gefühlen. Er hält Überraschungen beim auf 30 Tage ausgeweiteten Turnier für möglich, nachdem Teams wie Nordirland, Island, Wales, Österreich und die Slowakei schon in der Ausscheidung aufgezeigt hätten. „Warum nicht? Die Qualifikation hat gezeigt, dass sie kein Selbstläufer ist. Auch wir hatten Probleme mit der Konstanz, waren nachlässig und haben Punkte liegen lassen.“

Die Euro 2016 wird für den 55-Jährigen das fünfte Turnier als Cheftrainer – es wird ohne Frage ein besonderes. Von den 23 Kollegen bei der Endrunde 2016 ist nur der Spanier Vicente del Bosque mit einem WM-Titel und einem EM-Sieg erfolgreicher – und Löw könnte zu ihm aufschließen.


Wo Frankreichs Fußballgott wohnte. Auch beim ÖFB-Team sind die Planungen abgeschlossen. Die Mannschaft wird während der EM in der Provence, wohnen, Basisquartier ist das Viersternehotel Moulin de Vernegues bei Mallemort. Es liegt zwischen Avignon und Aix-en-Provence, rund 40 Minuten Fahrzeit vom Flughafen Marseille entfernt. Die Ankunft des Teams ist für 5. Juni 2016 angesetzt. Jeweils einen Tag vor einer EM-Partie wird der ÖFB-Tross in den jeweiligen Spielort reisen.

Die Trainingseinheiten von Alaba und Co. finden in der acht Autominuten entfernten 7000-Einwohner-Gemeinde Mallemort statt. Das Hotel ist in parkähnliche Umgebung eingebettet, verfügt über 100 Zimmer, 66 davon in einem neu errichteten Trakt, sowie einen Spa-Bereich und ein Restaurant. Es könnte ein gutes Omen sein – Frankreich wohnte während der Heim-WM 1998 im Moulin de Vernegues. Die Équipe Tricolore wurde damals Weltmeister. Marcel Koller ist mit der Unterkunft zufrieden: „Hier können wir uns optimal vorbereiten. Das Hotel ist eine Mischung aus Alt und Neu, nur wenige Minuten vom Trainingsplatz entfernt und steht uns exklusiv zur Verfügung. In dem von Grünflächen umgebenen Areal finden wir hervorragende Bedingungen vor, um Energie zu tanken!“ Fehlen nur noch Siege, um endgültig alle Wünsche zu erfüllen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2015)

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