Der Feind im eigenen Verein

Rafael Benítez gilt als einer der erfolgreichsten Klubtrainer aller Zeiten. Dass er seit März 2016 Newcastle United betreut, sehen Fans des Vereins als ein Geschenk.
Rafael Benítez gilt als einer der erfolgreichsten Klubtrainer aller Zeiten. Dass er seit März 2016 Newcastle United betreut, sehen Fans des Vereins als ein Geschenk.(c) REUTERS (Reuters Staff)
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Bei Newcastle United ist der schärfste Widersacher nicht der Gegner auf dem Fußballplatz. Eigentümer Mike Ashley und Manager Rafael Benítez könnten ungleicher nicht sein.

Auf der Landkarte der britischen Seelenlandschaft hat Newcastle upon Tyne einen festen Platz. Wenn ein Engländer ein Synonym für „Eulen nach Athen tragen“ verwendet, spricht er von „taking coals to Newcastle“. Ruhm und Reichtum der industriellen Revolution sind längst verblasst, und nirgendwo wird die stete Suche nach Halt deutlicher als auf dem Fußballplatz. Der Traditionsverein Newcastle United ist von einer der ersten Adressen zu einer Aufzugsmannschaft geworden, die zwischen Auf- und Abstieg pendelt.

In der aktuellen Saison dürfen sich die „Magpies“ (Elstern), wie die Mannschaft nach den Dressen in klassischen schwarz-weißen Streifen genannt wird, wieder einmal in der obersten Klasse versuchen. Mit neun Punkten aus drei Siegen und genauso vielen Niederlagen ist die Rückkehr in die Premier League bisher eine Hochschaubahnfahrt gewesen. Doch vor dem heutigen Duell der Nordlichter gegen den Liverpool FC (17.30 Uhr, live auf DAZN), gibt sich Newcastle-Manager Rafael Benítez philosophisch: „Wir haben immer gewusst, dass wir einige Spiele gewinnen und andere verlieren werden.“


Liebling der Fans

Zuletzt musste sein Team eine schmerzliche 0:1-Niederlage gegen Mitaufsteiger Brighton in Südengland hinnehmen. Das Spiel selbst war weniger bemerkenswert als die Tatsache, dass mehr als 3000 „Geordies“, wie die Bewohner des Großraums Newcastle genannt werden, die Reise von fast 1200 Kilometern auf sich nahmen. Die Fans lieben nicht nur ihren Verein, sie verehren auch Benítez: „Führe uns zum Ruhm, Rafa“, lautet ein Spruchband im Stadion. Als der heute 57-jährige Spanier im März 2016 als Manager für Newcastle vorgestellt wurde, durfte sich Eigentümer Mike Ashley über einen echten Coup freuen. Obwohl sein Verein damals wieder einmal unrettbar auf den Abstieg zuzusteuern schien, gewann der Sports-Experts-Milliardär mit der Verpflichtung von Benítez einen anerkannten Spitzenmann. Der Spanier hatte zuvor bereits unter anderem Liverpool, Inter Mailand, Napoli SSC und Real Madrid betreut und ist bis heute der einzige Trainer, der Europa League, Champions League, Super Cup und World Cup gewonnen hat.

In Newcastle startete Benítez eine wahre „Rafalution“. Journalist (und Fan) Mark Douglas berichtet: „Er änderte alles – von der Beleuchtung in der Kantine bis zur Verlierermentalität des Klubs.“ Benítez arbeitete nicht nur auf dem Fußballplatz „mit brennender Intensität“, sondern er brachte auch den Verein „zurück in die Herzen der Fans“. Als Newcastle United im letzten Spiel der Saison mit einer Heimniederlage den Abstieg besiegelte, erhoben sich die 57.000 Fans der „Toon Army“ im St. James' Park zu einer Standing Ovation und flehten Benítez an, den Verein nicht zu verlassen.

Der Spanier ließ sich beeindrucken: „Ich spüre die Liebe der Fans“, sagte er einmal. „Ich bin wirklich glücklich damit.“ Als weniger glücklich sollte sich bald die Beziehung zu Eigentümer Ashley herausstellen. Der Unternehmer hatte den Verein 2007 um 135 Millionen Pfund gekauft, die Erwartungen der Fans auf einen Neuanfang aber nie erfüllt. In kürzester Zeit verprellte der Self-Made-Milliardär Legenden wie Kevin Keegan und Alan Shearer. Statt eigenes Geld in den Klub zu stecken, sah Ashley den Erwerb des Vereins als ein Marketingmanöver und eine Investitionschance. Wo die Fans in ihren Verein Herzblut fließen lassen, ließ er jede emotionale Bindung vermissen.

In den ersten Jahren flog er noch mit Entourage per Helikopter zu Heimspielen und zeigte sich mit protziger Zigarre in der Prominentenloge. Heute bleibt er lieber fern und lässt wissen, dass Newcastle United um den Schnäppchenpreis von 380 Millionen Pfund zu haben sei. Ashley ist ein geschickter Geschäftsmann, der sich stolz dazu bekennt, weder Bildung noch Manieren zu haben.


„Rafalution“ in Gefahr

Das Gegenteil verkörpert Benítez, der nicht nur für harte Arbeit, sondern auch taktisches Geschick und umfassendes Wissen anerkannt ist. Fast seit Beginn seiner Zeit in Newcastle streitet er sich öffentlich mit Ashley über fehlende Finanzmittel und gebrochene Versprechen. Trotz des Wiederaufstiegs konnte sich der Verein im Sommer kaum nennenswert verstärken. Von allen Aufsteigern gab kein Club so wenig aus wie die „Magpies“, und mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren ist das Team von Benítez das jüngste in der Premier League. „Die Rafalution hängt an einem seidenen Faden“, fürchtet etwa das Fanzine „The Mag“.

Mit Streitigkeiten hat aber auch Benítez einige Erfahrung. In Liverpool, wo er von 2004 bis 2010 Manager war, bis heute wohnt und wegen des Champions-League-Triumphs gegen AC Milan 2005 für immer unvergessen bleiben wird, dauerte es weniger als ein Jahr, bevor Benítez in Interviews den Eigentümern vorwarf, ihm nicht genug Mittel für Transfers und zu wenig Unterstützung zu geben.

Groß ist auch die Zahl von Trainern, mit denen er zusammengekracht ist. Unv7ermeidlich, dass José Mourinho auf dieser Liste ganz oben steht, nachdem der Portugiese einmal die Frau von Benítez dazu aufrief, sich nicht über Fußball zu äußern, sondern sich besser „um den Speiseplan“ des sichtlich wohlgenährten Spaniers zu kümmern. Der Spanier hat das dem drahtigen Portugiesen nie vergeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2017)

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