Allianz-Stadion: „Das neue Stadion ist unser zweites Wohnzimmer“

Andreas Müller
Andreas Müller (c) Stanislav Jenis
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Mit dem Allianz-Stadion verfügt Rapid ab Juli 2016 über die modernste Fußballarena Österreichs. Sportdirektor Andreas Müller hält die Kosten von 53 Millionen Euro für gerechtfertigt.

Es wird gehämmert. LKW rollen durch das staubige Areal, ein Bagger schaufelt Schutt zur Seite. Baucontainer zieren das Gelände, auf dem sonst Nachwuchsspieler oder Profis ihre Runden drehen. Stahltraversen werden verankert, Planken verschraubt. Die auf einem Rang rundum verlaufende Betontribüne strahlt im Sonnenschein. Die Stufen wirken mächtig, man wähnt sich in einem Amphitheater. Wer die Augen schließt, hört bereits den Anpfiff, riecht das frische Gras und freut sich über Fan-Choräle. Doch vorerst herrscht auf der Baustelle des Rapid-Stadions Hochbetrieb ausschließlich durch die Bauarbeiter.

Seit Oktober 2014 wird hier geschuftet, ein für österreichische Verhältnisse historisches Projekt aus dem Boden gestampft. 160 Arbeiter sind im Dauereinsatz. Sie verfolgen wie der Rekordmeister (32 Titel) nur ein Ziel – die zeitgerechte Fertigstellung des modernsten Fußballstadions Österreichs.

Für 53 Millionen Euro hat Rapid ein Schmuckstück erworben, 45,7 Millionen Euro ergehen an den Generalunternehmer Strabag. Die Ausgaben erscheinen für lokale Verhältnisse und angesichts Rapids Jahresetat von ca. 22 Millionen Euro (11 Mio. Euro für Personalkosten) sehr hoch. Dank Planung mit VIP-Logen, Business-Arrangements, Sponsoren und größerer Zuschauerkapazität als im „St. Hanappi“, wähnt sich der Klub auf der Gewinnerstraße.

Ein Jahrhundertprojekt!

28.200 Zuschauer finden zu Ligaspielen Platz, 24.000 im Europacup – dann wird der „Block West“ bestuhlt. Die Stimmung werde unter Garantie „gigantisch“, sagt Rapids Sportdirektor Andreas Müller. „So ein Stadion gibt es in diesem Land noch nicht. Es ist ein Jahrhundertprojekt! Hier werden wir Emotionen erleben, bei einer toller Atmosphäre. So wird der Stadionbesuch zum Freudentag. Und: Es wird sehr laut!“

Für Anrainer mag das zwar wie der blanke Horror anmuten, doch sie wurden vorab mit Gesprächen und einer rein dem Fußball gewidmeten Konzession an Bord geholt, sagt Müller, der seit 2014 bei Rapid die Fäden zieht und seinen Vertrag bis 2018 verlängern will. Es gibt keine anderen Großveranstaltungen abseits des Fußballs.

Auch kehrt bald wieder die übliche Ruhe entlang der Westbahn ein. Am 12. November erfolgt die Gleichenfeier, bis April sind Bagger, Kräne und der Staub verschwunden. Dann wird im Allianz-Stadion der neue, heilige Rasen verlegt. Im Juni wird der Fußball-Palast an den Klub übergeben, im Juli eingeweiht mit einem Eröffnungsspiel. Entgegen aller Spekulationen, es sei – ob des für zwölf Millionen Euro bis 2026 gesicherten Stadion-Namensgeber –, Bayern München, schwieg sich Müller aus. Diese Entscheidung sei offen, zudem laufe dann die Euro 2016 in Frankreich. Stars und Spieler, deren Nationen ausgeschieden sind, machen Urlaub. Alle anderen wären im Einsatz, es sei sinnlos, darüber zu sprechen.

Den Einwurf, dass Rapid zu diesem Zeitpunkt getrost vollzählig sein wird, wollte Müller so nicht akzeptieren. Mit Florian Kainz rückt immerhin ein Rapid-Spieler als Ersatz (für Zlatko Junuzovic) ins ÖFB-Camp ein, im Kader für den Test gegen Schweiz am 17. November sind mit Dibon, Stangl, Schwab, Schaub und Schobesberger fünf weitere auf Abruf. Der grünweiße Zug Richtung Frankreich scheint dennoch abgefahren seitens des ÖFB. Torhüter Jan Novota (Slowakei) dürfte es als einziger Rapidler zur Euro schaffen. „Die Mannschaft, die sich qualifiziert hat, soll spielen“, sagt Müller nach einer Nachdenkpause. Nur Teamchef Marcel Koller entscheide. Zudem, aus der gesamten Bundesliga wären nur zwei Spieler im Team vertreten. Aus Sicht aller Klubchefs sei das aber eine alarmierende Bestandsaufnahme.

Attraktivität, Infrastrukturen, Angebot, Entertainment – Fußball müsse in der Gegenwart mehr bieten als nur das Spiel. Die Leistung lockt den Zuschauer an, im Stadion selbst müsse beste Unterhaltung und Top-Service gewährleistet sein; besonders bei Rapid. Müller sagt, man müsse „etwas darstellen“; der Klub wolle doch in die Top 50 Europas. „Jeder große Klub braucht ein tolles Stadion, ein modernes!“ Man müsse Familien anlocken, Wirtschaftspartner, Fußball-begeisterte Fans und auch neue Spieler, die sonst kein Interesse an Hütteldorf und der Bundesliga hätten. Namen nennt Müller keine.

Chance der Euro 2008 vergeben

„Die größte Chance“, wird Müller laut, „hat Österreich nach der Euro 2008 kläglich vergeben. Da wurde vieles verpasst!“ Statt Stadien neu zu bauen und Infrastrukturen zu schaffen, wurde vieles neulackiert, später abgerissen, vergessen oder entpuppte sich als Millionen-Grab. Als Gegenbeispiel nennt er die WM 2006 in Deutschland, durch sie sei vieles in Bewegung gekommen. Auch der zweite Einwurf zwang Müller zur Einhalt. VW, WM 2006, 6,7 verschwundene Millionen Euro, Razzien und Anfeindungen im weltmeisterlichen DFB-Verband rütteln am Mythos der „deutschen Tugend“. Müller schluckt. Ein Kraftausdruck fällt, man müsse „Klartext“ sprechen, aufräumen. Doch das sei eine andere Baustelle . . .

Der Blick quer durch Österreichs Stadien bleibt ernüchternd. Außer in Wien, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt gibt es kein modernes Spielfeld. Zusammengeschraubte „Dorf-Stadien“ a la Grödig – es steht neben der A10 in Salzburg umringt von Feldern – sind nicht von der Hand zu weisen. Es gibt „Bruchbuden“, für die das Geld fehlt, das Interesse von Sponsoren, der Politik. Auch in Wien, etwa in Dornbach, auf der Hohen Warte. Als humorvolle Episode zur Stadion-Problematik dient Christoph Daums Erzählung aus Ried. Austrias Meistermacher sagte 2003: „Ich stand von der Bank auf, da klopft mir plötzlich ein Opa mit dem Stock von hinten auf die Schulter. Er meinte, er sehe nichts mehr . . .“

Dass Austria nun nachzieht und die Generali-Arena bis 2018 mit 17.500 Zuschauern, entgegen der Rapid-Arena, mit zwei Rängen aufpoliert, imponiert Müller ungemein. Der Preis dieses Infrastruktur-Projektes ist mit 45 Millionen Euro anberaumt. Dass beide Traditionsvereine nicht unter ein Dach passen, war ohnehin klar. „Philosophie, Klubfarbe, Fans, Kultur – wer will den Erzfeind im eigenen Wohnzimmer wissen?“ Bei dieser Frage spiele Geld keine Rolle. „Das ist sicher nicht auf Gegenliebe bei beiden gestoßen, so ist es aber deutlicher. Das ist unser Zuhause, das steht am richtigen Ort; und er hat Tradition. Besser geht es nicht.“

Ein Stadion sei für Fans also ein „zweites Zuhause, ein Wohnzimmer“. Viele haben hier ihren eigenen Sessel, im „St. Hanappi“ gab es sogar Namensschilder für Jahreskartenbesitzer. Dass die Preise steigen, ist unvermeidbar. Das günstigste Abo gibt es in der Kategorie D (Block West) für Mitglieder um 185 Euro, das teuerste um 470 Euro. Nicht jeder Fan ist glücklich, in der Premierensaison ist aber gewiss jede Partie restlos ausverkauft. „Danach obliegt es den Spielern, sie müssen Leistung bringen, bei Rapid immer mehr als bei einem anderen Klub“, sagt Müller. Es gehe um Stimmung, Atmosphäre, Lautstärke, Gemeinsamkeit. „Man bewegt etwas mit diesem Kasten“, sagt der Deutsche, der die Kombination von Tradition mit der Moderne und dem Geschäft gewahrt sieht. Das Stadion wird Rapid breitere finanzielle Möglichkeiten verschaffen, parallel dazu die Attraktivität erhöhen.

Jeder große Klub habe, nein: brauche ein großes, modernes Stadion, sagt Müller. Ein Wohnzimmer, ein Büro. Ein Schmuckstück. Das von Rapid steht natürlich in Hütteldorf.

STADIENBAU

53Millionen Euro
kostet der Bau des Rapid-Stadions. 28.200 Fans finden
ab Juli 2016 Platz.

42Millionen Euro
investiert Austria in das Infrastruktur-Projekt Favoriten, das Stadion fasst ab 2018 17.500 Zuschauer.

Beide werden Uefa-Vier-Sterne-Arenen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2015)

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