Ein hartes Tackling als größtes Kompliment

Andreas Schicker
Andreas Schicker(c) APA/ERWIN SCHERIAU (ERWIN SCHERIAU)
  • Drucken

Vor einem Jahr verlor Andreas Schicker bei einem Böller-Unfall seine linke Hand. Mit Prothese will er die Rückkehr in den Sport schaffen.

Wien. So mancher Fußballer verliert die Beherrschung, wenn er im Training von Mitspielern zu hart angegangen wird. Für Andreas Schicker waren die ersten schonungslosen Tacklings der neuen Kollegen das größte Kompliment. „Ich wollte, dass sie mich als normalen Fußballer sehen und auch so behandeln“, sagt der 29-Jährige. Im Herbst letzten Jahres verlor er bei einem Böller-Unfall seine linke Hand – und träumt nun mit Prothese vom Comeback.

Seit Sommer steht Schicker bei Zweitligist Wiener Neustadt unter Vertrag, fungiert dort als Co-Trainer der Kampfmannschaft und hat die Chance, sich langsam wieder an den Leistungssport heranzutasten. Am 9. Oktober gab der Linksverteidiger ein erstes Kurz-Comeback im Test gegen Grödig, es folgten zwei Einsätze für die zweite Mannschaft in der Landesliga. Das Zwischenresümee fällt positiv aus. „Die schönste Erkenntnis im Herbst war, dass es kein Problem ist, mit einer Hand, oder besser gesagt mit einer Prothese, Fußball zu spielen.“ Dabei war die Sorge bei Zweikämpfen zu Beginn groß. „Aber ich habe bei Stürzen gut reagiert, mich richtig abgerollt“, erzählt Schicker, dessen Gehirn die linke Hand noch immer „spürt“.

Mit dem Vorfall vom 22. November 2014 geht Schicker offen um. „Wenn man auf die Leute zugeht, dann ist es kein Problem.“ In jener Nacht explodiert ein Böller in seiner Hand, zerfetzt die linke und verletzt Daumen und Zeigefinger der rechten. Als der Linkshänder bei der gegenüber liegenden Polizeistation läuten will, wird ihm das Ausmaß der Verletzung drastisch vor Augen geführt. Es folgen Operationen, in denen die Funktionsfähigkeit der rechten Hand gerettet wird, sowie Wochen im Krankenhaus und Reha. Immer an seiner Seite: Freundin und Familie. Sie halfen, den ersten Schock abzufangen und das eigene Schicksal zu akzeptieren. „Natürlich gibt es immer wieder Momente, in denen man hadert. Aber es bringt nichts, sich immer zu fragen“, sagt der 29-Jährige, für den es sehr wichtig war, niemanden anderen verletzt zu haben. „Im Endeffekt bin ich froh, dass es so gekommen ist, da ich ganz gut damit umgehen kann.“

Die Einwürfe fliegen wieder

Schon bald setzt sich Schicker Etappenziele für die Zukunft: Training der rechten Hand („Bei der Feinmotorik, wie mit Kleingeld, tue ich mir etwas schwerer“), der Umgang mit der Prothese („Ich kann im Alltag eigentlich alles wieder machen, vielleicht langsamer und mit mehr Geduld“) und schließlich die Rückkehr in den Sport. Die Dankbarkeit über das Angebot von Wiener Neustadt, wo er von 2010 bis 2012 schon einmal unter Vertrag stand, ist groß. „Was Besseres hätte mir nicht passieren können.“

Auf dem Platz und in der Kabine ist Schickers von der Fifa abgesegnete Spezialprothese aus Karbon gefüllt mit Schaumstoff kein Thema. „So wie andere die Socken wechseln, tausche ich die Prothese“, erklärt der Absolvent der Austria-Akademie. Auch die anfängliche Zurückhaltung der Teamkollegen war rasch abgelegt. „Einmal haben wir zum Aufwärmen Handball gespielt, da habe ich zum Trainer gesagt: ,Du hast eine super Übung für mich ausgesucht.‘ Alle haben gelacht, und das Eis war gebrochen.“ Das Gefühl für den Ball hat Schicker nie verloren, inzwischen meistert er auch Einwürfe wieder. „Ein Christian Fuchs wird aus mir keiner mehr. Aber 15 Meter gehen schon“, berichtet der ehemalige U21-Teamspieler.

Die Winter-Vorbereitung wird Schicker mit der Kampfmannschaft absolvieren, in erster Linie als Spieler und nicht als Co-Trainer. „Ich lasse das auf mich zukommen und mache mir nicht zu viele Gedanken“, meint der 162-fache Bundesligaspieler (Austria, Wr. Neustadt, Ried), der auch am Trainerjob Gefallen gefunden hat. „Das macht richtig Spaß und will ich nicht mehr aufgeben“, so der Inhaber der B-Lizenz. Bis Sommer läuft sein Vertrag mit Wiener Neustadt, dann werde man sich zusammensetzen und die Zukunft planen. „Wenn möglich, will ich Profifußball spielen.“

ZUR PERSON

Andreas Schicker, 29, trägt seit einem Böller-Unfall eine Armprothese. Bei Zweitligist Wr. Neustadt kämpft der 162-fache Bundesligaspieler um ein Comeback im Profifußball. „Ich will als normaler Fußballer gesehen werden.“ [ SVH ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Tunnel
Leitartikel

Es gibt auch Licht mitten im Tunnel

Zeitunglesen und Zeitungmachen sind in Krisenzeiten nicht immer nur ein Vergnügen. Ein ausgiebiger Blick auf das, was dennoch gelingt, lohnt doppelt.
Themenbild
Außenpolitik

Was die Welt ein bisschen besser gemacht hat

Die Öffentlichkeit steht im Bann permanenter Krisenberichterstattung. Kriege, Konflikte und Gewalt bestimmen die Schlagzeilen. Doch es gibt auch positive Nachrichten: Die Armut sinkt, der Kampf gegen die schlimmsten Krankheiten zeitigt Erfolge, und die Welt hat endlich ein Klimaabkommen. Ein Überblick.
Kinder
Innenpolitik

Mehr Kinder für Österreicherinnen

Die Zahl der Kinder pro Frau steigt und ist so hoch wie vor 20 Jahren. Zuwanderer sind wider Erwarten nur zum Teil dafür verantwortlich.
FRANCE
Europa

Die erwachte europäische Öffentlichkeit

Plötzlich kennt jeder die Regierung in Athen, bangt mit Paris und streitet über Merkel.
MIDEAST ISRAEL PALESTINIANS CONFLICT
Außenpolitik

„Die Gewalt lässt uns nur stärker zusammenwachsen“

In Jad Bejad findet der Unterricht zweisprachig statt: auf Hebräisch und Arabisch. Immer wieder greifen Radikale die bilinguale Schule in Jerusalem an. Doch die jüdischen und palästinensischen Kinder halten nach solchen Attacken noch mehr zusammen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.