Österreich, Land der Fußballer

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Das ÖFB-Team löste mit der Qualifikation für die nächstjährige Europameisterschaft eine nicht für möglich gehaltene Welle der Euphorie aus. Fußballer taugen wieder als Vorbilder.

Österreichischer Fußballnationalspieler zu sein war in der Vergangenheit nicht immer angenehm. Heftige Niederlagen, misslungene Qualifikationen, mannschaftsinterne Querelen und mediale Schelte – all das war das ÖFB-Team. Der Zuschlag für die Ausrichtung der Europameisterschaft 2008 gemeinsam mit der Schweiz ließ die Hoffnung auf Besserung aufleben, im Land der Skifahrer waren auch erstmals seit der Teilnahme an der WM 1998 deutliche Anzeichen von Euphorie erkennbar.

Die Chance, vor siebeneinhalb Jahren als Gastgeber vor den Augen Europas groß aufzuspielen wurde genauso verpasst wie jene, nachhaltig in die Fußballinfrastruktur zu investieren. Aktuell verfügt Österreich über kein einziges Stadion, das zur Austragung eines Europacup-Endspiels berechtigt, auch für die in 13 Ländern ausgetragene EM 2020 wurden die Bewerbungskriterien nicht erfüllt. Mittlerweile haben die ÖFB-Granden in ihren Büros im Wiener Prater die Zeichen der Zeit erkannt: Das Happel-Oval ist schwer in die Jahre gekommen, ein neues Nationalstadion die Vision.

Anlass für die tatsächlich Realisierung des Projekts gibt das Nationalteam selbst. Nach Jahren des Misserfolgs haben die Teamkicker das Siegen gelernt, mit der souveränen Qualifikation für die nächstjährige Europameisterschaft in Frankreich wurde beste Werbung betrieben. Kein Gegner scheint vor dem Anpfiff zu stark, kein Ziel unerreichbar. Vor rund vier Jahren – der in Österreich weitgehend unbekannte Marcel Koller hatte eben erst seinen Job als Teamchef angetreten – war die heimische Elite im Vergleich noch müdes Mittelmaß. Spielerische Qualität, internationale Erfahrung, taktische Finesse – irgendetwas hatte immer gefehlt, auch um Ausreden war man selten verlegen. Unter Koller, bei seiner Bestellung vom Gros der heimischen Fußballlegenden noch angefeindet, fand ein Umdenken statt. Der Schweizer konnte dem österreichischen Brauch der Verhaberung nichts abgewinnen, er wollte einzig seine Ideen verwirklicht wissen.

Manche Personalentscheidung traf der 55-Jährige ganz bewusst mit Risiko. Er vertraute Reservisten wie Robert Almer (Düsseldorf, Hannover) oder Marc Janko (Trabzonspor), Letzteren ließ er später ein Jahr lang aus Sydney einfliegen. Das entgegengebrachte Vertrauen bezahlten die Spieler in Form von starken Leistungen zurück, es zeigten sich zudem positive Auswirkungen auf das Mannschaftsklima. Das ÖFB-Team entpuppte sich bald als Wohlfühloase, „solche Teamkollegen hat man nicht immer“, sagt Marko Arnautović.

Arnautović ist ein Paradebeispiel für Kollers Wirken. Einst in Klagenfurt von den eigenen Fans ausgepfiffen, spielt der 26-Jährige heute im Nationalteam mit breiter Brust groß auf und sich so in die Herzen der Anhänger. Arnautović ist freilich nicht der einzige Leistungsträger. Österreichs Team funktioniert als Kollektiv, die Verantwortung lastet nicht nur auf ein paar wenigen Schultern. Als David Alaba in beiden EM-Qualifikationsspielen gegen Russland verletzungsbedingt fehlte, waren andere zur Stelle – Österreich gewann jeweils mit 1:0. Allein das Wissen, Ausfälle wie jenen von Alaba kompensieren zu können, macht das ÖFB-Team stärker. Mit ähnlichen Situationen könnte sich die Mannschaft auch bei der EM konfrontiert sehen.


Kinderträume. Legionäre bilden das Gerüst einer Einheit, die über Jahre hinweg kaum verändert wurde, Laufwege verinnerlicht hat, sich praktisch blind vertraut. Im Ausland genießen die rot-weiß-roten Exporte nach Jahren des Mitläuferdaseins einen exzellenten Ruf. Alaba, Arnautović, Aleksandar Dragović oder Zlatko Junuzović sind Gesichter einer neuen, erfolgreichen Generation österreichischer Fußballer. Sie sind Vorbilder, lassen im Park spielende Kinder von ähnlichen Karrieren träumen.

Mit der erstmaligen Qualifikation für eine Europameisterschaft auf sportlichem Weg wurde eine nicht für möglich gehaltene Welle der Euphorie ausgelöst. 173.000 Besucher pilgerten 2015 zu den fünf Heimspielen in das Wiener Ernst-Happel-Stadion, Millionen fieberten vor den Fernsehgeräten mit. Nicht nur die Resonanz der Fans bestätigt den Aufschwung der Nationalmannschaft, auch Statistiken untermauern diesen. So verzeichnete das ÖFB-Team heuer pro Partie durchschnittlich 52 Ballgewinne in der gegnerischen Hälfte – eine Steigerung um fast 80 Prozent gegenüber 2014. Die durchschnittliche Passgeschwindigkeit erhöhte sich von 39,7 auf 41,9 km/h.

Über Bedeutung und Aussagekraft von Zahlen und Statistiken lässt sich stets diskutieren, der Blick auf die Fifa-Weltrangliste aber hinterlässt zweifelsfrei ein freudiges Gefühl. Als Nummer 23 in das Jahr gestartet, führte Koller seine Truppe bis auf Platz zehn und damit in bisher unbekannte Sphären. Die ÖFB-Equipe gewann alle sechs Pflichtspiele, nur in Tests gegen Bosnien (1:1) und die Schweiz (1:2) war man nicht siegreich. Damit rangiert Österreich, das Land der Fußballer, vor Nationen wie Niederlande (14.), Italien (15.) oder Frankreich (25.)

Der Weg nach Frankreich

Das heimische Nationalteam bestreitet vor der EM noch zwei Länderspiel-Doppel, Spieltermine sind der 26. und 29. März sowie der 31. Mai und 4. Juni (Gegner noch unbekannt). Am 8. Juni erfolgt die Anreise in das Teamquartier.

Bei der Endrunde trifft Österreich in Gruppe F auf Portugal, Ungarn und Island. Auftaktgegner ist Ungarn am 14. Juni (18 Uhr) in Bordeaux. Es folgen die Begegnungen mit Portugal (18. Juni, 21 Uhr, St. Denis) und Island (2. Juni, 18 Uhr, Paris).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2015)

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