Kollers Kader: Der Kreis des Vertrauens

Marcel Koller gibt seit nunmehr über fünf Jahren die Marschrichtung als ÖFB-Teamchef vor. Die Leistungskurve der Mannschaft zeigt seitdem stetig nach oben.
Marcel Koller gibt seit nunmehr über fünf Jahren die Marschrichtung als ÖFB-Teamchef vor. Die Leistungskurve der Mannschaft zeigt seitdem stetig nach oben. (c) HERBERT NEUBAUER / APA / picture (HERBERT NEUBAUER)
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Österreichs Teamchef Marcel Koller setzt bei der Europameisterschaft auf 23 altbewährte Kräfte. Was den Kader auszeichnet, welche Risken bestehen: eine Bestandsaufnahme.

Valentino Lazaro wusste ganz genau, was ihn beim letztwöchigen Trainingslehrgang des österreichischen Nationalteams im Schweizer Laax erwarten würde. Der 20-Jährige vom heimischen Meister Salzburg war von Teamchef Marcel Koller etwas überraschend in den Kader für die EM-Vorbereitung einberufen worden. Bis 31. Mai allerdings musste der Schweizer diesen noch um einen Spieler auf 23 Mann reduzieren. Lazaro durfte sich nie echte Hoffnungen auf ein Last-Minute-Ticket für Frankreich machen. Natürlich hätte der Youngster gern Euro-Luft geschnuppert, die Eliminierung war jedoch keine Überraschung. „Das war ganz klar so besprochen“, sagte Lazaro.

Koller hatte wohl schon mit dem Abpfiff des letzten Spiels der EM-Qualifikation im Herbst beinahe den gesamten Euro-Kader für sich geistig notiert. Österreichs Nationalmannschaft glich in den vergangenen Jahren einer nahezu geschlossenen Gesellschaft. Dauerhaften Eintritt erhält nur, wer den Teamchef restlos überzeugt. In der jüngeren Vergangenheit erhielten Guido Burgstaller (Nürnberg) und Alessandro Schöpf (Schalke) Einladungen zum Team und die damit seltene Chance zur Bewährung. Der junge Schöpf, 22, wusste zu gefallen. Er darf nun sogar mit nach Frankreich. Burgstallers Euro-Traum platzte letztlich genauso wie jener von Robert Gucher (Frosinone), Florian Kainz (Rapid) oder Karim Onisiwo (Mainz). Das Trio war beim November-Trainingslehrgang in Spanien Teil des Teams.


Fiktion und Realität. Koller hat seit seinem Amtsantritt 2011 eine schlagkräftige Nationalmannschaft geformt, diese bis in die Top Ten der Weltrangliste und zur EM-Endrunde geführt. Der Schweizer gilt allerdings nicht nur als Fußballfachmann, der 55-Jährige verkörpert weit mehr. Er versteht es, Menschen mit seiner besonnenen, aber zugleich direkten Art zu erreichen und zu leiten, die Zähmung des Marko Arnautović gilt als eine seiner größten Errungenschaften. Gegenseitiges Vertrauen ist dabei die Basis seines Erfolgsprinzips. Als Koller erst einmal seine Auserwählten um sich versammelt hatte, wurde sämtlichen Widerständen getrotzt.

Da störte es nicht weiter, dass etwa Stürmer und Australien-Legionär Marc Janko für jedes Spiel der Nationalmannschaft eine Weltreise zu bestreiten hatte. Oder Torhüter Robert Almer in Deutschland wenig bis gar keine Spielpraxis erhielt. Oder Kapitän Christian Fuchs bei Schalke nur noch Reservist war. Wer erst einmal Kollers Vertrauen gewonnen hatte, der durfte sich glücklich schätzen. Dabei war die unter Teamchefs doch seltene und spezielle Vorgehensweise nicht frei von Risken. Was, wenn Janko zum Chancentod mutiert wäre? Oder der Steirer Almer ein Steirertor nach dem anderen kassiert hätte? All das blieb Fiktion. In der Realität schoss Janko Tore am Fließband und Almer machte Großchancen zunichte.

Für Fußballer ist das Vertrauen des Trainers das höchste Gut. Es beflügelt, macht außerordentliche Leistungen erst möglich. Auf dem Weg nach Frankreich, in der höchst erfolgreichen EM-Qualifikation (28 von 30 möglichen Punkte), hat sich unter Koller ein Stamm etabliert. Eine erlesene Auswahl von Spielern, sozusagen eine Parade-Elf. Nur bei verletzungsbedingten Ausfällen oder Sperren werden Korrekturen vorgenommen. Koller versteht es, auch jenen Spielern, die in der Regel nicht erste Wahl sind, das Gefühl zu vermitteln, gebraucht zu werden, Teil des großen Ganzen zu sein. Die zweite Garde hat die Rollenverteilung akzeptiert, interne Grabenkämpfe gibt es keine, mediale Kampfansagen ebenso wenig. „Aber wenn ich gebraucht werde, wenn sich die Chance bietet, dann möchte ich da sein“, sagt Okotie und vermittelt damit den Grundtenor der Teamreservisten.


Qualitätsunterschied. Erzwungene Wechselspiele (Ilsanker für Alaba, Okotie für Janko) haben in der Qualifikation gut funktioniert, doch tun sie das auch auf der nächsthöheren Ebene, bei einer EM-Endrunde? Österreichs Mannschaft verfügt, anders als noch vor einigen Jahren, über einen relativ breiten Kader. Ein Qualitätsverlust ist beim Fehlen gewisser Spieler allerdings unbestritten. Arnautović etwa ist auf dem Flügel zu einer unverzichtbaren Stütze herangereift. Er sucht Eins-gegen-eins-Situationen, ist an guten Tagen für jede Abwehr ein schwer zu verteidigender Spieler. Zlatko Junuzović fungiert im Zentrum als kreativer Kopf und Ruhepol in Personalunion, spielt im Zentrum eine noch tragendere Rolle als David Alaba. Und über die Bedeutung von Julian Baumgartlinger gibt es ohnehin keine zwei Meinungen. Der Neo-Leverkusener paart seine ungeheuren läuferischen Qualitäten mit feiner Technik.

Echte Sorgen bereitet derweil die rechte Seite im Spiel der Österreicher. Martin Harnik und Florian Klein, beide mit Stuttgart abgestiegen, mangelt es an Selbstvertrauen. Aber bis zum Anpfiff gegen Ungarn (14. Juni) hat der Psychologe Koller ja noch Zeit.

Der KADER

Tor: Robert Almer (Austria Wien), Heinz Lindner (Frankfurt), Ramazan Özcan (Ingolstadt).

Abwehr:Aleksandar Dragović (Dynamo Kiew), Christian Fuchs (Leicester City), György Garics (Darmstadt), Martin Hinteregger (Gladbach), Florian Klein (Stuttgart), Sebastian Prödl (Watford), Markus Suttner (Ingolstadt), Kevin Wimmer (Tottenham).

Mittelfeld: David Alaba (Bayern), Marko Arnautović (Stoke City), Julian Baumgartlinger (Mainz), Martin Harnik (Stuttgart), Stefan Ilsanker (Leipzig), Jakob Jantscher (Luzern), Zlatko Junuzović (Bremen), Marcel Sabitzer (Leipzig, Alessandro Schöpf (Schalke).

Angriff: Lukas Hinterseer (Ingolstadt), Rubin Okotie (1860), Marc Janko ( Basel).

Kollers Top-ElF

Tor: Almer
Verteidigung: Fuchs, Hinteregger, Dragovic, Klein
Mittelfeld:
Arnautovic, Alaba, Junuzovic, Baumgartlinger, Harnik
Angriff: Janko
Bevorzugtes System: 4-2-3-1

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2016)

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