Fußball-WM: Das Versteckspiel des Präsidenten

BRAZIL SOCCER FIFA WORLD CUP 2014
BRAZIL SOCCER FIFA WORLD CUP 2014APA/EPA/RUNGROJ YONGRIT
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Am Sonntagabend übergab Joseph Blatter den WM-Pokal. Aber wo versteckte sich der Fifa-Präsident all die Wochen zuvor?

Rio de Janeiro. Wo war der Fifa-Präsident bei dieser Fußball-WM? Selten wie nie zuvor ging ein Großereignis ohne den üblichen Aufmarsch der Topfunktionäre in Szene. Joseph Blatter zeigte sich bei dieser WM erst spät. Am Samstagabend absolvierte er einen seiner seltenen Auftritte, als er in Brasilia den Niederländern eigenhändig die Bronzemedaillen für den dritten Platz überreichte.

Davor aber war der 78-Jährige in Brasilien nur ganz kurz zu sehen gewesen. Ein paar Sekunden vielleicht. Als der Fifa-Präsident merkte, dass sein Konterfei auf der riesigen Videoleinwand in der Arena Pernambuco in Recife erschien, wirkte es, als zucke er zusammen. Hatte er Angst vor Buhrufen und Pfiffen?

Der Schweizer schien sichtlich erschrocken – und schon sahen die Fernsehzuschauer in aller Welt vor dem Umschnitt auf das WM-Spiel zwischen Costa Rica und Griechenland wieder jubelnde Fans. Man kann dem Präsidenten viele Vorwürfe machen, aber nicht den, dass er sich bei der WM ins Scheinwerferlicht gedrängt hat. Die Absenz des mächtigsten Fußballfunktionärs der Welt bei seinem Traumturnier unter dem Zuckerhut ist allerdings höchst auffällig.

Soziale Pflichttermine

Am vergangenen Montag war Blatter als Besucher des Football-for-Hope-Zentrums in Caju im Norden Rios angekündigt, solch einen sozialen Termin lässt er sich nicht nehmen. Sonst war er Gastredner bei den WM-Schiedsrichtern und bei einem Kongress von Studenten eines Fifa-Master-Studiengangs – das war es schon.

Warum taucht Blatter vor der Fußballwelt fast gar nicht auf? Was bezweckt der Schweizer mit seinem offenbar künstlich unterdrückten Publicity-Drang? Noch vor der WM hat er in einer Medienoffensive bis zum Fifa-Kongress von São Paulo jede Chance genutzt, seinen WM-Optimismus auszudrücken und die Ankündigung für seine Kandidatur zur angestrebten Wiederwahl im Mai 2015 vorzubereiten. Und mit dem WM-Anpfiff: Schluss damit.

Wer bei der WM wissen will, was Blatter bewegt, muss ihm auf Twitter folgen. Dort lässt der 78-Jährige von seinem Stab alle schönen, traurigen und belanglosen Neuigkeiten der Fußballwelt in kurzer Form veröffentlichen. Sei es zum Torrekord von Miroslav Klose, zum Karriereende von Ottmar Hitzfeld oder seinem Handshake mit Basketball-Star Kobe Bryant. „Fantastisch, ihn zu treffen“, schrieb Blatter.

Keine offizielle Anweisung

Auch das Treffen mit Angela Merkel in Salvador beim deutschen Auftaktspiel ist so dokumentiert. Gemeinsame TV-Bilder der Sitznachbarn auf der Tribüne der Arena Fonte Nova gab es dann aber nicht. Die Regie zeigte nur die deutsche Kanzlerin rechts neben dem Fifa-Boss. Verdächtig, meinten viele Blatter-Kenner. Eine Anweisung gäbe es nicht, versicherte der Weltverband.

Doch welcher Regisseur des Fifa-TV-Partners HBS sollte auf einen Kameraschuss auf den Präsidenten samt deutscher Regierungschefin verzichten? Zumal dieser bei der WM in Südafrika bei jedem Stadionbesuch präsentiert wurde. Auch in Brasilien war er bei weit mehr als einem Dutzend Spiele und mindestens einmal in jedem der zwölf Spielorte.

Die Argumentationskette ist schlüssig: Beim Confederations Cup war die Reaktion der Fans in Brasilien auf die eingeblendeten Bilder von Blatter und Staatschefin Dilma Rousseff verheerend. Und dennoch, sie wird trotz anfänglicher Überlegungen am Sonntag den WM-Pokal überreichen. Ob sie damit – im Fall eines argentinischen Erfolges – bei ihren Landsleuten Pluspunkte sammelt, ist höchst fraglich.

ZUR PERSON

Joseph Blatter, 78, steht dem Fußballweltverband seit 1998 als Präsident vor. Der Schweizer kündigte bereits an, im Mai 2015 für eine fünfte Amtszeit zu kandidieren. „Meine Mission ist noch nicht vorbei, zusammen werden wir die neue Fifa aufbauen.“ Die Jahre seiner Präsidentschaft werden von Vorwürfen der Misswirtschaft sowie der Korruption begleitet – zuletzt im Rahmen der WM-Vergabe 2022 an Katar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2014)

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