Afrika: Fußballschulen statt Kicker-Plantagen

Afrika Fussballschulen statt KickerPlantagen
Afrika Fussballschulen statt KickerPlantagen(c) EPA (Jon Hrusa)
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Die Fußballeuphorie hat auch ihre Schattenseiten. Viele Jungen verlieren sich im Traum einer Profikarriere und vergessen auf die Ausbildung. Mittlerweile gibt es Fußballschulen, in denen sie auch fürs Leben lernen.

Im Internet sucht Issa Yerima regelmäßig nach Fußballschulen. Der 19-jährige Togoer studiert in Kara, möchte aber nach Europa. Dort liege seine Zukunft. Dort könne er der Topfußballer werden, der er sein möchte. Vor zwei Jahren holten ihn seine Eltern aus der Hauptstadt Lomé in seinen Heimatort im Norden des Landes zurück. Issa gibt zu, dass er damals weitaus mehr Zeit auf dem Fußballfeld als in der Schule verbracht hat.

Jungen wie Issa sind leichte Beute für Fußballagenten. Die jungen Burschen lassen sich vom Erfolg afrikanischer Fußballidole wie Emmanuel Adebayor, Michael Essien, Samuel Eto'o oder Didier Drogba blenden. Dass ihr Talent zum Topstar nicht ausreichen könnte, ziehen sie nicht einmal in Erwägung. Realität hat in Träumen schließlich nichts verloren. Europäische Klubs auf niedrigerem Niveau interessieren sich vermehrt für afrikanische Spieler. Sie lassen sich mit Minigehältern abspeisen und bei ungenügender Leistung leicht und schnell wieder abwimmeln.

„Es gibt zahlreiche gescheiterte Fußballer in Westafrika,“ sagt Fußballexperte Paul Darby. Er ist Dozent für Sport und Bewegungswissenschaften an der Universität von Ulster in Nordirland und beschäftigt sich intensiv mit dem afrikanischen Fußball. Darby kritisiert das ausbeuterische Vorgehen der Agenten und ihre „Kicker-Plantagen“: „Viele Fußballschulen in Afrika sind weniger an den Bedürfnissen ihrer Schüler, als vielmehr an ihren eigenen Gewinnen interessiert.“ So rekrutieren kleine Fußballschulen Nachwuchstalente oftmals vom Wohnzimmer des Leiters aus. Viele verlassen laut Darby diese Einrichtungen nicht nur desillusioniert, sondern auch ungebildet: „Auf dem Arbeitsmarkt finden sie sich schwer zurecht.“

Eine Gegenbewegung zu dieser Praxis hat sich von Ghana aus entwickelt. Dort setzen Fußballakademien vermehrt auf eine Kombination von Fußballförderung mit allgemeiner Schulbildung. Die Liberty Fußballakademie ist die erste dieser Art in Togo. Vor fünf Jahren hat Tchanile Tchakala, der einst Profifußballer bei Blau-Weiß Berlin war, die Schule gegründet. Aus eigenen Mitteln finanzierte er die Einrichtung, in der heute 130 Schüler von fünf Trainern und 18 Lehrern unterrichtet werden. „Die ersten Jahre waren nicht einfach,“ seufzt Tchakala in seinem Büro. „Afrikanische Fußballer gehen nicht gern zur Schule. Wir trainierten sie früh am Morgen und schickten sie danach in die Schule im Dorf.“ Dort hätten sie sich aber selten blicken lassen. „Deswegen habe ich vor drei Jahren ein paar Unterrichtsräume dazugebaut.“ Damit er selbst kontrollieren könne, ob sie auch den Schulunterricht besuchen.

Bis zum 18. Lebensjahr können die Jungen bei Liberty längstens bleiben. Die größten Talente werden an Klubs verkauft. Die anderen spornt Tchakala dazu an, ihre akademische Ausbildung an Universitäten fortzusetzen. Das habe er sich von Fußballschulen in Deutschland abgeschaut.

In Ghana geht eine Fußballakademie mit dem viel versprechenden Namen „Right to Dream“ noch einen Schritt weiter. Zwar ist auch hier das fußballerische Talent wichtigstes Auswahlkriterium für die Jungen im Alter von elf Jahren. Doch setzt die Schule, die rund hundert Kilometer von der Hauptstadt Accra entfernt liegt, verstärkt auf die intellektuelle und persönliche Entwicklung der Jugendlichen. Ein umsichtig adaptiertes Curriculum sorgt für einen hohen Ausbildungsstandard. Dutzende Absolventen, die mittlerweile mit einem Stipendium in den Vereinigten Staaten und Großbritannien studieren, bestätigen das Konzept. Auf der „Right to Dream“ geht es darum, ausgewogene und engagierte Persönlichkeiten hervorzubringen, die nicht unbedingt Fußballstars sein müssen. Immerhin kann das Leben seltsame Wendungen nehmen.

So war James Nortey vor drei Jahren noch ein vielversprechender Torhüter der Akademie in Atimpoku. Mit der Hilfe von Tom Vernon, Gründervater der Schule, erhielt er nach seinem Abschlussexamen ein Stipendium an der Hotchkiss School im US-amerikanischen Connecticut. Dort versuchte er sich als Stürmer und schaffte es prompt zum Torschützenkönig der Universität. Gleichzeitig entdeckte er seine Leidenschaft zum Tanzen und wurde von einem italienischen Agenten entdeckt. Seine Chancen demnächst auf einer Broadway-Bühne zu stehen, seien höher, als auf der internationalen Fußballbühne, wie Vernon lachend meint.

Vernon, ein Brite, kam mit 19 Jahren allein nach Ghana, ohne Geld, aber mit einer Trainerlizenz. Er wollte helfen. Er begann ein paar Jungs in Accra zu trainieren und agierte daneben später als Afrika-Scout für den britischen Topklub Manchester United. Über die Jahre wuchs das Budget und damit auch die Ansprüche. Die 1999 gegründete Non-Profit-Organisation finanziert sich aus Eigenmitteln, privaten Spendern sowie kommerziellen Sponsoren und bietet derzeit 45 Schülern Platz.

Anders als bei der Liberty in Togo fallen für die Schützlinge keine Kosten an. „Alle Jungen kommen aus armen Familien“, erzählt Anna Hegley, Leiterin der Akademie. „Familien, die von weniger als einem US-Dollar pro Tag leben.“ Die Schüler sollen lernen, sich nicht durch den Fußball gebrauchen zu lassen, sondern diesen für sich zu nützen, erläutert Hegley das Leitbild der Schule.

Vernon hat große Zukunftspläne für seine Jungs: „Es ist eine einmalige Gelegenheit, um eine neue Elite in Ghana zu formen, eine Upperclass, die eine echte Bindung mit der mittellosen Masse hat.“ Die Schüler hier wüssten aus eigener Erfahrung, was es heißt, Hunger zu leiden. „Die heutigen politischen Köpfe Ghanas kommen nahezu durchwegs aus privilegierten Familien und kennen das Problem der Armut allein vom Hörensagen“, begründet Vernon seinen Ansatz. Natürlich sei traditionelle Entwicklungshilfe wichtig, parallel dazu aber würde sich ein elitärer Ansatz vor allem langfristig bewähren. Für „Fußballprofessor“ Darby ist „Right to Dream“ jedenfalls ein leuchtendes Vorbild für jede afrikanische Sportakademie.

Allein die Suche nach Sponsoren gestalte sich bei diesem Ansatz schwieriger. Die Ausbildung eines Schülers kostet jährlich rund 10.000 US-Dollar und dauert fünf Jahre lang. „Viele Menschen sagen angesichts dieser Zahlen: ,Damit kannst du tausend afrikanische Kinder ernähren‘“, erläutert Vernon sein Dilemma. Seine Antwort: „In Europa kostet eine gute Ausbildung auch 10.000 Dollar pro Jahr, warum soll das für ein afrikanisches Kind zu viel Geld sein? Ich will dafür sorgen, dass zumindest eine kleine Gruppe ghanaischer Kinder eine Ausbildung erhält, die nicht nur in Afrika, sondern weltweit hoch angesehen wird.“ Denn eines Tages sollen nicht mehr Briten, sondern Afrikaner selbst Schulen wie diese gründen und führen.

Mit dieser Vision plant Vernon den Ausbau der Akademie. Talente anderer Sportarten sollen hier künftig ebenso gefördert werden wie Hochbegabte. Der erste Schritt steht allerdings fest: Auch Mädchen sollen bald kicken und die Schulbank drücken. In den kommenden drei Jahren soll sich die Schülerzahl verdreifachen. Der neue Standort außerhalb von Accra bietet genügend Raum dazu, vorausschauend hat die Ausbildungsstätte ein riesiges Areal erworben.

Derzeit werden 20 Schüler pro Jahr aufgenommen, handverlesen von Scouts, die das ganze Land bereisen. Schuldirektor George Jamieson testet ihre akademischen Fähigkeiten. „Manche der Jungen haben ein paar Jahre Schulunterricht hinter sich, andere können nicht einmal Lesen und Schreiben. Wir schauen auch auf die Persönlichkeit und soziale Kompetenzen.“ Zulassungsprüfungen gebe es keine, jeder habe die Chance, Versäumtes aufzuholen. Die Klassen werden nicht nach Altersstufen, sondern nach Bildungsstand eingeteilt: „Jungen mit Lernrückständen bekommen die ersten Jahre mehr Zuwendung. Wir haben kleine Klassen, mit sieben bis zwölf Schülern. Einzelne Fächer, wie etwa Mathematik, werden von zwei Lehrern unterrichtet. Das ist ein Luxus.“

Joshua Waro ist 15 Jahre alt. Er ist seit vier Jahren auf der „Right to Dream“-Akademie. „Am allerliebsten möchte ich natürlich Profifußballer werden. Das will jeder hier”, sagt er. „Aber man weiß nicht, was passieren kann.” Erst vor Kurzem ist er nach einer Verletzungspause zum Training zurückgekehrt. „Du brauchst einen Plan B“, meint er. Seiner ist ein Medizinstudium. Nicht unbedingt, um verletzte Sportler zu betreuen, sondern um den Menschen in Ghana zu helfen.

Ganz im Sinne der „Right to Dream“-Philosophie. „Wir versuchen den Jungen zu zeigen, dass sie eine Riesenchance bekommen. Dass sie dafür auch etwas zurückgeben sollen.“ Das solle nicht nur in monetärer Form geschehen, sollten sie später einmal viel Geld verdienen. Sondern auch im Sinne der Gemeinschaft. Die Akademie verlangt deswegen von ihren Schülern jetzt schon, dass sie sich in Community-Projekte einbringen. „Wir wollen eine neue Elite schaffen. Eine, die weiß woher sie kommt.“ Im Falle von Joshua sind das die Straßen von Kumasi, wo er vor ein paar Jahren mit geliehenen Schuhen einen kaputten Ball kickte.

Für Issa kommen die neuen Fußballschulen zu spät. Er hätte vor drei Jahren seine Abschlussprüfung auf der „Right to Dream“ haben sollen. Die Chance, dass eine Fußballakademie in Europa einen 19-Jährigen aufnimmt, ist verschwindend klein. Für ihn bleibt zu hoffen, dass seine Eltern ein strenges Auge auf ihn werfen und ihn zur Einsicht bringen, dass es auch ein Leben außerhalb des Fußballfeldes gibt. Wer weiß, ob dann sein Leben nicht eine ebenso unerwartet, wie gute Wendung nimmt?

Sechs afrikanische Teams stehen in der WM-Endrunde, so viele wie noch nie. Neben Gastgeber Südafrika qualifizierten sich die Elfenbeinküste, Ghana, Algerien, Kamerun und Nigeria.

600 Afrikaner spielen in europäischen Profiligen. Der überwiegende Teil kommt aus fünf Ländern: aus Nigeria, Kamerun, Ghana, der Elfenbeinküste und dem Senegal.

Afrikanische Fußballprofis weisen hohe Drop-out-Rate auf.
Laut einer Erhebung unter 14 europäischen Fußballklubs schieden zwischen 2002 und 2007 28,5 Prozent der afrikanischen Spieler wieder aus dem Profifußball aus. Nur 13,6 Prozent der lateinamerikanischen und 13,2 Prozent der europäischen Profis unter 29 Jahren ereilte dasselbe Schicksal.

Zweimal standen afrikanische Teams im WM-Viertelfinale. 1990 gilt als Jahr, in dem der afrikanische Fußball erstmals für Furore sorgte. Das Team Kameruns besiegte bei der WM in Italien in der Vorrunde den späteren Finalisten Argentinien 1:0 und scheiterte im Viertelfinale an England knapp mit 2:3. Senegal schaffte dies 2002 in Japan/Südkorea. Damals war gegen die Türkei (0:1) Endstation.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2010)

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