Serbien: Die gefährlichsten Fans der Welt

Serbien gefaehrlichsten Fans Welt
Serbien gefaehrlichsten Fans Welt(c) Gepa (Oskar Hoeher)
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Serbien spielt heute gegen Deutschland. Und Belgrads bekannteste TV-Journalistin wird von Hooligans mit dem Tod bedroht. Ein Blick in die Abgründe des Fußballs.

BELGRAD. Wenn heute Serbien bei der WM in Südafrika auf Deutschland trifft, wird sich Brankica Stanković wieder in ihre vier Wände in Belgrad verkrochen haben. Die Wohnung verlässt die dunkelhaarige Reporterin seit einem halben Jahr nur noch in athletischer Begleitung. Ihr Privatleben finde „nur noch zu Hause“ statt, berichtet sie. Wegen der ständigen Überwachung lässt Serbiens bekannteste Enthüllungsjournalistin auch ihren Beruf vorläufig ruhen: Denn unter Polizeischutz könne sie „nicht objektiv“ recherchieren. Der Grund für ihre unfreiwillige Arbeitspause: Seit ihren Recherchen über die kriminellen Machenschaften von Serbiens berüchtigten Hooligans wird die Journalistin mit dem Tod bedroht.

Die Diskussion über die penetranten Vuvuzelas in den WM-Stadien klingt lächerlich angesichts der Dinge, die sich in Serbien abseits des Fußballplatzes abspielen. Über Kriegsverbrecher, Attentate, Korruption und Mafiakartelle in Nachkriegs-Serbien hat die mehrfach preisgekrönte Reporterin des TV-Senders B92 für das Enthüllungs-Magazin „Insajder“ oft berichtet.

Tödliche Schläge

Es war das Schicksal eines jungen Franzosen, das die 34-Jährige auf die Spur der unseligen Stadion-Seilschaften brachte: der gewaltsame Tod des 28-jährigen Brice Taton, den ein Dutzend Schläger am Vorabend des Europa-League-Gastspiels des FC Toulouse gegen den serbischen Meister Partizan Belgrad im vergangenen September mitten in Belgrad zusammengeschlagen und in einen zehn Meter tiefen Treppenschacht geworfen hatte.

Zwölf Tage nach dem Überfall erlag der Franzose seinen schweren Verletzungen. Es sei für sie einfach „eine Schande“ gewesen, in derselben Stadt wie die Hooligans zu leben, „gegen die niemand etwas zu sagen wagt“, erklärt Stanković, warum sie sich wochenlang durch meterhohe Strafakten arbeitete – und mit ihren bohrenden Fragen Dutzende von Ermittlungsrichtern, Polizeisprechern, Politikern und Vereinsfunktionären nervte.

Ehemalige Kriegsverbrecher

In ihrer Dokumentation nennt Stanković Täter und ihre Schutzherren beim Namen. Von Raub, Nötigung und Drogenhandel über Körperverletzung und Entführung bis hin zu Mord und Totschlag reichen nach Polizeierkenntnissen die Verbechen der oft schon seit Jahren straffälligen Hooligans, auf die die Journalistin bei ihren Recherchen stieß. Trotzdem kam es fast nie zu Verurteilungen – dafür umso häufiger zu vorzeitig eingestellten Verfahren. Der Staat habe durch die ausbleibende Strafverfolgung die im Namen vermeintlicher Klub- und Vaterlandsliebe verübte Gewalt der Hooligans „praktisch legalisiert“, folgert die Reporterin.

Schon zu Zeiten des verstorbenen Autokraten Slobodan Milošević wurden Fußballschläger von Politikern und Rädelsführern als fünfte Kolonne und schlagkräftiges Drohmittel instrumentalisiert. Aus Hooligan-Gruppierungen von Roter Stern Belgrad rekrutierte der später ermordete Kriegsverbrecher Željko „Arkan“ Ražnatović zu Beginn der Jugoslawienkriege Anfang der 90er-Jahre die gefürchtete Miliz der Serbischen Freiwilligen-Garde. Die allzeit kampfbereiten Hooligans des Roten Stern leiteten mit dem Sturm auf das Parlament 2000 pikanterweise auch den Sturz von Milošević ein – und wurden dafür ausgerechnet vom damaligen Oppositionssender B92 mit einem Preis geehrt.

Serbiens Fußballschläger sind bis in die jüngste Vergangenheit eine Allzweckwaffe im politischen Kampf geblieben: Offensichtlich mit dem Segen der damaligen Regierung und unter den Augen der tatenlosen Polizei brannten Hooligans im Februar 2008 bei der Großdemonstration gegen die Unabhängigkeit des Kosovo in Belgrad ausländische Läden und Botschaften aus.

Hooligans unter Schutz

Auch nach der demokratischen Wende vor einem Jahrzehnt ist der prestigeträchtige Sitz in den Aufsichtsräten der Belgrader Großvereine bei Serbiens Politikern und selbst bei hohen Justizbeamten begehrt geblieben. „Polizei und Staatsanwaltschaft tun ihre Arbeit. Aber alles kommt zum Stillstand, sobald die Fälle vor Gericht sind“, klagt Stanković.

„Die Ohnmacht des Staates“ lautet der Titel der Dokumentationsserie, deren erstmalige Ausstrahlung im Dezember der Autorin eine Flut wüster Drohungen und Verwünschungen bescherte. „Brankica, du bist gefährlich wie eine Schlange – und wirst enden wie Curuvija“, skandierten die Fans im Partizan-Stadion: Slavko Ćuruvija, ein Journalist, war 1999 von den Todesschwadronen des Milošević-Regimes ermordet worden war.

Wütende Reaktionen der Hooligans habe sie erwartet, doch noch nie habe sie unter Polizeischutz stehen müssen, erzählt Stanković. Währenddessen sehen sich irgendwo in weiter Ferne europäische Fußballfunktionäre das Spiel gegen Deutschland an.

ZUR PERSON

Brankica Stanković arbeitet für den serbischen TV-Sender B92. Seit sie über kriminelle Machenschaften von Hooligans berichtet hat, wird sie mit dem Tod bedroht. Sie steht unter ständigem Polizeischutz. Die Fans, die sie bedrohen, haben allerdings auch mächtige Schutzherren, einflussreiche Politiker und Wirtschaftsbosse. Die dunklen Netzwerke stammen aus der Zeit der Jugoslawien-Kriege. [Bild: B92]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2010)

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