Die Hürden einer Sportkarriere

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Hürdensprinterin Beate Schrott zeigte mit dem Erreichen des Olympiafinales 2012 groß auf, dennoch setzt die 25-Jährige nun alles daran, schleunigst ihr Medizinstudium abzuschließen.

Bei den Sommerspielen in London 2012 gelang Hürdensprinterin Beate Schrott die Sensation. Die 25-jährige Niederösterreicherin stürmte in das Finale, es war eines der sehr wenigen Highlights dieser Spiele aus österreichischer Sicht. Die Erinnerungen an den „Lauf meines Lebens“ hat die Leichtathletin nicht vergessen, doch der Glanz dieses Erfolges verblasst zusehends. Es gleicht in gewisser Weise dem Schicksal eines Popstars: Mit einem Hit zieht er rasant die Blicke auf sich, folgt aber kein zweiter, gerät er noch schneller in Vergessenheit.

Schrott erhielt nach London sechs, sieben Einladungen zu großen Events. Sie war, als Olympiafinalistin, ein gern gesehener, ein sehr gut gebuchter Hürden-Star aus Österreich. Nun aber, nachdem sie zuletzt auf die Hallen-EM verzichtet hatte, sich selbst in einem präzise geplanten Terminablauf mit PR-Auftritten, Training, Fotosessions und Vorlesungen auf der Universität wiederfindet, wurde es ruhiger um die „Aufsteigerin des Jahres 2012“.

Selbst zum Auftakt der WM-Freiluftsaison mit dem Start der Golden League in Doha, Katar, schien Schrott in keiner Startliste auf. Sie hätte den letzten, noch freien Startplatz für den 100-Meter-Hürdenlauf bekommen, ihn aber abgesagt. Es passe nicht ins Programm, es gehe sich zeitlich nicht aus wegen der Vorlesungen. Am 25. Mai habe sie dafür einen Start fixiert. Statt der Millionliga läuft sie bei der Cosinus-Kurpfalz-Gala in Weinheim. Für größere Meetings ist sie auf der „Warteliste“.


Das Maximum. 12,83 Sekunden hatten ihr 2012 im London-Halbfinale zu Ruhm und Ansehen verholfen. Platz acht in schwachen 13,07 Sekunden („Dieser Augenblick war dennoch gewaltig“) blieb das Maximum der Ausbeute, aber immerhin. Schrott erreichte den Endlauf und seitdem weiß sie, dass „ich es mir zutrauen kann und es auch muss, bei allen großen Events in das Finale zu laufen“. Da nennt sie Destinationen wie Moskau, wo heuer im August die WM stattfinden wird, oder Rio de Janeiro, den Austragungsort der Sommerspiele 2016. Nur, der Weg dorthin ist – parallel zum Studium und als angehende Ärztin – sehr steil, besonders in Österreich.

Vieles sei nach den Spielen anders geworden, sagt sie, und meint, dass es „früher leichter war, alles unter einen Hut zu bringen“. Leistungssport und Leichtathletik seien zwar weiterhin natürlich ihr Leben. Doch die „Leichtathletik ist mein Beruf geworden“, fügt Schrott hinzu, fährt sich entspannt durchs Haar und wirkt trotzdem geplagt. Die Tatsache, dass sie ihr Medizinstudium vorantreibt, um im Jänner 2014 noch den Turnus zu ergattern, begleitet jeden ihrer Schritte. Vom Profisport und von seinem Förderdschungel könne sie leben, reich werde man als Leichtathlet in Österreich aber nicht. Der Wunsch, eines Tages als Orthopädin zu arbeiten, ist daher klug gewählt: „Das ist mein erklärter Weg.“


4:0, aber nicht 9,58. Achtmal pro Woche trainiert die dreifache Hürden-Staatsmeisterin bei Union St. Pölten. Es sind Einheiten, die von Technik, Kraft und Schnelligkeit geprägt sind, sie dauern zumeist zwei Stunden. Die Leichtathletik wurde ihr von der Mutter ans Herz gelegt, sie habe ein Faible für Klassiker wie Turnen, LA und Schwimmen. Wäre das nicht geschehen, sagt Beate Schrott, wäre sie wie viele andere Österreicher auch, womöglich „nie im Leben auf die Idee gekommen“, diesen Sport auszuüben. Es gilt gemeinhin in den Turnsälen dieses Landes schon als Bestrafung, sobald man sich ohne Ball frei bewegen muss...

Dabei habe die Leichtathletik so vieles zu bieten, sagt Schrott. „Es gibt so viele Facetten, Disziplinen“, meint sie und nennt damit zugleich auch die eigentlichen Gründe, warum nicht jeder Star oder dessen Spitzenzeit hierzulande ein Begriff ist. Es gibt schlichtweg zu viele, „und ganz ehrlich: Selbst ich kenne nicht jeden Rekord eines Mittelstreckenläufers.“ Sprinter sind bekannt, ihre Strecke ist kurz und begreifbar, die Typen wären „cool“. Usain Bolt sei ein Begriff, aber bei der Frage nach der Weltrekordzeit des Jamaikaners – 9,58 Sekunden über 100 Meter – würden viele die Segel streichen.

Die breite Masse liebt eben andere Zahlen. Solche, die sie fortlaufend im TV serviert bekommt und deren Aneinanderreihung sie auch verstehen würde. „Bayern München gegen FC Barcelona, 4:0. Damit kann jeder etwas anfangen. Ein arges Spiel, oder?“
Die Katzenausstellung. Wehklagen, Jammern oder gar Raunzen, all diese Vorkommnisse sind Beate Schrott zuwider. Sie übe ihren Sport respektive Beruf nun einmal aus, weil er Spaß mache, sie sich damit identifiziere, wenngleich ihr niemals dieselbe Aufmerksamkeit zuteil werden wird wie einem Bundesligaspieler. Erkannt wird die Hürdenläuferin trotzdem, auf der Raststation Mondsee, vor einer Turnhalle in St. Pölten – und es erfüllt sie mit Stolz. Sie fühlt sich geehrt, wenn sie Kinder zum Sport motivieren kann. Österreichs Leichtathletik habe doch ohnehin viel zu wenige Aushängeschilder.

Welchem Umstand das geschuldet ist, darüber könnte man Bücher schreiben. Schrott bringt es jedoch in knapp 12,83 Sekunden zusammen: Das Malheur beginnt im Elternhaus und führt über die Stille im Turnsaal direkt auf die Wohnzimmercouch. Diejenigen, die es trotzdem versuchen, werden anfangs belächelt, und sollten sie es trotzdem auf ein Leistungsniveau bringen, warten noch weitaus größere, teils unvorstellbare Hürden in Österreich.

Zuletzt ließ ÖLV-Sportdirektor Jürgen Mallow, 67, in Wien mit skurrilen Details aufhorchen. 1500-Meter-Läufer Andreas Vojta, er ist einer der wenigen Topathleten des Landes, klagte über Schwierigkeiten mit einer Trainingshalle. Er musste im Winter in den Schnee ausweichen, weil einer Katzenausstellung Vorrang gegeben wurde. Absurd erscheint auch der Ansatz, dass Lukas Weißhaidinger (Kugel, Diskus) im Winter in Amstetten in einer Viehversteigerungshalle sein Auslangen finden muss. Für Schrott ist das nichts Neues, die schlechte Infrastruktur soll zwar verbessert werden in Hinblick auf die Spiele 2016, doch noch fehlt vielen der Glaube. „Das ist die Realität: Wir haben kaum Trainingsstätten, es gibt zu wenig Trainer. Österreichs Leichtathletik bräuchte kein Megastadion, eine eigene Sporthalle genügt.“ Der Sport gleiche noch einem „Musikantenstadl“. Ach ja, wirft Schrott unverblümt ein, Gerhard Mayer, der beste Diskuswerfer des Landes, trainiere ohnehin in einem „Heustadl“...

Wiens Gemeinderat beschloss nun zumindest den Um- und Ausbau der Cricketanlage im Prater. Laut Angaben des Wiener Leichtathletik-Verbandes wird die Laufbahn samt Sprung- und Wurfanlagen ab Juli saniert. Im September soll die Anlage fertig sein.

Schrott freut diese Botschaft. So verlockend auch die „Flucht ins Ausland“ erscheint – Markus Rogan, Dinko Jukic, Thomas Vanek etc. zeigten es vor oder wie es Mehrkämpferin Ivona Dadic gerade in England im Trainingslager von Superstar Jessica Ennis erlebt – Schrott will in Österreich bleiben.

Resultate und Limits für kommende Großereignisse wird sie in dieser Saison getrost erbringen. Der eine oder andere Vergleich mit der Weltelite im Rahmen der Diamond League ist ebenfalls gewiss. Und trotzdem: Die Finalteilnahme in London hat ihr gezeigt, dass Erfolg vergänglich ist – vor allem in Österreich. Deshalb ist ihr der Schlusssprint, Pardon: die letzte Hürde in ihrem Studium so wichtig. Sie kann von Medaillen träumen, daran glauben – ihr Leben nach dem Sport will sie aber geplant wissen.

Steckbrief

1988
wird Beate Schrott in St. Pölten geboren. Die Hürdensprinterin studiert Medizin und ist eine der besten Leichtathletinnen Österreichs.

2012
erreicht sie bei den Sommerspielen in London das Finale im 100-Meter-Hürdenlauf. Es ist ihr größter Erfolg – neben Platz vier bei der EM in Helsinki.

12,82
Sekunden sind ihre und Österreichs Bestzeit über 100 Meter Hürden (auf dieser Strecke sind zehn 84 Zentimeter hohe, in 8,5-Meter-Abständen aufgestellte Hürden zu überlaufen). 2009, 2010 und 2011 wurde sie österreichische Meisterin. 2011 sogar im 100-Meter-Lauf.

Zwei
Auszeichnungen wurden ihr bereits zuteil. Sie war 2011 ÖLV-Leichtathletin des Jahres und 2012 „Aufsteigerin des Jahres“ – in der Wahl zur „Sportlerin des Jahres“ landete sie hinter Marlies Schild auf Platz zwei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2013)

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