Olympia: Die vergessenen Spiele von Sarajewo

Olympia, Sarajewo, Krieg
Olympia, Sarajewo, Krieg(c) Hedwig Klawuttke
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In keiner anderen ehemaligen Olympia-Stadt werden die Vorbereitungen auf Sotschi mit so viel Wehmut verfolgt wie in Sarajewo. Das Maskottchen steht noch immer für die Sehnsucht nach dem Leben vor dem Krieg.

Sarajewo. Die Zeit hat der Popularität des kleinen Wölfchens in seiner Heimat keinen Abbruch getan. 30 Jahre, nachdem „Vučko“ mit seinem geheulten „Sarajewooo“ weltweit ein Millionenpublikum vor den Fernsehschirmen aufgeschreckt hat, prangt das Olympia-Maskottchen von 1984 in den Souvenirläden der Altstadt noch immer auf T-Shirts, Umhängetaschen und Aschenbechern. Zum Jubiläum ist auch wieder der stilisierte Schneeflockenkristall des einstigen Olympia-Signets auf Plakate und Banner zurückgekehrt: Mit einem Eisfest und Gastspielen der Erste Bank Eishockey Liga feierte die gebeutelte Stadt in diesen Tagen ihr Olympia-Erbe.

„Voller Nostalgie“ würden die Bewohner der bosnischen Hauptstadt die Vorbereitungen auf die Spiele in Sotschi verfolgen, berichtet in den Katakomben der Zetra-Olympia-Halle Edin Numankadic, der Direktor des Museums der 14. Olympischen Winterspiele. In einem Jahrhundert, in dem Sarajewo nur durch Kriege und Attentate für Schlagzeilen gesorgt hat, seien die Spiele von 1984 als einziges positives Ereignis im kollektiven Gedächtnis geblieben: „Die Spiele waren der schönste Moment in der Geschichte der Stadt.“

Freude nach Boykotten

Als einer der bekanntesten Künstler Jugoslawiens wurde der Bosnier 1983 mit der Schaffung des Olympia-Museums und der Organisation des Kulturprogramms betraut. Für die Gastgeber seien die Spiele „wirklich eine enorme Herausforderung“ gewesen, erinnert sich der 65-Jährige an all die hektischen Vorbereitungen. Erst fiel kein Schnee – und dann viel zu viel. Wurden die Sommerspiele 1980 in Moskau und 1984 in Los Angeles von Boykotten und den Nachwirkungen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan (1979) überschattet, waren die Spiele in Sarajewo von einer überaus familiären, heiteren Atmosphäre geprägt. „Der Enthusiasmus der Leute, die Stimmung in der Stadt – es war einfach einmalig“, erinnert sich Numankadic.

In den Vitrinen des Olympia-Museums erinnern leicht verblasste Aufnahmen an die Heroen und längst vergessenen Verlierer von Sarajewo. Das IOC hatte selbst einigen afrikanischen Sportlern die Reise nach Jugoslawien spendiert – und für das Rekordteilnehmerfeld von 49 Nationen gesorgt.

Sportlich sorgte vor allem die 18-jährige Eistänzerin Katharina Witt für Aufsehen, deren kometenhafter Aufstieg in der Zetra-Halle mit zwei Goldmedaillen begann. Auf der Schanze des Berges Igman teilten sich Jens Weißflog und sein finnischer Rivale Matti Nykänen die Medaillen brüderlich. Der Slowene Jure Franko sicherte mit seinem zweiten Platz im Riesenslalom dem Gastland eine viel umjubelte Silbermedaille. Mit Jugoslawiens erster Medaille bei Winterspielen schnitten die Gastgeber immerhin noch besser als die Wintersportnation Österreich ab: Mit einer Bronzemedaille (Anton Steiner, Abfahrt) nahm die Alpenrepublik im Medaillenspiegel überraschend den letzten Rang ein.

Wut und Zerstörung

Der Ausbruch des Bosnien-Krieges 1992 bereitete acht Jahre später der Olympia-Harmonie von Sarajewo ein jähes Ende. 1425 Tage lang prasselten von den Bergen die Granaten auf die von serbischen Truppen eingeschlossene Stadt. Von den Videoschirmen im Olympia-Museum flackern noch immer die Aufnahmen von der lichterloh brennenden Zetra-Halle. Auch das von Edin Numankadic geschaffene Museum wurde 1992 zerstört. „So sah mein Arbeitszimmer aus“, sagt er und weist auf das Foto einer Ruine. Es ist nur noch Bruchwerk, ein Haus ohne Dach. Zum Glück habe er zuvor den Großteil seiner Exponate in sichere Depots einlagern lassen, erinnert er sich an die „traurigste Zeit“ seines Lebens. Zumindest konnten so 80 Prozent der Sammlung gerettet werden.

Die meisten Spuren der Kriegsschrecken sind in Sarajewo inzwischen getilgt, nur im Stadtzentrum sind noch vereinzelt durchsiebte Fassaden und Kriegsruinen zu sehen. Auf der einstigen Olympia-Piste am nahen Jahorina-Gipfel wurde vor wenigen Jahren eine neue Liftanlage installiert. Doch der einstige Olympia-Glanz ist verblichen: Von den Folgen des Kriegs hat sich Sarajewo bis heute nicht erholt. „Es ist leicht, etwas zu zerstören, aber schwer, es wieder aufzubauen“, sagt Museumsdirektor Numankadic.

Jugendspiele als Hoffnung

Rostende, vereinzelt in der Landschaft stehende Schilder warnen an der verwitterten Bobbahn vor gefährlichen, weiterhin in der Umgebung verstreuten Minen. Mithilfe des Internationalen Olympischen Komitees wurde 1999 zumindest die zerstörte Zetra-Halle wieder aufgebaut, in der auch das heimatlos gewordene Olympia-Museum neuen Unterschlupf fand. Die damals keimende Hoffnung auf neue Olympia-Ehren sollte sich jedoch als verfrüht erweisen. Nicht nur die wirtschaftliche Misere, sondern auch das politische Dauergezänk in Bosniens labilem Vielvölker-Labyrinth lässt eine neue Bewerbung um Olympische Spiele derzeit noch als vollkommen illusorisch erscheinen. Denn die einstigen Olympia-Stätten sind heute nicht nur durch die Kriegsfront, sondern auch durch Grenzen geteilt. Ein Teil liegt auf dem Territorium des serbischen Teilstaats der Republika Srpska, ein anderer auf dem der muslimisch-kroatischen Föderation.

Doch immerhin: Als Ausrichter des Europäischen Jugend-Olympia-Festivals 2017 wollen sich Sarajewo und das serbische Ost-Sarajewo in drei Jahren erstmals als Doppelgastgeber versuchen. Die Premiere lässt den vor seiner Pensionierung stehenden Museums-Chef trotz aller Obstakel nun doch eher hoffnungsfroh in die Zukunft schauen. Der olympische Geist sei stärker als alle politischen Probleme, schließt Numankadic selbst eine Neuauflage der Winterspiele von 1984 keineswegs aus: „Mit dem Sport lassen sich immer Brücken bauen.“ Über die Vergangenheit, Gräueltaten, Toten und alle Ängste hinweg.

AUF EINEN BLICK

Die XIV. Winterspiele wurden 1984 in Sarajewo, Jugoslawien – dem heutigen Bosnien und Herzegowina – ausgetragen. 49 Nationen mit 1272 Sportlern nahmen teil. 30 Jahre später wird Wehmut wach, an das Sportfest erinnern nur noch verrottende Sportstätten. Maskottchen „Vučko“, ein Wolf, ist aber heute noch der Topseller im Merchandising.

Österreich erlebte 1984 ein Debakel – Anton Steiner holte mit Bronze in der Abfahrt die einzige Medaille.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2014)

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