Fußball-WM: Maracanã, Brasiliens Symbol für Glanz und Glorie

Maracana stadium is pictured before a press visit in Rio de Janeiro
Maracana stadium is pictured before a press visit in Rio de Janeiro(c) REUTERS (SERGIO MORAES)
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Das Stadion genießt weltweiten Ruhm, es gilt als Mythos rund um die Seleção und soll dem Turnier als Schmuckstück dienen. In Brasilien steht es als „Pilgerstätte des Geldadels“ auch für sozialen Wandel.

Rio de Janeiro. Wer von der Christus-Statue auf Rio blickt, sieht ein Häusermeer. Dahinter schlängeln sich die Strände der Copacabana und Ipanema. Man sieht endlose Straßen – und mittendrin das Maracanã, das Schmuckstück des Fußballs in Brasilien. Ein Symbol und stellvertretend für die Entwicklung des fünftgrößten Staates der Erde mit über 192 Millionen Einwohnern.

Als das Maracanã für die erste WM in Brasilien (1950) gebaut wurde, wollte sich das größte Land Lateinamerikas tolerant und modern präsentieren. Nun steht Brasilien angesichts finanzieller und sozialer Probleme und der extremen Kosten für WM 2014 und Olympia 2016 vor einem Zerwürfnis. Und nur der Finaleinzug der Seleção, samt Titelgewinn, könnte die Nation einen; in ihrem Maracanã.

Doch das Stadion, einst gebaut für alle Brasilianer, unabhängig von Beruf, Geschlecht, Alter, Hautfarbe und sozialer Stellung, hat sich verändert. Fasste es einst mit 200.000 Zuschauern rund zehn Prozent aller Einwohner Rios, ist es nun zu einem Bauwerk moderner Kunst, einem Stadion getreu europäischen Vorstellungen geworden. Nur noch 74.000 Zuschauer passen hinein, nichts erinnert mehr an die Idee des kreisförmigen Baus, der allen den gleichen Blickwinkel auf den Rasen ermöglicht hat. Die Bewegungsfreiheit auf zwei durchgehenden Rängen ist nur noch ein Gespenst von einst – ebenso die Erinnerung an das Endspiel am 16. Juli 1950 gegen Uruguay (1:2).

Das Maracanã, offiziell nach dem Journalisten Estadio Mario Filho benannt, wurde auch als aus Beton gegossenes Manifest des Demokratieverständnisses, als Monument gegen Rassismus und soziale Ungleichheit verstanden. Dieses Verständnis hat sich mit der Neugestaltung – Sektorenteilung, 125 VIP-Logen à 50 Quadratmeter etc. – geändert. Es ist kein südamerikanischer Fußballschatz mehr, sondern nur noch ein Fifa-Stadion. Der „Spiegel“ schrieb: „Das neue Maracanã könnte überall stehen: in London, Frankfurt, Yokohama.“

„Fußball ist teuer geworden“

Früher sollten breite Kreise der Bevölkerung die Chance bekommen, Spiele im Stadion zu sehen, meint Gustavo Mehl, einer der Organisatoren der nationalen Protestbewegungen. Heute ist das ein Ding der Unmöglichkeit. Tickets sind für die meisten unerschwinglich, nicht zu bekommen. Mehl sagt, das Stadion sei nun die „Pilgerstätte des Geldadel“.

Bei der WM sollte es billige Tickets geben, sogar zehn Prozent nach sozialen Kriterien vergeben werden – es blieb eine Mär wie die Geschichte, dass jeder Arbeiter ein Gratisticket bekäme. „Fußball ist zu teuer geworden“, sagt Mehl, auch deshalb koche der Volkszorn. Milliarden wurden von der Regierung in Sportereignisse gepumpt, viel Geld ist versickert – zugleich stiegen Mieten, Preise für Bustickets und Lebensmittel. Es gibt kein Geld für Schulen, deshalb attackierten sogar Lehrer unlängst den Teambus der Seleção. Fußballstars wie Neymar werden vergöttert, sie sind aber nicht mehr unantastbar.

Protestbewegungen wie „O Maracana e nosso“ („Das Maracanã ist unser“) sind während der WM unterwegs, die Privatisierung der um 400 Millionen Euro umgebauten Betonschüssel können aber auch sie nicht aufhalten. Manche Aktivisten trauern der Anarchie auf Brasiliens Fußballplätzen nach. In den Stadien waren bisher nummerierte Plätze unbekannt. Besucher konnten sitzen, wo sie wollten. Mehl: „Sie haben das Maracanã in Wimbledon verwandelt.“ (dat)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2014)

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