Freeride: Die Gefahr als Wegbegleiter

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Sie stürzen sich waghalsig über Klippen, sind auf der Suche nach der perfekten Linie - ihr Risiko fasziniert trotz etwaiger Bedenken. Die Salzburgerin Eva Walkner ist erstmals Weltmeisterin.

Es ist ruhig auf dem Gipfel. Manchmal hört man den Wind pfeifen, sonst herrscht Stille. Zwei, drei Stockeinsätze, dann wird es ernst. Scheinbar mühelos zieht ein Freerider seine Spuren in den Tiefschnee, wo andere schon hoffnungslos den zweiten Purzelbaum geschlagen hätten. Das Gefälle des Hangs wirkt auf den gemeinen Hobbysportler rasch angsteinflößend, dem Profi ringt es Respekt ab. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und wenn sich die Könner auf ihren Skiern respektive dem Snowboard über Klippen mehrere Meter in die Tiefe stürzen, schaut mancher lieber einfach einmal weg.

„Für einen Außenstehenden“, sagt Flo Orley, „machen wir verrückte Sachen.“ Für einen Außenstehenden sind die Ansichten des Tirolers eine glatte Untertreibung. Orley ist in der Freeride-Szene eine echte Institution. Seit fünfzehn Jahren ist er Teil der Swatch Freeride World Tour. Der Weltcuptross beinhaltet zwar nur fünf Events in dieser Saison, zieht dabei aber weite Kreise. Die Bewerbe in Chamonix, Fieberbrunn beziehungsweise Kappl, Vallnord-Arcalis in Andorra und Alaska sind passé. Ab Freitag hält die Tour Station in Verbier, bei den Damen ist die Gesamtsiegerin aber bereits gekürt. Die Salzburgerin Eva Walkner sicherte sich nach zwei Jahren Verletzungspause am Dienstag die WM-Krone bei den Skifahrerinnen.

Flo Orley, 39, ist ein begnadeter Snowboarder und ein locker-lässiger Typ. Es passt in das Gesamtbild, dass er auch Surfen, Base-Jumping und Segeln zu seinen favorisierten Abenteuern zählt. Aber nichts liebt Orley mehr, als mit dem Berg im Gleichgewicht zu sein und seine persönlichen Grenzen auszuloten. Diese können verschwimmen, denn die Bergwelt birgt seit jeher eine große Gefahr: Lawinen. „Sie sind die einzige wirkliche Gefahr in unserem Sport“, erzählt Orley, der sich das Snowboard seit mittlerweile 30 Jahren unter die Füße schnallt. „Ich habe schon sehr viele Lawinen gesehen oder sie losgetreten“, sagt der Innsbrucker. Ein gewisses Restrisiko besteht immer.“ Orley hatte bislang Glück, das andere nicht hatten. Vor sechs Monaten erschütterte die Nachricht vom Tod des Kanadiers JP Auclair und des Schweden Andreas Fransson die Freeride-Welt. Die beiden Routiniers wurden in Chile von einer Lawine erfasst und 700 Meter weit mitgerissen. „Da kommt man schon ins Grübeln“, bemerkt Fabian Lentsch, „die beiden waren so erfahren . . .“

Der 21-Jährige ist erst seit dieser Saison Teil des elitären Kreises von rund 30 Weltcupfahrern, dem einige hundert Athleten aus der ganzen Welt angehören wollen. Dennoch hat der junge Tiroler seine eigene Geschichte zu erzählen. 2012 fuhr er in Seefeld auf einer Lawine gen Tal. Sekunden entschieden womöglich über Leben und Tod. Lentsch konnte sich gerade noch rechtzeitig aus der Gefahrenzone manövrieren. Wie er das Erlebte verarbeitete? „Ich bin eine Woche nicht Ski fahren gegangen.“

Die Streif, ein Wagnis

Selbst wenn die Gefahr immer mitfährt, sie darf nie die Macht der Gedanken übernehmen. Lentsch blendet mögliche Risken „instinktiv aus“, bei Wettbewerben gehe die Gefahr ohnehin „gegen null“. Offensichtlich gefährliche Bereiche werden vorab durch Sprengungen entschärft. Selbiges geschah Anfang Februar auch beim Tour-Stopp im Tiroler Kappl, der aufgrund eines Lawinenabgangs dennoch abgebrochen werden musste. Der Franzose Julien Lopez wurde von den Schneemassen erfasst, während er nach einem Sturz bergauf stieg, um einen verlorenen Ski zu holen. Der 33-Jährige löste sofort sein ABS-Airbag-System aus und hatte Glück im Unglück – er erlitt lediglich leichte Prellungen. Kurioserweise war eine der Sprengungen am Vortag nur fünf Meter vom Abriss der Lawine ausgelöst worden. „Ich habe noch nie erlebt, dass während eines Bewerbs eine Lawine abgeht. Das macht einem schon ein bisschen Angst“, gestand Lentsch. „Man kann einen Hang nie zu 100 Prozent absichern.“

Freerider dürfen nicht zuletzt deshalb als wilde Hunde bezeichnet werden. Ob sie sich aber auch auf die legendäre Streif-Abfahrt in Kitzbühel wagen würden? „Ich müsste dafür schon spezifisch trainieren, habe großen Respekt davor, was die Jungs da machen“, sagt Stefan Häusl, Tiefschneeweltmeister 1999. Genauso wie seine Kollegen kann der Salzburger nicht von den Preisgeldern der World Tour leben. In Fieberbrunn betrug das erhaltene Startgeld 300 Euro, der Sieger streifte immerhin 8000 Euro Prämie ein.

In anderen Sportarten werden Millionäre schneller gemacht. Häusl, Orley und Lentsch aber setzen sich und ihre Sponsoren in Szene, abseits der Bewerbe produzieren sie Freeride-Filme und Dokumentationen. Dafür tingeln sie rund um den Globus, immer auf der Suche nach der perfekten Linie durch den Schnee – und auf der Hut vor der Gefahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2015)

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