Usain Bolt: Der Retter der Leichtathletik?

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Bei der WM in Peking wird nicht nur um Medaillen gekämpft. Beim Duell zwischen Usain Bolt und Justin Gatlin dreht sich alles um das Image der Leichtathletik und die Frage: Wer ist noch sauber?

Alle drei haben Dopingvergangenheit und alle drei sind schneller denn je: Justin Gatlin, Tyson Gay und Asafa Powell haben ihre Sperren abgesessen und wollen heute in Peking beim knapp zehnsekündigen Showdown über 100 Meter Usain Bolt vom Leichtathletikthron stürzen (15.15 Uhr, ORF Sport+, Eurosport). Ihre Chancen sind so gut wie nie zuvor, Gatlin gilt sogar als Favorit. Der US-Sprinter hat vor der WM eines der fragwürdigsten Comebacks der Leichtathletik abgeliefert. Die vier schnellsten Zeiten der Saison über 100 Meter gehen allesamt auf sein Konto, seit knapp zwei Jahren oder 27 Rennen ist er unbesiegt. Die 9,74 Sekunden von Doha im Mai sind seine persönliche Bestleistung, mit 33 Jahren ist er in der Form seines Lebens – und schneller als vor seinen Dopingsperren.

Dass Gatlin überhaupt noch Wettkämpfe bestreiten darf, verdankt er „außergewöhnlichen Umständen“. Mit dieser Begründung wurde die Sperre nach seinem ersten positiven Dopingtest im Jahr 2001 (Amphetamine) auf ein Jahr halbiert. Das Testergebnis sei Resultat einer Medikation gegen ein Aufmerksamkeitsdefizit in seiner Kindheit gewesen, argumentierte Gatlin. Und weil er deshalb nicht als Wiederholungstäter galt, blieb ihm 2006 eine lebenslange Sperre erspart, als er wieder positiv getestet wurde (Testosteron). Diesmal soll ihm ein Masseur die Beine mit Testosteron-Creme eingerieben haben. Gatlin trat als Kronzeuge gegen seinen Trainer auf, vor Gericht wurde die achtjährige Sperre halbiert.

Die Rollen im Duell des Jahres sind also klar verteilt: Auf der einen Seite mit Bolt der König der Leichtathletik, dem in Sachen Doping bisher nichts nachgesagt werden konnte, auf der anderen Seite Bad Guy Gatlin, dessen Triumph ein weiterer Rückschlag für die Glaubwürdigkeit des Sports wäre. Würde ein überführter Dopingsünder, der nur hauchdünn einer lebenslangen Sperre entging, einen der populärsten Sportler der Welt besiegen, wäre der Leichtathletik kein Gefallen getan.

Gatlin stellte vor dem größten Rennen seine Lebens klar, dass er mehr sei als ein Dopingsünder. „Ich habe davor und danach viel erreicht. Was Kritiker über mich sagen, schert mich nicht besonders“, meinte der US-Sprinter. Die unfreiwillige vierjährige Auszeit sei mehr Segen als Fluch gewesen, er fühle sich „wie 26 oder 27“. In Peking habe er viel zu beweisen, „ich glaube, mein Highlight wird erst kommen“.


Bolts schwerstes Rennen. Dass sein Duell mit Bolt zum Kampf Gut gegen Böse hochstilisiert wird, kann Gatlin nicht nachvollziehen. „Es gibt keinen Guten und keinen Bösen. Ich bin auch nur ein Sprinter genauso wie er. Keiner von uns will die Weltherrschaft übernehmen, keiner versucht, die Welt in die Luft zu jagen.“ Gatlin weiß, dass er in absoluter Topform sein muss, um Bolt zu schlagen. „Auf dem Papier bin ich in der Form meines Lebens und ich bin bereit alles zu tun, was nötig ist. Ich würde sagen, es ist ausgeglichen.“

Bolt, am Freitag 29 Jahre alt geworden, hat kein Problem damit, gegen Gatlin anzutreten. Immerhin hat er seinen Rivalen in sieben Aufeinandertreffen über 100 Meter sechsmal besiegt. Schade sei lediglich, dass nicht der Wettkampf im Mittelpunkt stehe. „Alles, was ich höre, ist Doping, Doping, Doping, alle Fragen drehen sich um Doping. Aber es gibt nichts, was ich dagegen tun kann.“ Denn dass er als einer der größten Stars den Sport nun vor den Betrügern retten müsse, wies er zurück. „Zunächst einmal laufe ich für mich selbst. Es gibt viele Athleten, die schon ihr Leben lang sauber laufen. Ich kann den Sport nicht allein retten, alle stehen in der Verantwortung.“

Mit seiner Form ist er zufrieden, obwohl er lieber mehr Wettkampfpraxis gesammelt hätte, als wegen seiner Leistenverletzung möglich war. Vor seinem letzten Auftritt in London hatte Bolt noch für viel Rätselraten gesorgt. Wie im Vorjahr war er nur selten am Start und das mit mäßigem Erfolg. Wegen einer Blockade im linken Bein hat er die Auftritte bei den Diamond-League-Meetings in Paris und Lausanne abgesagt. Ende Juli in London lief er die 100 Meter immerhin zweimal in 9,87 Sekunden. Von seinem Weltrekord (9,58) ist er freilich weit entfernt, auch auf Gatlin fehlt noch einiges. „Ich hatte mir keine spezielle Zeit vorgenommen, weiß aber, dass ich mit einem guten Start schneller hätte laufen können“, erklärte Bolt nach seinem besten Rennen in den vergangenen zwei Jahren. „Ich bin im Training schon schneller gelaufen“, sagte er auch in Richtung seines Rivalen Gatlin, der wegen seiner Dopingsünden nicht nach London eingeladen worden war.


Ausreden und Ausnahmen. Aus demselben Grund durften auch Powell und Gay nicht in London antreten. Rechtzeitig zur WM präsentieren sie sich aber in Topform. Mit 9,81 Sekunden ist Powell, 32, nach Gatlin der zweitschnellste Mann der Saison und nähert sich seiner persönlichen Bestmarke von 9,72 Sekunden (2008) an. Seit gut einem Jahr ist Powell wieder zurück auf der Sprint-Bühne. Nach einem positiven Test auf das Stimulanzmittel Oxilofrin wurde der Jamaikaner für sechs Monate verbannt. Eigentlich hätten es 18 Monate sein sollen, ein Gericht reduzierte die Sperre um ein Jahr. Powell bestritt, wissentlich gedopt zu haben, die Substanz sei in verunreinigten Nahrungsergänzungsmitteln gewesen.

Erst im Juli kehrte der US-Amerikaner Gay, 33, auf die Tartanbahn zurück. Mit 9,87 Sekunden liegt er auf Rang sechs der Jahresbesten. Als sich 2013 bei Gay ein anaboles Steroid fand, gestand er, kooperierte mit den Behörden und fasste ein Jahr Sperre aus. Mit 9,69 Sekunden (2009) ist Gay der zweitschnellste 100-Meter-Sprinter der Geschichte, gemeinsam mit Yohan Blake.

Auch Blake, 25, wurde 2009 in seiner Heimat Jamaika positiv getestet (Methylhexanamin). Die WM verpasste er wegen einer Verletzung, dafür weilte sein Coach Glen Mills in Peking. Mills trainiert bereits seit zehn Jahren auch Bolt. Pikanterweise wurden mit Blake und Marvin Anderson (2009) bereits zwei Trainingspartner des Weltrekordhalters überführt. Weil aber gegen Bolt kaum mehr als Verdachtsmomente vorliegen, wird er nun zur letzten Hoffnung gegen Gatlin und Co. stilisiert. Er selbst fühlt sich bereit, ausgerechnet in Peking, wo 2008 bei den Olympischen Sommerspielen sein Stern aufging, seinen Legendenstatus auszubauen. „Ich bin immer noch die Nummer eins, ich war noch nie die Nummer zwei.“

Steckbrief

Usain Bolt wurde am 21. August 1986 in Trelawny (Jamaika) geboren.
Größe: 1,96 m
Gewicht: 94 kg

WM-Titel (8-mal Gold): Berlin 2009: 100 m, 200 m (jeweils Weltrekord), 4 x 100 m

Daegu 2011: 200 m, 4 x 100m (WR)

Moskau 2013: 100 m, 200 m, 4 x 100 m

Weltsportler
2009, 2010, 2013

Bestzeiten:
100 m: 9,58 Sek. (WR, 16. 8. 2009, Berlin)
200 m: 19,19 Sek. (WR, 20. 8. '09 Berlin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2015)

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