Zwei Wunderkinder sind erwachsen geworden

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US-NORWAY-RUSSIA-CHESS-CHAMPIONSHIPAPA/AFP/EDUARDO MUNOZ ALVAREZ
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Titelverteidiger Magnus Carlsen hat bei der Schach-WM in New York gegen Sergej Karjakin zurückgeschlagen. Beide Spieler zeigten früh großes Talent, als gefeierter Weltstar bzw. unscheinbarer Herausforderer duellieren sie sich um die Krone.

New York/Wien. Nach Runde zehn ist bei der Schach-WM in New York wieder alles offen. Titelverteidiger Magnus Carlsen stellte mit seinem ersten Sieg über Sergej Karjakin den Gleichstand her, vor den beiden letzten regulären Partien heute und am Montag steht es 5:5. Während Fans und Experten über die Bedeutung für den weiteren Verlauf diskutieren, hat der Herausforderer zumindest den Vergleich der Manieren bereits für sich entschieden. Im Gegensatz zum impulsiven Carlsen, der nach der verlorenen achten Partie verärgert die Pressekonferenz schwänzte, stellte sich Karjakin den Fragen.

Die Leichtigkeit der vergangenen Tage war beim Russen freilich verflogen, schockiert bis ungläubig ließ er sich vom Rivalen die gleich zweimal verpasste Chance, ein Remis zu sichern, vorführen. „Irgendwie habe ich da einen Riesenfehler gemacht“, sagte der 26-Jährige, die stottrige Stimme noch brüchiger als sonst.

Zwei Kunstformen

Das Duell in Manhattan ist das zweier erwachsen gewordener Wunderkinder. Im Alter von zwölf Jahren und sieben Monaten kürte sich Karjakin zum bislang jüngsten Großmeister, Carlsen, 25, musste sich sieben Monate länger gedulden. Inzwischen ist der Norweger mit seiner atypischen Spielweise davongezogen, regiert seit 2013 als Weltmeister. Er legt vergleichsweise wenig Wert auf die Eröffnung, vielmehr nimmt er sich die Zeit, seinen Gegner in einen Kampf der Geister – abseits einstudierter Varianten – zu verwickeln. In diesen sucht er dann die oftmals unmöglich scheinende Siegchance, und wird nicht selten fündig. „Mozart des Schachs“ nennen sie den Titelträger, mit einem solchen Spitznamen wurde Karjakin noch nicht geadelt. Zu wenig glamourös wirkt seine Taktik der zermürbenden Defensive, mit der er auch Carlsen im Lauf dieser WM schon zur Verzweiflung getrieben hat.

Ähnlich krass wie im Spielstil unterscheiden sich beide in ihrem Auftreten. Carlsen, das launische, grimmig dreinschauende Model, das im Fernsehen gegen Bill Gates oder inkognito im Central Park spielt und den Schachsport in neue Sphären katapultiert hat. Im Gegensatz dazu der unscheinbare Karjakin, der in Interviews offenherzig seine Unterstützung für Wladimir Putin und die Annexion der Krim-Halbinsel kundtut und zu einer WM-Partie schon einmal Tee in der eigenen Thermoskanne mitbringt.

Ruhm und Ehre für Russland

Beide sind Jahrgang 1990, entstammen aber verschiedenen Welten. Karjakin kam in Simferopol auf der Krim zur Welt, mit neun wurde er von der Schule frei gestellt und ging in die Schachakademie in Kramatorsk. Doch in der Ukraine fehlte es an Lehrern und Geld, 2009 nahm er daher das Angebot des russischen Verbandes an, gab die ukrainische Staatsbürgerschaft auf und zog nach Moskau. In der frühen Phase gründet für den Weltranglistenneunten (Elo-Bestwert 2788) auch der Vorsprung Carlsens (2882 – Rekord). „Er hatte alle Unterstützung, ich von zwölf bis neunzehn praktisch keine“, sagte Karjakin.

Während Carlsen eine Weltmarke ist, sein Weg aus dem behüteten Elternhaus zum Star ist sogar im Kino zu sehen, wurde der Herausforderer bis vor Kurzem nicht einmal in der Heimat erkannt. „Einmal gingen Magnus und ich in eine Metrostation, wo uns Jungs entgegenliefen. Wir waren zuerst erschrocken, aber sie wollten nur ein Foto mit ihm“, erzählte der Russe, selbst Vater eines Sohnes. Das wird sich nun ändern. In New York begleitet das russische TV Karjakin auf Schritt und Tritt, er soll der einstigen Schachgroßmacht die WM-Krone zurückbringen. Zwei reguläre Partien hat er dafür noch Zeit.

AUF EINEN BLICK

Bei der Schach-WM in New York hat Titelverteidiger Magnus Carlsen (NOR) mit einem Sieg in der zehnten Partie gegen Sergej Karjakin (RUS) auf 5:5 ausgeglichen. Heute (20 Uhr) steigt das elfte von zwölf regulären Duellen.

Sollte ein Spieler bis Montag mindestens 6,5 Punkte erreichen, ist die WM entschieden. Bei Gleichstand folgt ein Tie-Break mit verkürzter Bedenkzeit und gegebenenfalls schließlich ein Sudden-Death-Match.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2016)

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