Andre Agassi: Vom Vokuhila zum Buddha

(c) AP (Adam Stoltman)
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In seiner Autobiografie „Open“ gibt Andre Agassi einen schonungslosen Einblick in den Tennissport. „Ich bin verdammt spät erwachsen geworden.“

WASHINGTON. Der Watschelgang und die Quirligkeit, mit der er auf dem Tenniscourt seine peitschende Vorhand und die krachenden Returns geschlagen hat, sind ihm geblieben. Die glatt polierte Glatze lässt Andre Agassi jedoch wie einen kleinen Buddha erscheinen, der die Höhen und Tiefen des Lebens durchschritten hat, um nun geläutert und abgeklärt Rückschau auf seine Karriere zu halten.

Zusammen mit seiner Frau Steffi Graf, der deutschen Tennis-Queen, und den beiden Kindern führt der einstige Paradiesvogel des weißen Sports ein ruhiges Familienleben in Las Vegas und kümmert sich um seine Stiftung, eine Vorbereitungsschule fürs College. Er selbst hat die High School mit 14 Jahren abgebrochen.

Ein Bestseller

Vielleicht ist ihm ja die beschauliche Existenz in dem Glücksspiel-Dorado dann doch ein wenig zu langweilig geworden. Drei Jahre nach dem tränenreichen, von höllischen Rückenschmerzen erzwungenen Ende seiner Karriere bei den US-Open in Flushing Meadows ist soeben seine Autobiografie „Open“ herausgekommen, die durch gezielte Marketingstrategie und schonungslose Enthüllungen bereits vor ihrem Erscheinen für Furore gesorgt hat.

Das Buch mit dem doppeldeutigen Titel, eine gleichsam psychotherapeutische Aufarbeitung, hat den 39-Jährigen schlagartig in den Wanderzirkus der Talk-Show-Welt zurückkatapultiert. Als Ghostwriter ist ihm J.R. Moehringer zur Hand gegangen, ein Exjournalist und Pulitzerpreisträger, der mit seinen Kindheitserinnerungen „Tender Bar“ einen Bestseller gelandet hat – ein Buch, das dem Tennisspieler mächtig imponiert hat.

Ein Bestsellererfolg ist auch Andre Agassi sicher. Dass er auf dem Tiefpunkt seiner Karriere die Droge Chrystal Meth geraucht hat und sich nach einem positiven Drogentest durch eine Lüge um eine Sperre durch den Tennisverband ATP geschwindelt hat, hat in der Tenniswelt gehörig Staub aufgewirbelt. Martina Navratilova und Boris Becker sind besonders scharf mit Agassi ins Gericht gegangen.

Agassi kann das alles nichts mehr anhaben, die großen Triumphe bei allen vier Major-Turnieren vermag ihm niemand mehr zu nehmen. Ihm sei es bei seinen Memoiren um absolute Ehrlichkeit gegangen, erklärte er jetzt ein ums andere Mal. Als er 1997 ganz unten war, auf Platz 141 der Weltrangliste, angeekelt vom oberflächlichen Glamour und unglücklich verheiratet, habe er sich aus dem eigenen Schopf aus der Depression gezogen und ist mit einem einmaligen Comeback und im Duell mit seinem ewigen Rivalen Pete Sampras wieder bis zur Nummer eins hochgeklettert. „Ich habe eine zweite Chance bekommen.“ Es ist eine Story, wie die Amerikaner sie lieben.

Hemmende Löwenmähne

Zu dem Zeitpunkt hatte er sich auf Anraten seiner damaligen Frau Brooke Shields, dem Hollywood-Star, bereits seiner Vokuhila-Perücke entledigt, die ihn zu Beginn samt seinem grellen Outfit und den Jeans-Shorts zum Punk und Tennisrebellen mit Faible für Junkfood gestempelt hat. Dafür trug er Schuheinlagen, damit die groß gewachsene Shields in High Heels herumstöckeln konnte.

In seinem ersten Grand-Slam-Finale in Paris 1990 hat er sich, wie er in einer amüsanten Episode schildert, mehr darum gesorgt, plötzlich ohne Löwenmähne dazustehen und sich ja nicht zu viel zu bewegen, als den Gegner in die Knie zu zwingen. Prompt verlor er das Endspiel in Roland Garros. Neun Jahre später sollte er aber auch in Paris triumphieren und die Damensiegerin Steffi Graf näher kennenlernen. Es war der Beginn einer reichlich ungewöhnlichen Romanze: hier die spröde Deutsche und bescheidene Dominatorin der Damentour, dort der schillernde, als arrogant verschriene Amerikaner mit der Staraura.

„Ich bin verdammt früh berühmt, aber verdammt spät erwachsen geworden“, gesteht er ein. Von klein auf galt er als Tenniswunderkind, zuerst erbarmungslos gedrillt von seinem Vater – einem iranischen Immigranten und Boxer – und danach in der Tennisakademie von Nick Bollettieri in Florida zum Spitzensportler ausgebildet. „Ich habe Tennis gehasst“, sagt er im Nachhinein. Den ballspeienden Automaten mit einem Pensum von 2500 Bällen am Tag hat er als „Drache“ in Erinnerung. Heute hätte ihn sein Vater, meint er, wohl zum Golfplatz geschleppt. Da wäre er noch längst aktiv und vielleicht erst am Zenit. Vom Tennis hat Agassi jedenfalls fürs Erste genug. Obwohl ihn seine Frau zuweilen anstachelt, steht er nur noch ganz selten am Tenniscourt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2009)

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