Sport und Religion: Vorboten einer "sanften Revolution"

(c) GEPA (Sebastian Krauss)
  • Drucken

Ägyptens Damen holten vor einem Jahr den Squash-WM-Titel. Seither gelten sie als „New Role Models“, die den Spagat zwischen Religion und Sport versuchen. Viele Ägypter bejubeln das – aber nicht alle.

Das aerodynamische Kopftuch, das ein arabischer Designer kürzlich entworfen hat, würde Heba Al Torky nicht einmal probieren. „Ich trage kein Kopftuch, auch auf der Straße nicht.“ Al Torky trägt einen weiß-roten Trainingsanzug und hat ihre schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Einige Minuten zuvor, auf dem Court, lief sie noch in einem weißen, äußerst knappen Rock herum, darunter Stretchleggings. Unter den Zuschauern befanden sich einige Männer, die weniger des Sports als der nackten Haut wegen zuschauen. Gerade hat Al Torky das Halbfinale der „Egyptian Close“, einer Vorausscheidung für internationale Meisterschaften, in drei Sätzen verloren. Enttäuscht ist sie nicht. Die 18-Jährige ist immerhin der Nummer sieben der Welt, Omneya Abdel Kawy, unterlegen. Unterdessen läuft das zweite Halbfinale zwischen Engy Kheirallah und Raneem El-Weleily. Die vier Halbfinalistinnen bilden das Nationalteam Ägyptens: Alle vier beten Richtung Mekka, sind Squashprofis, Weltmeisterinnen und entsprechen äußerlich kaum der westlichen Vorstellung vom Prototyp einer muslimischen Frau.

Ihrer Erotik nicht bewusst

Omneya Abdel Kawy sagt, sie brauche das Kopftuch nicht, um ihren Glauben auszudrücken. „Das kommt vielleicht auch vom Sport. Wenn man als Mädchen ohne Kopftuch anfängt, ist es ungewohnt, in der Pubertät mit Schleier zu spielen.“ Als Abdel Kawy das sagt, streckt sie ihren Hals lang nach vorne und fährt mit beiden Händen durch ihr durchgeschwitztes Haar. Der Erotik ihrer Geste scheint sie sich nicht bewusst zu sein. Natürlich könne sich alles ändern, wenn sie heirate, vielleicht höre sie dann auf, Squash zu spielen. Momentan sei das aber kein Thema.

Momentan verkörpert Abdel Kawy wie ihre Kolleginnen das „New Role Model“ der modernen ägyptischen Frau. Abdel Kawy ist studierte Betriebswirtin, hat ihren eigenen Sponsor, und für Turniere reist sie bis zu 15-mal im Jahr ins Ausland. In ihren Gebeten erklärt sie Allah, dass die Familienfeiern, die sie sausen lässt, für sie nicht bedeutungslos seien, aber sie sei nun mal Profisportlerin. „Leute, die das nicht verstehen, leben in einem anderen Jahrhundert.“

Seit dem WM-Titel sind die vier Frauen ins Interesse der nationalen Medien gerückt. Sie schafften es in diverse TV-Sendungen; die Tageszeitung „Al Ahram“, Ägyptens Leitmedium, hat ihnen Artikel gewidmet, das „Egyptian Airlines“-Magazin bejubelte sie und Präsident Hosni Mubarak überreichte gar die Ehrenmedaille für Sportler erster Klasse.

Den vieren ist anzumerken, dass sie schon einige Interviews gegeben haben. Auf der Straße werden sie nicht selten erkannt, und die Verehrer sind in letzter Zeit nicht weniger geworden. In der Frage nach Liebe sind sich Al Torky und Abdel Kawy einig: Sie wollen keinen Freund. „Einige Mädchen haben einen. Das schickt sich nicht, wenn man nicht verheiratet ist“, stottern Al Torky und Abdel Kawy nach einer kurzen Pause. Und es lenke vom Sport ab.



„Natürlich opfere ich mein Familienleben. Aber ich arbeite hart für mein Land, das kann Allah nur gefallen.

Squashprofi Engy Kheirallah

Als das zweite Halbfinale zu Ende ist, stoßen Engy Kheirallah und Raneem El-Weleily dazu. Kheirallah ist die Bekannteste aus dem Quartett, auch weil ihr Ehemann Karim Darwish international an der Spitze der Squashwelt steht. Während der letzten Monate trat das Ehepaar in TV-Sendungen auf und äußerte sich zur Rolle der Frau und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. „Natürlich opfere ich mein Familienleben. Aber ich arbeite hart für mein Land, das kann Allah nur gefallen.“

Kheirallah wird von ihrem Mann unterstützt, die anderen drei von ihren Familien. Was aber, wenn diese Rückendeckung fehlt? Suad Saleh, Theologieprofessorin und Fernsehpredigerin aus Kairo, erklärte der „Zeit“, dass der Mann seine Frau zwar unterstützen müsse, sie aber genauso zu ermahnen habe, wenn diese unvernünftig sei. Zum Beispiel wenn sie ohne Zustimmung ihres Mannes verreise. Widerspenstige Frauen dürfen auch geschlagen werden.

„Squash ist ein Sport, den eigentlich nur Menschen der oberen sozialen Klassen spielen. Die meisten sind gebildet und diskutieren Probleme. Die Frau sollte dem Mann schon gehorchen, wie Kinder eben auf ihre Eltern hören. Aber das geht ohne Gewalt.“ Als Al Torky ihren Satz beendet hat und ihre Augen zufrieden mit ihrer Argumentation strahlen, schubst ein Mann seine Tochter aus einer Kabinentür. Dahinter gehen zwei verschleierte Frauen und wagen es nicht, den wütenden Vater zurückzuhalten. Keine der vier Spielerinnen kommentiert den Vorfall. El-Weleily beginnt, den brüllenden Vater ignorierend, über die Rechtsgelehrte Suad Saleh zu reden. Ob diese Frauensport, den man in Saudi-Arabien wegen der verführerischen weiblichen Bewegungen nicht gerne sieht, gutheißen würde? „Bestimmt nicht.“ El-Weleily weiß, dass es auch in Ägypten eine konservative Schicht gibt, die mit Frauensport nichts anfangen kann und will. Und die Männer, die nur zum Squashcourt kommen, weil sie dort mehr Frauenhaut sehen als auf der Straße? „Sind mir egal. Männer schauen sowieso. Wenn sie uns zuschauen, sehen sie immerhin noch Sport.“

Nicht nackt, nicht verhüllt

Aber das Sportkopftuch, ist das ein Fort- oder Rückschritt? Kheirallah antwortet als Erste: „Spielerinnen, denen der Sport sonst zu freizügig ist, hilft das. Ich bemühe mich, dem Sport gerecht zu werden. Da will ich zwar nicht nackt rumlaufen, aber auch nicht verhüllt – so, wie es die internationale Etikette vorsieht.“ Konservative deuten die „New Role Models“ vielleicht als widerspenstig. Für das „Time“-Magazin, das kürzlich über Kairos Weg in das 21. Jahrhundert berichtete, sind sie ein Argument für die „sanfte Revolution des Islam“.

AUF EINEN BLICK

Ägyptens Squashdamenpassen in das Bild, das das Magazin „Time“ als „sanfte Revolution des Islam“ bezeichnete. Die vier Frauen spielen ohne Schleier, was ihnen teils herbe Kritik einbringt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.