Rad: Euskaltel - die Wasserträger des Nationalismus

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Das baskische Euskaltel-Euskadi-Team prägt einen Anachronismus im modernen Profiradsport. Hält das nationalistische Modell von Euskaltel-Euskadi das Team in sportlicher Hinsicht zurück?

Fast wäre Miguel Madariaga 1997 ins Gefängnis gegangen. Seit Monaten hatte er weder Steuern noch Gehälter gezahlt, weil Geld und Sponsor fehlten. „Wir wollten Athletic Bilbao nachahmen“, sagt Madariaga heute, 14 Jahre später, als er sich in seinen Bürosessel in Derio, einem Vorort von Bilbao, zurücklehnt. Athletic Bilbao ist der bekannteste baskische Fußballklub und nimmt nur baskische Spieler unter Vertrag. Als einer der wenigen spanischen Vereine, die niemals in die zweite Liga abgestiegen sind, ist die Fanunterstützung von Athletic überragend. „Eine Legende“, lächelt Madariaga mit Bewunderung. „Das war mein Traum. Ich wäre dafür gestorben, auch nur etwas entfernt Ähnliches im Radsport zu schaffen.“

Eine Gefängnisstrafe konnte Madariaga abwenden. Die damals neu gegründete Telefongesellschaft Euskaltel wurde 1997 neuer Sponsor und sanierte das Team – mit Unterstützung der baskischen Gebietskörperschaften. Das war auch die Stunde null der sportlichen Erfolge. Bald wurden Etappen bei den Grands Tours gewonnen, 2001 zum ersten Mal die Tour de France gefahren. Längst ist das Team nicht mehr aus dem Profiradsport wegzudenken. Am Sonntag tritt es natürlich auch bei der Flandern-Rundfahrt an, neben Paris–Roubaix das berühmteste Eintagesrennen der Welt.

„Unser Einzugsgebiet ist sehr klein“, betont Igor González de Galdeano im Radkeller des Trainingsgeländes. Die baskischen Provinzen haben rund drei Millionen Einwohner. Natürlich seien auch Ausländer mit baskischen Wurzeln erlaubt, wie einst der Venezolaner Unai Etxebarria, oder Fahrer, die mindestens drei Jahre ihrer Jugendausbildung im Baskenland verbracht haben, wie der Olympiasieger und gebürtige Austurier Samuel Sánchez.

Euskaltel ist das älteste Team der Pro Tour

Dennoch ist das Konzept von Euskaltel-Euskadi einzigartig. Nirgends im Radsport gibt es eine so konkret nationale Ausrichtung. Euskaltel-Euskadi ist mittlerweile das älteste Team in der UCI Pro Tour. Egal, welche Partei das Baskenland regiert, die öffentliche Unterstützung für die Mannschaft scheint gesichert. „Politisch wäre es höchst unpopulär, das Team fallen zu lassen. Es ist einfach zu beliebt“, erklärt Alain Laiseka, Journalist der baskischen Tageszeitung Deia.

„Wir sind eben die inoffizielle baskische Nationalmannschaft“, schwärmt Miguel Madariaga. So erkläre sich zumindest die Beliebtheit des Teams, meint Laiseka. Denn Euskaltel-Euskadi wird allgemein mit den Unabhängigkeitsbestrebungen des Baskenlands in Verbindung gebracht. „Bei uns kommen und gehen die Fahrer nicht wie bei anderen Teams. Samuel Sánchez könnte anderswo mehr verdienen, aber er hat alle Angebote abgelehnt“, sagt Igor González de Galdeano.

Aber ist das schon alles, was eine Nationalmannschaft ausmacht? Nein, sagt Juan Manuel Gárate, der für das niederländische Team Rabobank fährt. Von Geburt Baske, ist er auch in Italien und Belgien gefahren. Ein Angebot von Euskaltel-Euskadi hat er abgelehnt. „Wenn da nur Basken fahren, kann man sich nicht so gut entwickeln. Das Team ist zu homogen.“ Deswegen würden auch niemals die besten baskischen Fahrer für Euskaltel-Euskadi antreten.

Andere, wie jüngst Beñat Intxausti, der zu Movistar wechselte, verlassen das Team, weil sie anderswo besser verdienen. Zwar ist Euskaltel-Euskadi nicht arm, mit einem Etat von 6,5 Millionen Euro aber höchstens im finanziellen Mittelfeld der Profiteams. „Natürlich wollen Profis gut verdienen“, sagt Samuel Sánchez. „Aber hier werden die Fahrer zudem durch ein Zusammengehörigkeitsgefühl und Identifikation mit dem Projekt gehalten.“ In einigen Fällen, wie bei Sánchez oder dem Star Igor Antón, klappt das.

„Um zu studieren, muss man an die Universität gehen. Um Radprofi zu werden, ins Baskenland“, sagt ein spanisches Sprichwort. Aber trotz der guten Nachwuchsarbeit bleiben nicht alle Talente hier. Stars wie Alberto Contador, Carlos Sastre oder Óscar Freire machten Teile ihrer Ausbildung im Baskenland, gingen aber zu reicheren Teams.

Hält das nationalistische Modell von Euskaltel-Euskadi das Team in sportlicher Hinsicht zurück? Der Meinung war kürzlich Präsident Miguel Madariaga, als er seinen Geldgebern vorschlug, auch Ausländer einzustellen. „Die Antwort war ein einstimmiges Nein“ erzählt er mit einem leisen Seufzen. „Sie sagten, dann wären wir dem Charakter des Teams nicht mehr treu.“ Es scheint ironisch, dass gerade die Sponsoren gegen bessere Erfolgsaussichten und für ein beliebtes Image stimmen. Der Imperativ des Kommerzes, im Radsport allgegenwärtig, scheint sich im Baskenland gegen nationale Identität nicht durchsetzen zu können.

Das Gegenteil könnte der Fall sein: Euskaltel-Euskadi besetzt eine Nische im modernen Profiradsport und macht sich dadurch für Sponsoren interessant. Juan Manuel Gárate hat wohl recht und das Team wird nie den allerbesten Kader stellen. Aber es wird, solange der baskische Nationalismus weiterlebt, dank seiner Nachwuchsarbeit vorn mitfahren können. Denn selbst wenn sich die Offiziellen von Euskaltel-Euskadi dagegen sträuben, politisch zu wirken, so werden sie zumindest in der Weise identifiziert, zum Gefallen der Basken.

In diesem Jahr führt die Vuelta a España zum ersten Mal nach 33 Jahren wieder durch das Baskenland. „Wir wollen gewinnen“, sagt Igor González de Galdeano. Und selbst wenn sie es nicht tun, wird die Unterstützung groß sein. Nicht ganz so groß wie alle zwei Wochen bei Athletic Bilbao, aber nach Maßstäben des Radsports durchaus vergleichbar. Miguel Madariagas Traum, so scheint es, hat sich doch erfüllt.

Auf einen Blick

Das Baskenland befindet sich in Nordspanien und Südfrankreich. Während der Franco-Diktatur wurde die baskische Kultur systematisch unterdrückt. Nicht zuletzt dadurch wurden nationalistische Gefühle in der Bevölkerung geschürt. Terrorgruppen wie die ETA („Euskadi Ta Askatasuna“ – Baskenland und Freiheit) gewannen Einfluss. Seit Spaniens Entwicklung zur Demokratie om Jahr 1975 erholt sich die baskische Kultur und die ETA findet hauptsächlich Ablehnung. Noch immer aber ist das Streben nach Unabhängigkeit von Spanien ein wichtiges Element im nationalen Bewusstsein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2011)

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