Die Geschichte eines gemachten Mannes

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Balian Buschbaum, einst Weltklasse-Stabhochspringerin, verzichtete auf die Sportkarriere, um als Mann zu leben. Bei der WM 2011 hätte er im Finale der Frauen stehen können. Sein Lebensweg ist einzigartig im Profisport.

Berlin. Gestern das Finale der Frauen, am Montag jenes der Männer. Bei beiden hätte er theoretisch starten können. Aber Balian Buschbaum ist nicht in Daegu. Er arbeitet als Trainer und schreibt über sein Leben. Ein Gong ertönt, die Zuschauer drehen sich um. Da schlendert Buschbaum voller Selbstbewusstsein, wie ein Unbesiegbarer mit herausgestreckter Brust, locker durch den Gang zwischen den Stühlen zum Podium. Vorn liest er aus seinem Buch „Blaue Augen bleiben blau“. Wieder eine dieser Lesungen, diesmal im deutschen Dessau, Sachsen-Anhalt.

Buschbaum steckte 27 Jahre lang im Körper einer Frau, ehe er sich für eine geschlechtsanpassende Operation entschied und damit vorzeitig seine Profisportkarriere aufgab. Mit seiner weichen Stimme und betont höhnischem Lachen beginnt er mit einer Textpassage, die seinen Höhepunkt als Stabhochspringerin beschreibt. Die Erfolge der deutschen Olympia-Hoffnung und seinen Hass gegen den eigenen Körper, den Buschbaum vor allzu weiblichen Zügen bewahren wollte, indem er soviel Gewichte stemmte, bis das Fettgewebe aus der Brust verschwand.

Im falschen Körper

Einen entscheidenden Tag seines Lebens erwähnt Buschbaum an diesem Abend nicht: Als er, damals noch als Yvonne Buschbaum, kurz vor der Qualifikation für die Olympischen Spiele 2004 stand, riss beim Anlauf zum Sprung die rechte Achillessehne. Der Traum von seiner zweiten Olympiateilnahme war geplatzt. In den folgenden Monaten spitzte sich sein eigentlicher Konflikt, im falschen Körper zu stecken, bis ins Unerträgliche zu. „Weil ich durch mein Ventil Hochleistungssport keinen Druck mehr ablassen konnte“, wie er sagt.

Die Presseerklärung, in der er Ende 2007 nach seinen Operationen an der Achillessehne auch den chirurgischen Eingriff in seinen Unterleib bekannt gab, zitiert er noch einmal: „Wer mich kennt, erkennt einen klaren Makel. Ich fühle mich als Mann. Ich appelliere an das Verständnis und Einfühlvermögen, keine falschen Schlüsse daraus zu ziehen. Ich dope nicht. Aus biologischer Sicht haben meine bislang errungenen Erfolge ihre natürliche Berechtigung.“

Denn davon hatte es einige gegeben. 1998 bei der Europameisterschaft in Budapest hatte er Bronze gewonnen, 2002 bei der Hallen-Europameisterschaft in Wien Silber. Mehrmals gewann Buschbaum die Deutsche Meisterschaft, 2000 in Sydney wurde er Olympia-Sechster.

Bundeswehr bezahlte Operation

Seine Bestleistung mit 4,70 Meter aus 2003 wäre auch heute noch Weltklasse. Einige der weiblichen Stabhochsprungfinalistinnen von gestern verzeichnen geringere Höchstmarken. Selbst Weltrekordhalterin Jelena Isibajeva musste sich mit für sie enttäuschenden 4,65 Metern mit Rang sechs begnügen.

Von seinen sportlichen Erfolgen aber will Buschbaum nichts mehr viel wissen. „Die sind im Zusammenhang mit meinem falschen Körper gestorben.“ Applaus hallt durch den Saal. Buschbaum genießt den Moment. Ähnlich positiv habe vor dreieinhalb Jahren auch sein Bekanntenkreis reagiert, größtenteils auch das sportliche Umfeld. Nur bei der Bundeswehr, die Buschbaums Training förderte und seine Operation finanzieren sollte, musste er Überzeugungsarbeit leisten.

Dieser Lebenslauf ist beispiellos im Profisport. Buschbaum würde jedem Leidensgenossen zu demselben Schritt raten. Wenngleich er gesteht, dass in anderen Sportarten, allen voran wohl Fußball, sein Fall gesellschaftlich weniger akzeptiert wäre. „Aber mich konnte gerade deswegen niemand attackieren, weil ich die Hosen von mir aus runtergelassen hatte.“ So sagt er es an diesem Abend auch zu einem anderen Mann, der offenbar im Körper einer Frau steckt und extra zur Lesung angereist ist.

Nachwuchstrainer in Mainz

Noch kurz vor seiner Geschlechtsanpassung begann Buschbaum, als Nachwuchstrainer in Mainz zu arbeiten. Eineinhalb Jahre nach den Eingriffen trieb er auch selbst wieder Sport. Nach den Regeln des Internationalen Olympischen Komitees und des Welt-Leichtathletikverbands IAAF dürfte der kleine, drahtige Mann auch wieder an Wettkämpfen teilnehmen, in der Wertung der Männer.

Dazu müsste er nur das Testosteron absetzen, das er sich nach wie vor zuführt und das als Doping eingestuft ist. Die deutschen Athleten in Daegu, männlich wie weiblich, kennt er alle. „Man trinkt gelegentlich ein Bier“, sagt er.

Die 29-jährige Martina Strutz, die gestern überraschend Silber gewann, ist in Buschbaums Alter, beide kennen sich jahrelang aus Wettkämpfen und persönlich. Als Yvonne träumte Buschbaum davon, als erste Frau die Fünf-Meter-Grenze zu überspringen. Das, wie weitere Superlativen, hat ihm die Weltrekordhalterin Isinbajeva abgenommen.

Freude über Silbermedaille

Aber dem Profisport weint Buschbaum keine Träne mehr nach, sagt er. „15 Jahre habe ich danach gelebt. Das alles kommt mir mittlerweile ziemlich klein vor.“ Heute sei „Glück nicht mehr nur ein flüchtiges Gefühl, das über der Latte in der Luft oder als Sieger auf dem Treppchen aufflammt.“ Er gibt den Unbesiegbaren, der er vielleicht tatsächlich ist. Einige Achillessehnen wurden in seinem Leben geflickt. Wobei Buschbaum gesteht, dass er sich über die Silbermedaille seiner Kollegin Martina Strutz, die mit 4,80 Meter auch den deutschen Rekord aufstellte, selbst wie ein Sieger gefreut hat.

Auf einen Blick

Balian Buschbaum wird am 14. Juli 1980 als Yvonne Buschbaum geboren. Als Stabhochspringerin wird er zweimal EM-Dritter und belegt bei den Olympischen Spielen in Sydney 2000 Platz sechs. 2007 outet sich Buschbaum als transsexuell, beendet seine Profi-Laufbahn und beginnt eine Hormontherapie, später folgt auch eine geschlechtsanpassende Operation. Seinen neuen Vornamen hat Buschbaum, der heute als Trainer arbeitet, aus dem Film „Königreich der Himmel“. [AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2011)

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