Am Mercedes-Team führt auch beim Grand Prix von Shanghai kaum ein Weg vorbei, die Kritik und das stete Wehklagen der Konkurrenz prallen an den Silberpfeilen ab.
Shanghai. Mercedes wird immer mehr zum neuen Wortführer der Formel 1. Vor dem vierten Saisonrennen am Sonntag in Shanghai (9 Uhr, ORF1, RTL, Sky) bestimmt das überlegene Werksteam das sportliche Geschehen mit drei Siegen in Serie und tritt auch abseits der Strecke forscher denn je auf. „Die Mannschaft hat ein Niveau erreicht, bei dem der Erfolg kein Bonus mehr ist, sondern der Anspruch“, sagt Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff.
Und auf diesem Weg scheut der WM-Spitzenreiter auch vor verbalen Seitenhieben in Richtung Konkurrenz nicht zurück. Das enorm gewachsene Selbstbewusstsein bekamen zuletzt die wankenden Branchenriesen Red Bull und Ferrari zu spüren. So trat der Mercedes-Anwalt zu Beginn dieser Woche bei der gescheiterten Berufung von Red Bull gegen die Disqualifikation des Australien-Zweiten Daniel Ricciardo schärfer auf als der Ankläger des Weltverbands. Seine Forderung nach einer zusätzlichen Bewährungsstrafe fiel zwar durch. Seine messerscharfen Vorwürfe haben die Kraftprobe mit Red Bull um die Vormacht in der Formel 1 aber keineswegs entschärft.
Energie: „Lächerliche Kritik!“
Auch Ferrari, das wegen des völlig verpatzten Saisonstarts in China mit neuem Teamchef antritt, dürfte über die jüngste Belehrung durch Mercedes-Aufsichtsratschef Niki Lauda eher nicht begeistert sein. Lauda bezeichnete die Kritik von Scuderia-Boss Luca di Montezemolo (siehe Artikel rechts) an den Regeln und Motoren laut italienischen Medien als „lächerlich“ und warf den Italienern indirekt Neid auf die Stärke der Silberpfeile vor.
Nach vier Jahren mit vielen Rückschlägen ist Mercedes in diesen Tagen das Maß der Dinge in der Formel 1 und traut sich deshalb zunehmend auch die Rolle des Meinungsmachers zu. Auch die Piloten fühlen längst, dass sie sich derzeit eigentlich nur selbst schlagen können. „Wenn ich durch die Box gehe, kann ich die positive Energie im Team richtiggehend spüren“, sagte Lewis Hamilton. Nach den Siegen in Malaysia und Bahrain könnte der Engländer in Shanghai den ersten Hattrick seiner Karriere perfekt machen.
Stoppen kann ihn wohl erneut nur WM-Spitzenreiter Nico Rosberg. Der Auftaktsieger von Australien musste sich zuletzt zweimal mit Rang zwei hinter Hamilton begnügen, ein drittes Mal soll ihm das nicht passieren. „Die Entschlossenheit zu siegen kann man an jedem Tag und in jedem Bereich erkennen.“
Blinder und Krückstock
Vor zwei Jahren gewann Rosberg auf dem 5,451 Kilometer langen Shanghai International Circuit erstmals einen Grand Prix. Und die Verfolger wissen, was ihnen wohl auch am Sonntag blüht. „Das sieht man als Blinder mit Krückstock, dass die im Moment stark sind“, sagt Titelverteidiger Sebastian Vettel. Der Serienweltmeister ist nur WM-Sechster und hat 38 Punkte Rückstand auf Rosberg.
Vettel hat es nicht leicht. Für die Rückkehr in seine Paraderolle als Herrscher der Formel 1 fehlen dem Rennwagen des Deutschen gut 80 PS. Und so wird der viermalige Champion wohl auch in China den Nebendarsteller bei der Show der Silberpfeile mimen. Angesichts der Leistungsvorteile der neuen Turbomotoren von Mercedes bleiben den Red-Bull-Piloten derzeit nicht viel mehr als Durchhalteparolen. „Es kann nicht immer alles glänzend laufen, das ist jedem klar, aber es kann auch nicht immer schlecht gehen“, sagt Vettel.
Frühestens beim übernächsten GP könne das Team in Schlagdistanz zu Mercedes sein, rechnete Helmut Marko vor. „Das geht nicht mit einem Geniestreich“, sagt der Grazer. Es sind harte, ungewohnte Zeiten für den erfolgsverwöhnten Rennstall. „In China fangen wir noch einmal an.“ (fin)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2014)