Toto Wolff: "Der Formel 1 fehlen Außenseiter-Siege"

Toto Wolff.
Toto Wolff.(c) GEPA pictures
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Vor dem Start der neuen Formel-1-Saison ist Mercedes-Sportchef Toto Wolff guter Dinge. Er lobt entgegen anhaltender Kritik die Vorzüge dieser Rennserie, setzt weiter auf die Hybrid-Kultur. Dass erneut ein Silberpfeil gewinnt, ist zu erwarten.

Toto Wolff kommt wieder einmal zu spät. Übel nimmt man ihm aber das chronische zeitliche Malheur nie, warum auch? Der Motorsportchef von Mercedes lächelt, grüßt, er ist stets guter Dinge und besitzt das Geschick, sein Gegenüber mit Erzählungen und Mimik wie einen Rennwagen schnell wieder auf die Spur der Begegnung zurückzuführen. Wolff ist einer der wenigen, deren Handschlag in der Welt des Motorsports Qualität besitzt, und wer den Terminplan, die Reiseaktivität des Wieners, 44, kennt, versteht schnell, dass Zeit für ihn einer der wichtigsten Faktoren im Leben ist.

Es geht um das Produkt, um Erfolg, um die Formel 1, sagt der erfolgreiche Investor, ehemalige Tourenwagen- und Rallyefahrer. Um Präsenz, Auftritt, auch der Begriff des Glanzes im Rampenlicht fiel, als er in sein Wiener Büro vis-à-vis der Universität zum Gespräch lud und dabei verriet, dass er kürzlich die letzten fünfzehn Prozent seiner Anteile am Williams-Team verkauft hat. Aus dieser Sicht ist Wolff seit 2009 in der Formel 1 aktiv, damals war er beim Traditionsrennstall eingestiegen, seit 2013 steht er den Silberpfeilen vor – und dann kam der Erfolg.

Seit zwei Saisonen in Serie stellt Mercedes mit Lewis Hamilton den Fahrer-Champion, gewann dazu die Konstrukteurs-WM. Und schenkt man aktuellen Tests, Behauptungen diverser Experten und Fahrer Glauben, ist Wolffs Team auch in der am 20. März in Melbourne neu anhebenden Saison die Nummer eins – zum Leidwesen der Konkurrenz, allen voran ist das stete Wehklagen des abgelösten Champions Red Bull nicht zu überhören.

Kritik als neue Eigenwerbung. Auch im Vorfeld der längsten F1-Saison mit 21 Rennen – der GP von Aserbaidschan in Baku soll am 19. Juni stattfinden, scheint aber wegen des sinkenden Ölpreises nicht vollends bestätigt –, studiert die Szene das Geschehen in der Mercedes-Box. Man wartet auf die Fortsetzung der Fehde zwischen Hamilton und Nico Rosberg, und freilich den Fortbestand der Überlegenheit. Seriensieger rufen nicht nur Bewunderer auf den Plan, sondern auch Neider, neuerdings kamen auch unerwartete Kritiker hinzu. Chefvermarkter Bernie Ecclestone ging in einem „Daily Mail“-Interview mit der Formel 1 hart ins Gericht. „Die Formel 1 ist so schlecht wie nie zuvor. Ich würde mein Geld nicht ausgeben, um mit meiner Familie ein Rennen anzusehen. Ausgeschlossen.“

Die Worte des Briten, 85, sorgen für Verwunderung, denn Eigenwerbung klingt für gewöhnlich anders. Verwunderung auch darüber, dass ihm die Vorhersehbarkeit der Rennen, das Ausbleiben von Duellen oder Überholmanövern erst jetzt auffallen, nach Jahrzehnten, in denen immer ausnahmslos ein Team dominierte. Ob Williams, dann McLaren, Benetton, Ferrari, Red Bull und jetzt Mercedes. Auch Wolff schien irritiert, mimte aber den Diplomaten. „Ich verstehe nicht, warum man alles unternimmt, um das eigene Produkt schlechtzureden. Auf der ganzen Welt kenne ich sonst keinen Anteilseigner, der das mit seiner eigenen Firma macht. Es kommen doch neue Teams dazu, es gibt neue Rennstrecken – und damit Märkte.“ Und auf denen tritt man nun in Erscheinung mit dem plakativ hinausposaunten Makel sündhaft teurer Fadesse auf vier Rädern, einer Rennserie, der der Begriff des Überholens nach dem Start und der ersten Kurve abhandengekommen ist.

Diese Form der Kritik ist jedoch keineswegs neu und, wenn man so will, eine der in Wahrheit letzten rundum unterhaltsamen Aspekte der Formel 1. Vieles gleicht aber einem Drehbuch, wie der Ablauf beim Wrestling. Da ist jeder Griff, Sprung oder Wurf auf die Sekunde genau ausgemacht. Gut gegen Böse, immer das gleiche Schema.

Wolff lächelt dazu milde. Wer ist also der Schuft? Gut – diese Rolle gelte es Rennen für Rennen neu zu besetzen. Böse – also diejenigen, die Hybrid, Bremssysteme und andere Wiedergewinnungsmethoden der Energie auf Kosten des Sounds und des altbewährten Erscheinungsbildes als höchstes Gut ausloben –, da bleibt nur der Wiener übrig, sagte Ecclestone und nannte ihn quasi einen Totengräber: „Toto, you'll have written down on your grave stone: I helped to kill the Formula 1.“

Märchen des Außenseiters. Zu teuer, zu kompliziert, zu leise – der Ansätze gibt es sonder Zahl, doch irgendwer muss doch all diese Regeln beschlossen und abgesegnet haben. Zum Wohl der Teams, im Sinne der Industrie – Renault steigt als Werksteam wieder in die WM ein –, als Vorgabe für Neueinsteiger wie das Haas-Team. Was der vermeintlichen Königsklasse aber keiner in das Regelbuch geschrieben hat, ist die Wahrung der Emotion, der Sympathie. Der Fan liebe Sieger, aber auch solche Mitstreiter, die für Überraschungen sorgen, die Sensationen liefern. „Der Formel 1 fehlen die Außenseiter-Siege“, sagt Wolff. „Uns fehlt die Chance, wie sie etwa gerade die Premier League in England erlebt mit Leicester City.“ Dort wird ein zuvor als Abstiegskandidat gehandelter Klub (Christian Fuchs) womöglich Meister. Wolff bemüht diesen Vergleich, hier lägen auch Millionen, Welten, Wissen, Know-how und wahre „Infrastruktur-Galaxien“ dazwischen.
Eine Wiederholung des Märchens mit Brawn-GP, als Ross Brawn 2009 das ehemalige Honda-Team aufkaufte, dem Auto einen „Doppel-Diffusor“ (Aerodynamik-Trick am Unterboden, besserer Abtrieb) verpasste und Jenson Button zum WM-Sieg fahren ließ, scheint ausgeschlossen, obwohl es der Szene und allen Fans guttun würde. Manor oder Haas werden aber niemals Champions sein, sie kommen auch nur selten ins Ziel. Es scheint unmöglich, dass Rio Haryanto, der erste Indonesier in der Formel 1, im Manor-Boliden an Lewis Hamilton vorbeiziehen kann.

Und der Sound? Also drehen die üblichen Verdächtigen an vorderster Front ihre Runden. Hamilton gegen Rosberg, oder umgekehrt. Dazu kommen in dieser Saison weiter erstarkte Ferrari-Autos, gelenkt von Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen. Vielleicht mischt Red Bull bei ausgewählten Rennen (Spielberg am 3. Juli) mit, vielleicht Williams.

Dass der Sound langsam lauter wird, freute auch Wolff. Bis 2017 wird an der Evolution des Reglements geschraubt und gefeilt, dann sollen wieder ganz andere Rennautos kommen. Ob dann das so begehrte, schmerzlichst vermisste Röhren der Motoren wieder aufhorchen lässt? Früher lieferten die Motoren bis zu 17.000 Umdrehungen, nun sind es nur noch 12.500. Die Abgase werden nie mehr ausschließlich zum Turbo wandern und parallel der Orchestrierung dienen, sondern fließen für immer in die Wiedergewinnung der Energie . . .

Steckbrief

Wien und Karriere
1972 wird Torger Christian „Toto“ Wolff in Wien geboren. Der Investor und Ex-Rennfahrer ist seit 2013 Motorsportchef bei Mercedes.


Formel 1
Die Formel-1-Saison hebt am 20. März in Melbourne an, das Mercedes-Team ist Titelverteidiger bei den Fahrern (Lewis Hamilton) und in der Konstrukteurs-WM.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2016)

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