Die Krönung auf der letzten Zielgeraden

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Beim F1-Saisonfinale in Abu Dhabi wird heute der neue Weltmeister gekürt. Rosberg oder Hamilton: ein Rennen laut Fahrplan oder Instinkt?

Nico Rosberg könnte Formel-1-Weltmeister werden, man kann den Deutschen aber mit keinem anderen Champion oder mit Rennfahrern wie Ayrton Senna vergleichen. Dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt, die Charaktere sind schlichtweg zu unterschiedlich. Rosberg würde seinen Titel- oder Stallrivalen niemals nach dem Start von der Strecke schubsen, wie es einst Senna gezielt mit Alain Prost in Suzuka 1990, im vorletzten GP des Jahres, getan hat. Rosberg fährt stets sein Programm. Er gibt nach Plan Gas . . .

Lewis Hamilton könnte – zum vierten Mal – Formel-1-Weltmeister werden, man kann den Briten aber mit keinem anderen Champion oder Rennfahrer vergleichen. Dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt, weil der Brite der begabteste Pilot seiner Generation ist. Schnell, „erfolgsgeil“, sogar berechnender als Ayrton Senna. Er fährt härter gegen Teamkollegen, als sich Alain Prost je getraut hätte, und besitzt die seltene Gabe, selbst in der Schlusskurve noch ein waghalsiges Manöver zu starten – und zu schaffen...


„Senna-Manöver keine Option!“ Zum 29. Mal fällt die Entscheidung in der F1-WM erst im letzten Rennen. Wenn Rosberg heute in Abu Dhabi vor Hamilton ins Ziel fährt, ist er Champion. Selbst ein Podestplatz genügt, dazu gibt es Möglichkeiten sonder Zahl (siehe Grafik). Der Wahrscheinlichkeit nach wird der Deutsche gewinnen, 18-mal gewann am Ende der, der als Führender in das finale Rennen gestartet ist. Dass Rosberg erneut das Schicksal so übel mitspielt wie 2014, als er sich im Duell mit Hamilton ob eines Motorproblems geschlagen geben musste, scheint unwahrscheinlich. Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff hat versprochen, dass beide die gleichen Bedingungen erhalten würden. Er betonte gesondert den Begriff Fairness: Ein Senna-Manöver sei keine Option.

Der Deutsche geht mit einem Vorsprung von zwölf Punkten auf Hamilton in den 21. Lauf dieser Saison. An der Stätte seiner schmerzhaftesten Niederlage, eben 2014, will Rosberg nun Geschichte schreiben mit seinem ersten Titel und als zweite Weltmeister-Familie in der Formel 1 (siehe Artikel rechts). Ungeachtet seiner Führung will Rosberg auch auf dem Yas Marina Circuit auf Sieg fahren. Von Taktieren hält er nichts, er braucht, wie zuvor erwähnt, aber Vorgaben, einen Plan. „Es ist ein großartiges Gefühl, im dritten Jahr in Folge gegen Lewis um die WM zu kämpfen. Ich werde alles tun, um Rennen und Titel zu gewinnen.“

Ungeachtet aller Prognosen, Befindlichkeiten und anderer Widersprüchlichkeiten: Triumphiert Nico Rosberg, ist er der erst dritte deutsche Champion nach Michael Schumacher (Benetton, Ferrari) und Sebastian Vettel (Red Bull). Er wäre aber der Weltmeister der mit 21 Rennen längsten Saison in der Historie der Formel 1.

Natürlich, Formel 1 ist nicht nur Gas geben, es ist ein Spiel. Es geht um das Pokern mit den Nerven anderer. Hamilton beherrscht das wie kaum ein anderer. Er lächelt dann, wenn Rosberg schlecht gelaunt ist. Der Titel-Hattrick würde ihn schmücken, und obwohl er dieses Kunststück nicht mehr allein in der Hand hat, will er diesen Coup partout nicht aufgeben, bis zur letzten Runde nicht.


Hamiltons ewige Stichelei. In São Paulo schaffte der Brite den dritten Sieg in Serie, so wurde der Showdown in der Wüste überhaupt erst möglich. Hamilton fuhr in Brasilien ein einzigartiges Rennen, das Regenchaos machte ihm nichts aus. Und er nützte diese Gelegenheit sogleich, um Rosberg unter die Nase zu reiben, dass er besser Auto fahren könne. „Ich bin froh, dass ich Nico im gleichen Auto geschlagen habe. Er war so gut, wie es ging – aber er konnte mir gar nichts anhaben. Es war für mich ein leichter Sieg. Wenn es regnet, ist es immer ein guter Tag für mich. Nico macht nur das, was er machen muss, um ins Ziel zu kommen.“ Hamiltons Pech ist allerdings, dass der Deutsche – bis auf den GP von Barcelona – auch immer ins Ziel gefahren ist.

Und dennoch, das Spiel ist in der letzten Kurve angekommen und womöglich entscheiden Kleinigkeiten. Wie vor einem großen Boxkampf vermied Hamilton auch bei der großen Pressekonferenz mit allen Fahrern in Abu Dhabi den Blickkontakt mit dem Deutschen. Ja, er gab Rosberg nicht einmal die Hand – der Deutsche wollte es jedoch auch nicht. Also standen zwei (vermeintlich) Erwachsene im gleichen Gewand vor einer Horde Fotografen und steckten sich provokant ihre Hände in die Hosentaschen. Angesichts ihrer gemeinsamen Kindheit und der Vergangenheit mit Skifahren in Zell am See, Griechenlandurlauben mit der Familie oder der zusammen erlebten Epoche in der Kart-WM mutet so ein Gehabe dann doch eher kindisch denn professionell an. Aber, wo liegen die Schmerzgrenzen bei einem Formel-1-Piloten, der um jeden Preis gewinnen will? Hat er überhaupt welche? Hamilton sagt: „Natürlich gab es Höhen und Tiefen. Aber letztendlich haben wir es gut geschafft. Insgesamt war es eine Freude, ihn als Teamkollegen zu haben.“ Rosberg sagt: „Wir haben aus früheren Tagen noch immer einen gewissen Respekt voreinander.“


Wird Rosberg blockiert? Der eine ist immer ehrlich, der andere stets höflich. Man fragte Hamilton, welches Rosberg-Rennen ihm denn am besten gefallen hätte. An sich eine gut gemeinte Einstiegsfrage, die Antwort zeigt aber deutlich, wie groß die Diskrepanz längst sein muss, beide scheint nichts mehr zu einen. Der Brite sah kurz auf, spielte in seinem Smartphone, machte wie immer plump lächelnd Fotos und sagte: „Ich habe keines seiner Rennen gesehen.“ Es ist ein Showdown, ein Duell – und die Frage ist, wer am Sonntag (ab 14 Uhr, live ORF1, Sky, RTL) zuerst auszuckt.

Rosberg erklärte, er wolle nichts riskieren. Auch die komplette Szene vermutet, dass er Piloten wie Max Verstappen, die auch bei 300 km/h keinerlei Berührungsängste zeigen, aus dem Weg fahren wolle. Er wird einen Plan haben, der ihn auf das Podest und damit zum Titel führt, ungeachtet aller Bestzeiten, die Hamilton wie Vogelfutter ausschütten wird, um den Deutschen zu irritieren. Nur, sind in diesen Fahrplan auch Störenfriede miteingerechnet? Und, ist zu viel Vorsicht im Rennsport nicht schädlich? Was macht Rosberg, wenn Hamilton nach 20 Runden führt, vor ihm beide Red-Bull-Piloten liegen und keinerlei Anstalten machen werden, Platz zu machen oder in die Box zu fahren? ?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2016)

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