Lewis Hamilton wurde in Barcelona die Pole-Position aberkannt. Die holte sich Williams-Pilot Pastor Maldonado. Der stahl ihm auch die Show.
Barcelona, das war einmal der langweiligste Ort der Welt. Nicht in den engen Gassen der Altstadt, und schon gar nicht im Camp Nou, wo Fußball in einer anderen Dimension zelebriert wird. Die Rennstrecke Circuit de Catalunya aber, sie verkörperte für Generationen von Rennfahrern die ganze Fadesse der Formel 1. Überholt konnte hier nie werden, die Rennen wurden zu Prozessionen auf einer Strecke, die man von Tausenden von Testkilometern im Winter bis auf den letzten Grashalm kannte.
Heute ist Barcelona die Verkörperung der neuen Sinnlichkeit der Formel 1, und am meisten Lust macht dabei ein Pastor. Pastor Maldonado, ein jenseits des Fahrerlagers bis dato völlig unbekannter Venezolaner, der mit Ölmilliarden von Präsident Hugo Chavez ins Williams-Team eingekauft wurde, raste im Qualifying in die erste Startreihe, gleich neben Lewis Hamilton. Dem Engländer wurde außerdem die Pole später aberkannt, weil er nach dem Ende des Qualifying nicht mehr an die Box zurückgefahren war. Hamilton hatte zu wenig Sprit an Bord. Er darf das Rennen (14 Uhr, ORF1, RTL) zwar in Angriff nehmen, Startplatz eins erbt aber der Venezolaner Pastor Maldonado im Williams. Diese Überraschung ist Symbol einer aufregenden Formel 1, in der es zugeht wie an Wahlsonntagen: Großparteien werden gestürzt, Revolutionäre und einstige Splittergruppen machen die Show.
Wurz als Upgrade. Zwei Teams mit großen Namen bilden die Speerspitze dieser Revolte. Da ist einmal Williams, das Team, in dem immer mehr der Österreicher Toto Wolff die Macht übernimmt. Für Frank Williams, den Teamgründer, führt der Wiener die Agenden bei den Teamchef-Sitzungen. Als der Rennstall Anfang 2011 einen „Pay Driver“ aus Südamerika statt dem deutschen Talent Nivco Hülkenberg verpflichtete, spürten viele die letzte Stunde von Williams gekommen, Spott und Häme inklusive. Nur wenige hatten gesehen, dass sich Maldonado immerhin als Meister der GP2-Serie für die Formel 1 qualifiziert hatte, er immer wieder einzelne Runden mit spektakulärem Speed hingezaubert hatte. Es fiel lediglich auf, dass er oft in sehr ungünstigen Momenten sein Auto verschrottete. Nicht zuletzt deshalb entschieden die Williams-Bosse rund um Wolff Alexander Wurz als „Performance Coach“ zu engagieren, der Maldonados Geschwindigkeit mit der Erfahrung und dem Know-how des Ex-Williams-Piloten „upgraden“ soll.
Doch wenn es heute an den Start geht, blicken viele der Experten auch ein paar Plätze zurück. Die Lotus-Boliden von Romain Grosjean und Kimi Räikkönen gelten als die schnellsten bei optimalen Rennbedingungen, keiner kann bei Longruns so gut mit dem Reifenmanagement umgehen wie die schwarz-goldenen Autos. Lotus war das einzige Team, das heuer auf allen sieben Rennstrecken, auf denen gefahren wurde, Tests inklusive, schnell war. Dazu ist die Fahrermischung geradezu ideal. Der Finne Räikkönen fühlt sich in diesem Team pudelwohl – hier in diesem Nicht-Werksteam fragt ihn keiner, wie viel er an freien Wochenenden getrunken hat und es sagt ihm auch keiner, wie viele PR-Termine und Interviews er noch zu absolvieren hat. Interviews muss er wirklich nur sehr wenige geben – und wenn, dann schon mal Marion Jolles, der französischen Starmoderatorin. Die ist die Freundin seines Teamkollegen Romain Grosjean.
Die Erfolge von Lotus kommen zum bestmöglichen Zeitpunkt – ist doch die Lotus Group, die sich unter der Führung von Ex-Red-Bull-Manager Dany Bahar als „Ferrari Englands“ positionieren wollte, nach einem Verkauf durch die Mutterfirma in Malaysia in massive Seenot geraten. Doch diese verrückte Formel-1-Saison gehört eben doch den Piraten, die das Schlachtschiff Formel 1 geentert haben. Nicht umsonst steht Weltmeister Sebastian Vettel nur auf Position sieben.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2012)