Zittern verboten: Die Stille auf dem Schießplatz

Zittern verboten Stille Schiessplatz
Zittern verboten Stille Schiessplatz(c) REUTERS (HEINZ-PETER BADER)
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Sportschütze Thomas Farnik peilt bei seinen sechsten Olympischen Spielen die erste Medaille an. Beim Lokalaugenschein in der Trainingsstätte Stammersdorf spricht der Wiener über die Kunst des präzisen Schusses.

Leise Musik tönt aus dem tragbaren Radio des Schützen rechts. Thomas Farnik lässt sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen und verharrt in stehendem Anschlag. Er steht still am Schießstand, regungslos. Hinter ihm liegt sein geöffneter Gewehrkoffer, darin befinden sich kleine, rote Munitionsschachteln, Tücher, Rädchen und Schrauben – es ist ein schicker, silberner Baukasten. Während der knapp eine Minute anhaltenden Konzentrationsphase vor dem Schuss erschallt ein lautes, helles Knacken vom Schießstand nebenan. Dann hallt auch das Knacken neben dem 45-jährigen Wiener auf. Sein Schuss sitzt.

Draußen gießt es in Strömen, die roten Windfähnchen flattern. Durch das geöffnete, überdimensionale Doppelfenster sind die weißen Zielscheiben mit schwarzem Mittelkreis zu sehen. Sie sind 50 Meter entfernt und dementsprechend winzig wirken sie aus der Position des Schützen. Der Schuss ins Schwarze scheint ein Kunststück zu sein. Vor allem bei den Spielen, da entscheiden Millimeter.

Thomas Farnik bereitet sich im HSV Stammersdorf, am Rande von Wien, auf die Sommerspiele in London vor – an diesem Tag bei wirklich authentisch britischen Wetterverhältnissen. Die Royal Artillery Barracks, eine alte Militärkaserne, in der die olympischen Schießbewerbe stattfinden werden, hat Farnik Ende April bei den Pre-Olympics bereits kennengelernt. „Von 13 Tagen hat es zwölfeinhalb geregnet. Es war das schlimmste Wetter, das ich je bei einem Bewerb erlebt habe.“ Und Farnik hat in seiner Karriere reichlich Erfahrung gesammelt.


Der Olympia-Veteran. Es sind seine sechsten Olympischen Spiele, damit schließt der Routinier zu Springreiter Hugo Simon auf. Nur Segler Hubert Raudaschl hat noch mehr Olympiateilnahmen aufzuweisen, seine zehn bedeuten sogar Weltrekord. Weltrekorde mit verschiedenen Waffen stellte Farnik in seiner Karriere auch auf, dazu holte sich der Wiener 2006 den WM-Titel in der Mannschaft und im Einzel mit dem Standardgewehr. Zu einer Olympiamedaille hat es für den Weltschützen von 1997 aber noch nicht gereicht. In Peking 2008 war er mit Platz fünf am nächsten am Podest dran.

Die größten Chancen in London rechnet sich Farnik in der Königsdisziplin, dem Dreistellungskampf, aus. Dabei gehen die Schützen mit dem Kleinkalibergewehr zu Werke: zuerst liegend, dann stehend und abschließend kniend. Pro Stellung werden 40 Schüsse abgegeben. Der größte Punktbringer ist die zentrale Zehn mit einem Durchmesser von nur 10,4 Millimetern. Beim dichten Niveau der Weltklasse darf sich Farnik auf dem Weg zur erhofften Medaille nicht viele „Ausrutscher“ auf den Neuner-Ring leisten.

Die mentale Belastung gleicht beim knapp dreieinhalb Stunden dauernden Dreistellungskampf einem Konzentrationsmarathon. „Die Schüsse neben dir nimmst du schon leicht wahr. Es gibt aber Phasen, wo du richtig im Flow drin bist und von rundherum nichts mitbekommst. Aber diesen Idealzustand kannst du nicht den ganzen Wettkampf über aufrechterhalten.“

Ein Bewerb über drei Stunden setzt auch voraus, mit körperlichen Schmerzen spielend umgehen zu können. „Wenn man kniend und liegend in den Riemen (der das Gewehr mit der Schießjacke verbindet, Anm.) eingespannt ist, drückt einem das Gewehr derart in den Körper, dass das Blut abgesperrt wird. Trotz dieser Schmerzen muss man voll konzentriert bleiben.“

Ein ruhiges Händchen und ein ruhiger Finger sind in diesem Fall von Vorteil. Farniks Abzug ist äußerst sensibel, er ist auf 25 Gramm eingestellt. Ein zarter Druck löst bereits den Schuss aus. Um größtmögliche Präzision zu erreichen, versucht Farnik zwischen zwei Pulsschlägen abzudrücken. Das ist alles andere als einfach – bei 140 Schlägen pro Minute im Wettkampf. „Man muss sehr ausbalanciert sein und darf nicht schwanken, sonst spannt sich sofort wieder die Muskulatur an“, erklärt der 45-Jährige.


Zehn! Klack! Ein kurzer Donner erfüllt den langgezogenen Raum auf dem Schießplatz in Stammersdorf. Danach klatscht die Patronenhülse auf den Boden. Kurz riecht es auch wie nach der Explosion eines Silvesterkrachers. Farniks zweiter Schuss aus stehender Position hat mitten in der Zehn eingeschlagen. Der vor dem Schützen stehende Monitor markiert den Volltreffer mit einem gelben Kreis.

Trotz hoher Trefferquote kann Farnik von seinem explosiven Metier nicht leben. Nur rund 1500 Euro Preisgeld kassiert man im Schießsport für einen Weltcupsieg. Ein zweites Standbein hat sich der ehemalige Heeressportler aber längst als Mentaltrainer aufgebaut. Zum Beispiel coacht der Wiener das Eishockeyteam der Vienna Capitals. In der Vorbereitungszeit für Olympia, nach Ende der Schlittschuhsaison, fließt allerdings kaum Geld. „Derzeit verdiene ich so gut wie nichts, da sich das Mentaltraining auf ein paar private Kunden beschränkt. Im Moment konzentriere ich mich ganz auf die Spiele in London.“

Reich wird man also selbst als in der Weltklasse etablierter, zielsicherer Schütze nicht. „Nur ein paar Spitzenschützen haben ganz gute Werbeverträge“, sagt Farnik trotzdem ganz ohne Neid. Peter Sidi aus Ungarn, der Welt-Sportschütze von 2009, oder die Deutsche Sonja Pfeilschifter, siebenfache Weltmeisterin, zählen zu diesem exklusiven Kreis. Etwas neidisch blickt Farnik jedoch zum deutschen Kollegen Maik Eckhardt. Er hatte mit einem Zubehörshop den richtigen Riecher und verwandelte für sich das Schieß-Genre über seinen Geschäftszweig zum Big Business.


Faszination des Schusses. Als billiges Vergnügen erweist sich das Sportschießen nämlich nicht. Ein Luftgewehr bekommt man ab 1500 Euro. Der Preis für ein Kleinkalibergewehr pendelt sich bei etwa 2600 Euro ein, ungemein hohe Kosten fallen für die 5,6-Millimeter-Geschosse an: Für 150 Schuss, eine durchschnittliche Trainingseinheit, muss man schon 40 Euro auf den Tisch legen.

Gerade beim Kleinkalibergewehr gibt es, abgesehen von einer Gewichtsgrenze von acht Kilogramm, viel Spielraum zum Tüfteln, Schrauben und Basteln. Etwa am Schaft, am in der Achsel einzuklemmenden Haken oder der Visiereinrichtung zwecks Treffpunktlage. Filigrane Millimeterarbeit ist für die notwendige Feinabstimmung Voraussetzung. Ein einziger Fehlschuss kann alles verderben. Dazu kommen die schwere Schießjacke und Hose aus steifem Material, die zusätzliche Stabilität verleihen sollen.

Die Faszination macht für Farnik aber nicht nur die technische Präzisionsarbeit aus. „Was mich beim Schießen immer gereizt hat, ist, dass ich hier Entspannung finde. Dass ist noch immer etwas, was ich sehr genieße. Die Ruhe zu finden, selbst wenn es kracht.“

(c) Die Presse / GK

Krachen tut es bei Olympia schon lange, Sportschießen zählt seit 1896 in Athen zum Programm. Die letzte österreichische Schützenmedaille holte 2004 Christian Planer, der auch in London wieder dabei ist. Einziges Gold für Österreich erzielte Hubert Hammerer 1960. Nach Welt- und Europameistertiteln möchte endlich auch Thomas Farnik olympisches Edelmetall. Im sechsten Anlauf soll es klappen.

Sportschütze

Die sechsten Sommerspiele
Thomas Farnik, 45, nimmt in London zum sechsten Mal an Sommerspielen teil. Seine beste Olympia-Platzierung: Fünfter in Peking 2008.

Weltschütze und Weltmeister
Der Wiener bestreitet seit 1981 Wettkämpfe. 1997 wurde er zum Weltschützen des Jahres gewählt, 2006 gewann er zwei Weltmeistertitel.

Vier Österreicher in London
Farnik nimmt im Dreistellungskampf, im Liegendbewerb sowie mit dem Luftgewehr Medaillen ins Visier. Siegen wollen auch Christian Planer und Stephanie Obermoser. In der Disziplin Trap, dem Tontaubenschießen, ist der Wiener Andreas Scherhaufer am Start.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2012)

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