Usain Bolt: Die Magie der 41 Schritte

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Der Jamaikaner Usain Bolt verteidigte im 100-Meter-Finale in 9,63 Sekunden seinen Olympiasieg. Der Laufstil begeistert, polarisiert aber die Sportwelt. „Science Buster“ Gruber kennt die Gründe für Bolts Dominanz.

London. Usain Bolt ist nicht nur ein begabter Schauspieler, der Jamaikaner hält auch seine Versprechen ein. Er hat angekündigt, bei den Sommerspielen in London 2012 zur „Legende“ werden zu wollen, seit Sonntag hat der 25-Jährige das geschafft. Bolt gewann das 100-Meter-Finale in 9,63 Sekunden vor seinem Landsmann Yohan Blake und dem US-Amerikaner Justin Gatlin. Er ist der erste Sprinter, der den Titel auf der Laufbahn verteidigen konnte, schreiben die einen. Er ist nach Archie Hahn (1906) und Carl Lewis (1988) bereits der Dritte, meinen andere. Die Polemik zeigt, dass Leichtathletik und Olympia tatsächlich um eine Legende reicher sind . . .

Mit diesem Auftritt steht fest, dass Bolt schmerzfrei laufen kann. Zurück bleiben wird daher seine Konkurrenz auch über den 200-Meter-Bewerb, der am Dienstag mit den Vorläufen beginnt. Das i-Tüpfelchen folgt zum Abschluss bei der 4x100-Meter-Staffel. Bolt könnte London mit drei Goldmedaillen verlassen. Er sagt: „Ich muss allen zeigen, dass ich der Größte bin.“

Fasern als Familienerbe

Mit dem souveränen Antritt begannen auch die erneuten Analysen über Laufstil, Tempo, Zeit und physikalische Kräfte. „Die Presse“ bat Neurophysiker und „Science Buster“ Werner Gruber um eine Expertise. Er erhielt Zeit, Größe (1,93 Meter) und die Schrittanzahl, die Bolt für 100 Meter benötigt. 41 – wie schon in Peking 2008.

Bolts Familie, so Gruber, stamme aus Afrika. Darum sei sein Nabel um knapp drei Zentimeter höher gelagert als bei Europäern. Seine Beine sollen 110 Zentimeter von der Sohle bis zur Hüfte messen, der damit besonders hohe Körperschwerpunkt bewirke den markanten Laufstil. „Seine Eltern“, wirft Gruber ein, „spielen eine ganz wichtige Rolle.“ Nicht, dass sie nur daheim oder auf der Tribüne die Daumen drückten, sondern „sie hatten ja größten Anteil daran, welche Muskeln und deren Fasern genetisch weitervererbt werden.“ Es ist der Unterschied zwischen Typ-I-Fasern (langsam oxidativ) und Typ-II-Fasern (schnell oxidativ). „Für Sprinter ist es wichtiger, schnell zu sein, als hohe Kräfte zu entwickeln. Deshalb braucht er viele schnelle Muskelfasern.“

Die Gnade der Geburt

Dennoch, ohne tägliches Training, so der Einwurf, gehe im Sport doch gar nichts. Werner Gruber verneint. „Durch Training lassen sich schnelle Muskeln nur um einen geringen Anteil steigern. Zum Sprinter muss man geboren sein – genauso wie zum Kugelstoßer.“

Bolt gilt zwar als einer der schwächsten Starter, bringe aber ob seiner Größe und Kraft eine schnellere Beschleunigung zustande. „Untersuchungen haben gezeigt, dass das hintere Bein für die horizontale Beschleunigung wichtig ist, während das Bein, das sich am vorderen Bereich des Startblockes befindet, für das Aufrichten des Körpers wichtig ist. Bessere Sprinter haben mehr Kraft im hinteren Bein“, erklärt Gruber, der seit 1999 am Institut für Experimentalphysik der Uni Wien arbeitet. Die schlechteren müssten mit den Händen nachhelfen . . .

Nach dem Abstoß komme die Reibung ins Spiel. Bolt trägt spezielle Laufschuhe, deren Sohle von exakt gesetzten Spikes eziert sind. Für den Populärphysiker ein Anhaltspunkt, aber: „Durch Reibung können wir uns vom Boden abstoßen. Steigen wir auf eine Banane, fällt die Reibung weg. Wir treten auf der Stelle und fallen meist um.“

Sobald Bolt unterwegs ist, wird es spannend. Der Körper muss bewegt werden, von den Beinen, wirft Gruber energisch ein. Sie bewegen Rumpf, Arme und Kopf. Der Schwerpunkt des Körpers wird pro Schritt um drei Zentimeter gehoben und kontrolliert gesenkt. Diese Hubleistung mache rund zwölf Prozent der Gesamtleistung aus. 80 Prozent der verfügbaren Energie werde in die Beschleunigung investiert. Der Rest steht den Armen zu Verfügung. Bolts maximale Schrittlänge beträgt 2,95 Meter, „er braucht 41 Schritte, alle anderen 43. Er gewinnt, logisch!“

„Die Füße höher gehoben“

Beinkraft (FB), Masse (m) und Fallgeschwindigkeit (9,81 m/s2) führen zur Beschleunigung. „Da sieht man schön, wie wichtig die Beinlänge ist. Versuchen Sie doch einmal mit kleinen Schritten, bei denen Sie das Bein nicht richtig abwinkeln, einen raschen Start hinzulegen. Bolt hat eindeutig die Füße höher gehoben als alle anderen und die größeren Schritte gemacht.“ Sprich: Auch das Drehmoment war letztlich auf seiner Seite.

Nach zehn bis 20 Schritten hatte Bolt die maximale Geschwindigkeit, ca. 43 km/h, erreicht. Ab dann oblag alles nur noch der Muskelreibung, dem Luftwiderstand, der Gelenksreibung und der Hubarbeit. „Er weiß, dass Beinlänge und Schwerpunkt ihn zum Sieg bringen“, so Gruber, der auch einen anderen Grund dahinter vermutet, warum Bolt nicht immer mit vollem Tempo durchläuft. „Bricht er Rekorde nur um einen Hauch, kann er auch bei anderen Meetings Prämien kassieren . . .“

Alles Weitere sei nur noch ein langsames, lockeres Auslaufen. Unglaublich einfach.

Auf einen Blick

Der Jamaikaner Usain Bolt gewann das Finale im 100-Meter-Sprint in 9,63 Sekunden. Er verteidigte damit den Titel von Peking 2008.
Werner Gruber, 42, als „Science Buster“ und Experimentalphysiker bekannt, erklärt Bolts Dominanz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2012)

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