Ein Kinnhaken als Wegweiser

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TOPSHOT-BEACH BOXING-BRAZIL-LIMAAPA/AFP/YASUYOSHI CHIBA
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Für das Boxturnier im Zeichen der fünf Ringe sind nun erstmals auch Profis zugelassen, Österreicher sucht man aber seit Seoul 1988 vergeblich. Biko Botowamungo erinnert sich und erzählt von seiner "Arbeit für Gott".

Olympia galt immer als Wiege des Boxsports. Hier wurden Amateure ihrer ersten großen Prüfung zugeführt, hier erlebte man als Boxer und auch als Zuschauer die Vorstufe zu dem, was später als große Show in Las Vegas aufblühte oder mittlerweile auch nur noch selten in deutschen Arenen vorgeführt wird: Faustkampf auf höchstem Niveau. Doch auch im Ring haben sich die Zeiten geändert, der Kommerz hat das Profitum auf den Kopf gestellt. Schwergewichte sind verschwunden, Amerika sucht nach wie vor vergeblich nach den Erben von Ali, Frazier, Foreman, Tyson oder Holyfield. Die Szene lechzt nach dem befreienden Schlag unter der Last der erdrückenden Klitschko-Dynastie.

Promotoren weichen auf leichtere, aber teurere Gewichtsklassen aus, etwa mit Fights von Floyd Mayweather. Auch die Olympier müssen dem Trend, dass Boxen keine Topquoten mehr garantiert, Tribut zollen. Nachdem 2012 erstmals Frauen in den Ring gestiegen sind, erlaubt das Internationale Olympische Komitee nun Profis den Auftritt unter dem Symbol der fünf Ringe.

Der für den TV-Sender NBC so dringend benötigte Ansturm bekannter Namen unter dem Geheiß des Aiba-Verbands blieb allerdings aus. Auch das erstmals nach 30 Jahren wieder ohne Kopfschutz geboxt wird, gleicht in Zeiten, in denen Mixed-Martial-Arts und andere Kampfsportarten boomen, wie der Griff eines Ertrinkenden nach einem Strohhalm. Dennoch, Bewertung (Ten-Must), 36 Frauen in drei Klassen sowie 250 Herren in zehn Gewichtskategorien (Halbfliegengewicht bis 49 kg, Fliegengewicht bis 52 kg, Bantamgewicht bis 56 kg, Leichtgewicht bis 60 kg, Halbweltergewicht bis 64 kg, Weltergewicht bis 69 kg, Mittelgewicht bis 75 kg, Halbschwergewicht bis 81 kg, Schwergewicht bis 91 kg, Superschwergewicht über 91 kg) sind für die Spiele im Riocentro fixiert.


Und dann kam Riddick Bowe. „Hallo, wie geht's? Steigst du mit mir in den Ring?“ Seine Stimme klingt fröhlich, und wenn Biko Botowamungo über Boxen, Predigten und Wien erzählt, merkt man, was Identifikation, Lebensfreude und Sinn wirklich ausmacht. Der 59-Jährige strahlt, zeigt Fäuste und die weiterhin sehr schnelle, gewiss schmerzhafte Technik. „Ich kann es immer noch, ich trainiere. Emmanuel Steward, George Benson, Marvin Hagler – sie trauten es mir zu, sagten es vorher. Aber Gott wollte nicht, dass ich Olympia-Gold und die WM gewinne. Sonst hätte er mich vielleicht für seine Aufgaben verloren.“

Wenn er über Olympia und Seoul 1988 sprechen soll, holt der wortgewaltige Mann, Dancing Star und Ex-Wrestler („Blemenschütz hat mich als Dr. Biko zum Heumarkt geholt!“) dann doch wieder etwas mehr Luft. 1988 galt er als Stern im Amateurbereich, viele trauten dem im Kongo geborenen 1,90-Meter-Riesen sogar eine Medaille zu. „Medien, Fans, Funktionäre, alle haben an mich geglaubt“, sagt Botowamungo. Doch es ging alles schief. Es gab viele Fehler in der Vorbereitung, zum medialen Hype gesellte sich die in Österreich auch bei Fußballern übliche Selbstüberschätzung. Und plötzlich war in Seoul schon alles nach nur einem Kampf vorbei. Riddick Bowe knockte ihn mit einem gewaltigen Kinnhaken aus. Dass der Amerikaner 1992 Champion der Weltverbände WBA, IBF und WBC wurde, also ein wirklich sehr guter Boxer war, darf nicht unerwähnt bleiben.

Ob seine Karriere, die 1974 beim „Rumble in the Jungle“ mit Ali und Foreman als Inspiration begann, später zu Sparrings mit Mike Tyson und Lennox Lewis, Trainings in New York und Philadelphia, aber auch zu Geldstreitigkeiten mit Don King führte, eine ganz andere Richtung genommen hätte, hätte er denn gewonnen, das wollte Botowamungo in der Gegenwart nicht mehr hinterfragen. „Ich hätte ihn schlagen können, ja. Aber Gott wollte es nicht.“ So wurde er Wiener – mit Familie und Genossenschaftshaus in Stammersdorf– und Baptistenprediger, der „oft, aber nicht immer sonntags spricht. Mal da, mal dort – wir haben keine eigene Kirche.“ Dennoch, wo er spricht, hören die Menschen zu. Er vermittelt nicht Knockouts, sondern Lebensfreude.


Danke, Lennox Lewis.Botowamungo zählt der Reihe nach Namen auf, Typen, die man in der Boxszene kennt. Da sie Punch hatten, Titel gewannen – und bei Olympia ihre Karriere vergoldet starteten. Ob László Papp, Floyd Patterson, Cassius Clay (Rom 1960), Joe Frazier, George Foreman, die Kubaner Teófilo Stevenson (1972 bis 1980) und Félix Savón (1992 bis 2000, er wurde nie Profi) oder Lennox Lewis. Dass der Brite Bowe im Finale besiegte, bescherte dem Wahlwiener dann doch wieder ein breites Grinsen. Immerhin gewann der Amerikaner nicht Gold. Das Olympia-Boxen hätte aber immens an Wert eingebüßt, an Aussagekraft verloren, an Strahlkraft. Botowamungo wolle zwar so viele Kämpfe wie möglich sehen, er bezweifelt aber, dass Stimmung und Flair noch so wie früher sind.

Einmal Boxer, immer Boxer, wirft er unentwegt ein, daher wolle er alles unternehmen, um in Österreich etwas im Ring zu bewegen, vor allem hinter den Kulissen. „Wir haben keine guten Boxer. Warum? Ich weiß es wirklich nicht. Der Verband ist doch zum Vergessen. Die halten nicht zusammen, es ist ein Gegeneinander. Man sollte einen Gegenverband gründen.“ Vergleiche mit Kuba, das serienweise Champions bei den Spielen stellt, hinken zwar, doch wenn Botowamungo von Kultur, Infrastruktur, Zeit, Willen, Lust, Trainer, Schulen, Klubs und Turnieren spricht, sieht man auf Anhieb womöglich entscheidende Unterschiede. „Marschieren und nur kassieren“, wirft Österreichs letzter Olympia-Boxer seit 28 Jahren ein, „ist keine Strategie. Österreich hat den Zug der Zeit verpasst.“

Auch für ihn drehte sich das Rad der Zeit immer weiter. Er sah sieben Kinder aufwachsen, seit 16 Jahren dient er bereits Gott als Pastor, über 50 Gläubige soll seine Gemeinde umfassen. „Ich habe Spaß am Leben, ich liebe das Boxen. Man kann heute nicht mehr sagen, was alles anders geworden wäre, hätte ich Bowe kaputtgemacht. Was soll's! Willst du wirklich nicht schnell eine Runde sparren?“

Steckbrief

1957
Biko Botowamungo wurde am 22. Jänner in Kisangani, seit 1977 DR Kongo, geboren.

1978
kam er nach Wien, 1988 boxte er bei Olympia und unterlag Riddick Bowe.

2000
wurde er Prediger.

2016
Botowamungo lebt in Floridsdorf. Er hat sieben Kinder von zwei Frauen.
Fabry

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2016)

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