100-Meter-Analyse: Zugmaschine einer Millionenshow

Schon ein gewohntes Bild: Auch in Rio durfte Usain Bolt seine Siegerpose zum Besten geben.
Schon ein gewohntes Bild: Auch in Rio durfte Usain Bolt seine Siegerpose zum Besten geben. (c) APA/AFP/OLIVIER MORIN (OLIVIER MORIN)
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Usain Bolt, 29, bleibt der Entertainer, den die Leichtathletik so dringend braucht. Er hat keine Gegner – und stiehlt dann auch Weltrekordlern die Show.

Rio de Janeiro. Wettete man auf Usain Bolt Geld, die Quote wäre miserabel. Läuft der Amerikaner Justin Gatlin mit, pendelt sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Jamaikaner siegt, bei 90 Prozent ein. Das mag für Beobachter einen monotonen Trend herleiten, für die Leichtathletik ist das seit mehr als acht Jahren der Status quo.

Bolt, 29, kann sich nur selbst schlagen, etwa mit einem Fehlstart wie bei der WM 2011 in Osaka. Kommt er aus dem Startblock ins Laufen und setzen sich die physikalischen Kräfte – Größe, Gewicht, Fallgeschwindigkeit, Schrittweite etc. – einmal in Bewegung, gibt es an dem 1,95 Meter großen Sprinter kein Vorbeikommen mehr. Das erlebten auch 80.000 Zuschauer in Rio de Janeiro, Bolt siegte in 9,81 Sekunden. Das ist keineswegs schlecht, allerdings auch nicht überragend gut, und dennoch geschichtsträchtig. Bolt ist der erste Sprinter, der dreimal in Serie die 100-Meter-Krone erobern konnte. 2008, 2012, 2016 – er ist die Autorität im Sprintbereich.

Start der Abschiedstour

Es war der Anfang seiner olympischen Abschiedsshow, die noch über die 200 Meter am Donnerstag und die 4x100 Meter mit der Staffel am Freitag führen wird. Dann wird der Jamaikaner abtreten, als Triple-Triple-Champion. Seiner Mutter ist das nur recht, sie sagt: „Ich würde mir jetzt nur noch für ihn wünschen, dass er sesshaft wird und eine Familie gründet.“

Ob nun 41 Schritte auf 100 Metern, Maximalgeschwindigkeit von knapp 45 km/h, die auf Jamaika genetisch bedingten langfasrigen Muskeln, einzigartiges Geschick oder doch – es gilt die Unschuldsvermutung – die Zuhilfenahme anderer Mittel, der Jamaikaner zeigt seit Jahren sein Programm. Wenngleich das auf den zweiten Blick an alternde Rocker erinnert, die an ihrer Show keine einzige Strophe mehr ändern, damit Stillstand und trotzdem Kult vermitteln, läuft Bolt aber unermüdlich weiter.

Egal, ob die Saison grottenschlecht, er verletzt oder desinteressiert war: Kommt das Großereignis, ist er allen überlegen. Er läuft, schier mühelos, schaut nach links oder rechts, auch die Geschwindigkeit variiert er. Er macht nicht mehr, als nötig ist. Und, er hat gelernt im Lauf der Jahre: Man nimmt nicht zehn Meter vor der Ziellinie das Tempo raus und klopft sich wie King Kong auf die Brust. Das mutet nicht nur überheblich an, es ruft auch Gegner auf den Plan. Zudem, die Konkurrenz hat aufgeholt, ja. Und doch fehlen ihnen Welten auf den Sprinter, der seine Erfolge immer mit der Blitz-Pose feiert.

Es sind Muster, die im Sport von Michael Schumacher oder Lance Armstrong bekannt waren, sich aber nebst all der Bewunderung den Makel gefallen lassen mussten, weder neu noch überraschend zu sein. Seriensieger sind keinesfalls allerorts beliebt, sie offenbaren die Schwächen anderer. Sie überstrahlen alles, selbst Fabelweltrekorde wie den des Südafrikaners Wayde van Niekerk.

250.000 Euro pro Start

Bis auf Ex-Doper Gatlin ist seit über acht Jahren kein Sprinter unterwegs, der Bolt auch nur annähernd fordern, geschweige denn überholen konnte. Aus sportlicher Sicht ist es keineswegs von Belang, ob die Eltern nun Gemischtwarenhändler waren oder er dank des Geschicks seines Managers Ricky Simms pro Start 250.000 Euro einstreift und 2015 32,5 Millionen Euro an Werbegeldern verdiente. Was zählt, sind die Zeiten – und mit denen hat Bolt geglänzt (9,58; 2009), zuletzt jedoch inflationär gespielt. Er konnte es sich aber getrost leisten.

Bolt wird von der Olympiabühne abtreten, ebenso Schwimmstar Michael Phelps, und nun suchen die Olympier ihr neues Zugpferd. Und plötzlich war er das, ein neuer Held: Der Südafrikaner Wayde van Niekerk, Weltmeister von Peking 2015, lieferte in 43,03 Sekunden einen 400-Meter-Weltrekord ab, der die Beachtung einnahm, die sonst Bolt zuteil wird, aber im Wirbel der 100-Meter-Finales vollkommen unterging.

Ein 24-jähriger Marketingstudent von der Universität Bloemfontein löschte damit die Bestmarke der US-Legende Michael Johnson, die mit 43,18 Sekunden seit der WM 1999 in Sevilla Bestand hatte. Ungewöhnlich. Die Werbetrommel läuft, die hoch dotierte Diamond League ruft. Eventuell mit einem Duell gegen Bolt, die Distanz wäre egal. Hauptsache, die Summe stimmt.

DAS DUELL BOLT – GATLIN

Neunmal traten Usain Bolt und Justin Gatlin bislang über 100 Meter gegeneinander an. Der Jamaikaner führt in diesem Vergleich mit 8:1-Siegen.

2008 siegte Bolt in 9,69 Sekunden (Olympia-Rekord), 2012 in 9,63. Auch bei den WM-Finalen 2013 in Moskau (9,77) und Peking (9,79) siegte er.

Seit dem 100-Meter-Finale bei der WM 2011 in Daegu (Fehlstart-Disqualifikation) ist er bei Großereignissen unbesiegt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2016)

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