Spielraum

Liebesgrüße aus Moskau: Bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft läuft nicht alles rund. Unter Athleten sind politische Auseinandersetzungen entstanden, die höchsten Sportfunktionäre aber hören lieber weg.

ein steilpass
in die tiefe des sports

Diepresse.com/Sport

Sie wird in ihrer Heimat verehrt, sie ist erfolgreich, sie ist ein echtes Aushängeschild. Jelena Isinbajewa ist die Frau, die sich immer wieder zu neuen Höhenflügen aufschwingt, sie ist goldbehangen. Auch bei der Heim-Weltmeisterschaft in Moskau hat sie das gemacht, was man von ihr erwartet hat. Die Russin hat Gold im Stabhochsprung geholt, das hat auch Wladimir Putin erfreut. Er war es schließlich, der Isinbajewa dazu überredet hat, die Gedanken an ein Karriereende wieder beiseitezuschieben. Aber die beste Stabhochspringerin der Welt ist nicht nur eine Athletin der besonderen Art, in ihr steckt auch ein braver Parteisoldat. Sie soll Putin nahestehen, sie ist eine Art Gehilfin von ihm. Und Isinbajewa hat dieser Tage auch nicht davor zurückgeschreckt, die WM als große Bühne zu missbrauchen. Als Bühne, um Partei zu ergreifen. Sport und Politik, das ist eben in Russland nicht zu trennen. Die Weltmeisterin hat sich jedenfalls für das umstrittene Schwulengesetz ausgesprochen. Das wiederum hat eine Welle der Empörung ausgelöst. Nach massiven Protesten ruderte Isinbajewa zurück, sie wurde einfach missverstanden.

Das Ende Juni erlassene Gesetz stellt Informationen an Minderjährige über Homosexualität unter Strafe. Auch öffentliche gleichgeschlechtliche Liebesbekundungen können seitdem in Russland geahndet werden. Das sorgt nicht nur für viel Kritik, sondern es wurde sogar laut über Sanktionen diskutiert. Eine Variante: Boykott der Olympischen Winterspiele in Sotschi. Dazu wird es nicht kommen. Aber Jelena Isinbajewa hat nun in Moskau erneut Öl in die ganze Sache gegossen. „Wir haben unsere Gesetze“, hat sie gesagt, „die jeder respektieren muss.“ Und sie sei gegen ein Zurschaustellen in der Öffentlichkeit. „Denn wir alle, tief in uns, sind dagegen.“ Schließlich sei sie Russin. „Vielleicht sind wir anders als Europäer, als Menschen aus anderen Ländern.“

Der 31-Jährigen ist erst später bewusst geworden, was sie da bei der Leichtathletik-WM von sich gegeben hat. Auf der einen Seite ist sie offenbar Putin („Es geht um Kinderschutz“) im Wort. Auf der anderen Seite ist sie vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) zu einer der Botschafterinnen der olympischen Jugendspiele bestimmt worden. Also folgten Ausreden, sie berief sich darauf, dass Englisch eben nicht ihre Muttersprache sei. Aber die Russin ist weit gereist, ein sprachliches Problem ist eigentlich nicht bekannt. Wie zum Trotz widmete in diesem Zusammenhang der US-Amerikaner Nick Symmonds, der über 800 Meter Silber gewonnen hat, sein Edelmetall schwulen und lesbischen Freunden. Auf einen Aufkleber in Regenbogenfarben hat er dann doch verzichtet. „Es wurde angedeutet, dass – wenn ich zu weit ginge – die ernste Gefahr besteht, dass ich ins Gefängnis komme.“ Andere Athletinnen haben ihre Fingernägel in Regenbogenfarben lackiert. Diese Aktion hat Jelena Isinbajewa als respektlos bezeichnet.

Das IOC und der Internationale Fußballverband (Fifa) können nach ihren Verfassungen Diskriminierungen nicht dulden. In der Olympischen Charta heißt es übrigens: „Die Ausübung von Sport ist ein Menschenrecht.“ Aber es ist ja nichts Neues, dass Sportgroßveranstaltungen dort stattfinden, wo Menschenrechte tagtäglich missachtet werden. Die Chef-Olympier und Fußball-Bosse hören und schauen dann sicherheitshalber gern einmal weg.

wolfgang.wiederstein@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2013)

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