„Rastaman“ mit blühender Fantasie

Brown of Germany celebrates a point during his match against Nadal of Spain at the Wimbledon Tennis Championships in London
Brown of Germany celebrates a point during his match against Nadal of Spain at the Wimbledon Tennis Championships in London(c) REUTERS
  • Drucken

Mit dem Sieg über Rafael Nadal auf dem Centre Court von Wimbledon erlebte der exzentrische Deutsch-Jamaikaner Dustin Brown „den wahrscheinlich besten Tag“ seines Lebens.

London. Mit einem Superman-T-Shirt in den deutschen Nationalfarben betrat Dustin Brown Donnerstagabend den schicken Pressekonferenz-Raum des All England Lawn Tennis and Croquet Club. Irgendwie passend, mochte man meinen, nachdem Brown zuvor wie ein wahrer Superheld auf dem Centre Court agiert hatte. Mit 7:5, 3:6, 6:4, 6:4 entzauberte Brown in der zweiten Runde den zweimaligen Wimbledon-Champion Rafael Nadal, der Spanier war mit der unorthodoxen wie spektakulären Spielweise seines Gegenübers überfordert.

Dustin Brown ist kein gewöhnlicher Tennisspieler, nicht auf und auch nicht abseits des Platzes. Bei der Auswahl seiner Schläge scheinen der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Überspitzt formuliert: Brown spielt, was ihm gerade in den Sinn kommt. Der Auftritt des 30-Jährigen mit jamaikanischen Wurzeln erinnerte an längst vergessene Tage an der Londoner Church Road. Brown praktizierte konsequent Serve and Volley, stürmte bei jeder Gelegenheit ans Netz, seine Volleys spielt er mit viel Gefühl. Brown, der Showman, lässt in Wimbledon Altstars wie Goran Ivanišević oder Boris Becker hochleben, sie praktizierten noch das klassische, offensiv ausgerichtete Rasentennis.

Weitere Vergleiche mit den Altmeistern sind nicht angebracht, Brown ist ein anderer, ganz eigener Typ. Die langen Dreadlocks sind sein Markenzeichen, sein Spitzname „Dreddy“. Im Umgang mit Kollegen ist Brown stets locker, ja lässig. „Er ist anders als 99 Prozent der anderen Profis“, sagt Andreas Haider-Maurer, der mit dem exzentrischen Rechtshänder schon einige Male ein Doppel bildete.

Während Federer, Ðoković und Co. in der Vorbereitung auf große Turniere nichts dem Zufall überlassen, beschreitet Brown gern andere Wege. „Es kommt schon vor, dass er einige Tage vor einem Turnier gar keinen Schläger in die Hand nimmt. Er macht sich eben relativ wenige Gedanken“, berichtet Haider-Maurer, der auch den Vollprofi Brown kennt. „Wenn er auf dem Platz steht, strahlt er Präsenz aus. Er ist mental ungemein stark.“ Der Sieg gegen Nadal hatte den Niederösterreicher nicht sonderlich überrascht. „Das soll nicht seltsam klingen, aber Nadals Spiel kommt Brown entgegen. Dustin lässt dir auf Rasen von Anfang an keinen Rhythmus.“

Ein Wohnmobil für alle Fälle

Tatsächlich war ein Sieg Browns vorab keineswegs unrealistisch. Der Deutsche hatte den 14-fachen Grand-Slam-Sieger auf demselben Untergrund schon vor einem Jahr in Halle besiegt, nun erlebte er in London ein Déjà-vu. „Ich hatte absolut nichts zu verlieren“, meinte Brown und grinste glückselig in die auf ihn gerichtete Kamera. Sein erster Auftritt auf dem wohl berühmtesten Court der Welt wird ihm ewig in Erinnerung bleiben. „Das war wahrscheinlich der beste Tag meines Lebens.“

Mit dem Sieg über den sich weiterhin in der Krise befindenden Nadal („Ich muss härter denn je trainieren“) interessierten sich plötzlich alle für die Geschichte des Underdogs. So erzählte er nochmals von den beschwerlichen Jahren, als er sich im Niemandsland der Weltrangliste befand, ihn Geldsorgen auf der Reise um die Welt begleiteten. Mit einem von den Eltern finanzierten Wohnmobil tingelte er in Europa von Turnier zu Turnier. „Ich konnte damit viel Geld sparen, gratis schlafen und kostengünstig kochen“, erzählte er der „Presse“ in Wimbledon 2013. Für seine Kontrahenten bespannte er Schläger, er verdiente damit jeweils fünf Euro.

Der große Durchbruch ist Dustin Brown zwar bis heute nicht gelungen, das Wohnmobil hat er vor einigen Jahren dennoch gegen gewöhnliche Linienflüge getauscht. Heute trifft er in der dritten Runde auf den Serben Viktor Troicki, Brown bleibt Außenseiter. „Ich kann Nadal schlagen, aber auch ganz schrecklich spielen.“

WIMBLEDON ERGEBNISSE

Herren, 3. Runde: Wawrinka (SUI/4) - Verdasco (ESP) 6:4, 6:3, 6:4. Goffin (BEL/16) - Baghdatis (CYP) 6:3, 6:3, 6:2. Gasquet (FRA/21) - Dimitrov (BUL/11) 6:3, 6:4, 6:4. Kyrgios (AUS/26) - Raonic (CAN/7) 5:7, 7:5, 7:6, 6:3. Doppel, 2. Runde: Rojer/Tecau (NED/ROU) - Knowle/Begemann (AUT/GER) 1:6, 3:6, 6:4, 6:2, 15:13.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Tennis

Federer fordert Djokovic im Wimbledon-Finale

Novak Djokovic besiegte Richard Gasquet souverän in drei Sätzen. Roger Federer hielt sich gegen Andy Murray ebenfalls schadlos.
Garbine Muguruza of Spain serves during a practice session at the Wimbledon Tennis Championships in London
Tennis

Muguruza: Krönung eines märchenhaften Laufs

Die 21-jährige Spanierin Garbine Muguruza fordert im Finale von Wimbledon Serena Williams. Die Beste der Branche erinnert sich nur allzu gut an die Newcomerin.
Garbine Muguruza
Tennis

Wimbledon: Muguruza in erstem Major-Finale gegen Williams

Die Spanierin Garbine Mugurza bezwang im Halbfinale Agnieszka Radwanska, Serena Williams besiegte Maria Scharapowa.
Tennis

Tennis: „Wimbledon ist unverwechselbar“

Das Grand-Slam-Turnier in London schwört auf Tradition und weiße Kleidung, hält allerdings sehr wenig von großflächig präsentierten Sponsoren und will tunlichst nicht weiter wachsen, wie Geschäftsführer Richard Lewis stolz erklärt.
Richard Gasquet of France falls to the floor after winning his match against Stan Wawrinka of Switzerland at the Wimbledon Tennis Championships in London
Tennis

Wimbledon: Gasquet besiegt überraschend Wawrinka

Mit Djokovic, Federer und Murray zogen Nummer eins bis drei des Turniers ins Halbfinale ein. Nur Wawrinka nahm die Semifinal-Hürde nicht.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.