Boris Becker: Wimbledon ist und bleibt sein "Wohnzimmer"

Boris Becker Deutschland mit dem beruehmten und nach ihm benannten Beckerhecht
Boris Becker Deutschland mit dem beruehmten und nach ihm benannten Beckerhechtimago/Sven Simon
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Vor 30 Jahren eroberte ein rothaariger Teenager die Tenniswelt, Boris Becker siegte erstmals in Wimbledon. Rolle, Hecht und Faust waren Inbegriff einer Sportart, die er in Deutschland populär machte.

Mondlandung, Becker-Rolle, Erdbeben, Märchen, Wunderkind – als am 7. Juli 1985 ein erst 17-jähriger Deutscher in Wimbledon triumphierte, wollte man anfangs weder Ohren noch Augen trauen. Boris Becker, ein Bub mit rotem Pagenschnitt, Sommersprossen, extrem hartem Aufschlag und grandiosen Volleys hatte es allen gezeigt. Als Becker um 17.26 Uhr Ortszeit den Matchball gegen den Südafrikaner Kevin Curren über das Netz hämmerte, veränderte er die Sportwelt. Deutschland hatte fortan nicht nur Fußballer, die gefeiert werden konnten, sondern auch einen Tennisstar.

Becker siegte als erster Deutscher. als jüngster Spieler bis dato, diesen Rekord hält der mittlerweile 47-Jährige weiterhin. Becker ist längst kein Spieler mehr, er ist nun als erfolgreicher Trainer von Novak Djoković in der Szene unterwegs. Er ist Berater, trat als Daviscup-Captain oder Testimonial für Pokern in Erscheinung, er ist weiterhin ein Werbestar. Manchmal nahbar, wenn es Zeit und Laune erlauben, manchmal aber auch arrogant und keineswegs gewillt, Wortspenden abzugeben, obwohl er für Bezahlsender Sky als Experte in London auftreten sollte. Sein Leben wird nun sogar verfilmt, mit allen Höhen und Tiefen.


Drei Siege, vier Niederlagen. Für die Ereignisse, die sich 1985 in Wimbledon abgespielt haben, fehlen vielen auch heute noch die Worte. Diese Energie, diese unverfrorene Spielweise in Kombination mit fehlender Angst oder dem oft überbewerteten Respekt vor großen Namen; Becker war die Erscheinung. „Es ist ein unglaubliches Erlebnis gewesen, ein sehr einschneidendes Erlebnis“, sagte Becker in einer SWR-Dokumentation unlängst. Das „Wunder von Wimbledon“ habe sein Leben verändert, dem deutschen Tennis eine Initialzündung gegeben und die (damals noch internetlose) Medienlandschaft ungemein befeuert. Becker ist heute noch weltweit bekannt, und wenn er in diesen Tagen durch den All England Club läuft, wird er überall erkannt.

Wimbledon, der Center Court, das ist sein „Wohnzimmer“, sagte Becker später plakativ und als begeisterter Fan war man geneigt, es ihm zu glauben. Er hatte hier alle dominiert, große Siege gefeiert, aber auch bittere Niederlagen kassiert. Hier zeigte er seine Becker-Rolle, einen eingesprungenen Volley, der Gegnern den letzten Nerv zog und Zuschauer von den Sesseln riss. Der Deutsche sollte dreimal in Wimbledon siegen. 1985, 1986 (gegen Ivan Lendl) und 1989 (gegen Stefan Edberg) zeigte der im deutschen Boulevard gefeierte Star seine Becker-Faust. Weil er auch vier Endspiele in Wimbledon verlor – 1988 und 1990 (Edberg), 1991 (Michael Stich) und 1995 (Pete Sampras) – wurde er umso beliebter. Seriensieger werden im Spitzensport angefeindet, Verlierer mitunter populärer und mit ihnen ihre Lebensgeschichten. Seine Ehen und Affären füllten letztlich jahrelang die Klatschspalten.

Becker gewann in seiner Karriere 49 Turniere und sechs Grand Slams. Schnelle und variable Aufschläge, das stoische Aufpeppeln der Bälle vor dem Service, seine Verrenkungen dabei; unfassbare harte Vorhandschläge („Bumm-Bumm-Boris“, copyright „Bild“-Zeitung), auf Rasen und hartem Terrain war er unschlagbar. Nur auf Sand, da ging nichts. Nur einmal, in Monte Carlo 1995, war der Deutsche knapp dran, scheiterte aber mit einem unfassbaren Doppelfehler (2. Aufschlag 205 km/h) beim Matchball. „Das war gegen meinen Freund Thomas Muster. Mittlerweile Freund, früher waren wir Gegner, das kann ich jetzt ja offen sagen“, sagte Becker 2010 in einem „Presse“-Interview.

Aber welche Emotionen keimen auf, beim Blick zurück? 30 Jahre sind im Nu verflogen, wer Kindern beim Aufwachsen zusieht, weiß das. „Aber dass wir 30 Jahre später noch darüber sprechen, damit hätte ich damals am allerwenigsten gerechnet“, sagte er der „Bild“. Auf große Feiern wurde verzichtet, er sei kein Nostalgiker, zudem war Djoković noch im Einsatz. Sein Rekord werde irgendwann auch gebrochen werden und überhaupt, hätte er es sich aussuchen könne, hätte er viel lieber erst 1988 erstmals gewonnen. Die Frage nach dem Warum ist schnell beantwortet: Weil damals ganz Deutschland plötzlich in der Kleinstadt Leimen aufgetaucht ist. Jeder wollte Becker sehen, kennen, ihn beim Training beobachten. Nach diesem Erfolg war alles anders.

Mit 20, sagt er, hätte er noch drei Jahre länger Zeit gehabt, sich auf diesen Ansturm halbwegs vorzubereiten. Drei Jahre, um seine Ausbildung abzuschließen. Drei Jahre, um weiter nur ein unbekümmerter Teenager statt ein landesweit gepriesenes Wunderkind zu sein. Ein Kind, das einfach nur liebend gern Tennis spielt.

Das sei die Kehrseite des Erfolges, all des Ruhmes und des Geldes. Die Anonymität ist vorbei, dieser angenehme Umstand verschwunden. Plötzlich sei man ein Held, müsse Vorbild für alles und jeden sein. Ein Gewinner, obwohl man auch das Verlieren erst lernen muss; sowohl auf als auch abseits des Platzes. Politiker, Sponsoren, Reporter, alle streckten ihm permanent die Hände entgegen. Er musste immer lächeln, gute Miene machen – jetzt genieße er dafür den Luxus der Gegenwart. Jetzt folgt er ausschließlich seinem Willen.

Becker sagte der Deutschen Presse Agentur: „Man spürt, dass man etwas geschafft hat, was nicht normal ist. Ich bin damals vom Center Court gekommen und Menschen, die mich dreieinhalb Stunden vorher noch relativ normal angeschaut haben, starrten mich plötzlich an. Wie so ein Wunder aus einer anderen Welt..“

Steckbrief

1967
Boris Becker wird am 22. November in Leimen geboren. Der Tennisprofi gewann 49 Turniere im Einzel – sechs Grand Slams, davon dreimal in Wimbledon.

1999
trat die deutsche Tennis-Ikone zurück; sechs Wochen vor Steffi Graf.

2013
kehrt Becker zurück – als neuer Trainer von Novak Djoković.

2014
gewann der Serbe erstmals in London

1985, Beckers Triumphmarsch
1. Runde: Pfister (USA) 4:6, 6:3, 6:2, 6:4.

2. Runde: Anger (USA) 6:0, 6:1, 6:3

3. Runde: Nyström (SWE) 3:6, 7:6, 6:1, 4:6, 9:7.

Achtelfinale: Mayotte (USA) 6:3, 4:6, 6:7, 7:6, 6:2.

Viertelfinale: Leconte (FRA) 7:6, 3:6, 6:3, 6:4

Halbfinale: Jarryd (SWE) 2:6, 7:6, 6:3, 6:3

Finale: Curren (SA) 6:3, 6:7, 7:6, 6:4.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2015)

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