Ski alpin: Ein Glanzlicht im „dichten Nebel“

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Marcel Hirscher kämpfte sich in Schladming nach dem Brillenpech eindrucksvoll zurück. Das Duell um den „depperten Glasbecher“ mit Slalomkönig Henrik Kristoffersen spitzt sich zu.

Schladming/Wien. Marcel Hirscher hat in diesem Winter nicht nur mit harter Konkurrenz zu kämpfen. Ski-Diebstahl in Alta Badia, Drohnenabsturz in Madonna, Stockbruch in Kitzbühel – und nun der Brillenfauxpas in Schladming. Ein falsch eingesetztes Glas trübte dem Salzburger im ersten Durchgang des Nightrace die Sicht, doch mit einem entfesselten zweiten Lauf katapultierte er sich vom 22. noch auf den zweiten Rang hinter Henrik Kristoffersen. „Ich weiß nicht, woran es liegt. Ich gehe immer in die Kirche und esse brav auf“, scherzte Hirscher. „Momentan ist es nicht einfach, aber ich versuche die Herausforderung zu meistern.“

Wie eine Fahrt durch dichten Nebel beschrieb Hirscher den ersten Lauf mit beschlagener Brille. „Bis zur ersten Zwischenzeit war es normal. Dann ist es immer mehr geworden, und unten habe ich mir gedacht: ,Ich finde das Tor nicht.‘ Ich habe nur gehofft, irgendwie herunterzukommen“, erzählte der 26-Jährige, der trotz 2,59 Sekunden Rückstand schnellster Österreicher war. Die Brille während der Fahrt abzusetzen ist angesichts der strengen Justierung schwierig. „Außerdem habe ich Stöcke in der Hand.“

Dicht wie eine Taucherbrille

Zum Verhängnis wurde Hirscher ein altes einglasiges Brillenmodell, für das er sich aufgrund des Flutlichts und der warmen Bedingungen entschieden hatte. Dessen Glas ist nicht starr gewölbt, der verkehrte Einsatz – mit beschichteter Seite nach innen – möglich. „Fehler passieren“, meinte Hirscher, der die Brille erst kurz vor dem Signal aufsetzte. „Ich schwitze wie ein Depp am Start“, erklärte der Salzburger. Wegen der Luftempfindlichkeit seiner gelaserten Augen verwendet er zudem eine komplette Abklebung. „Das ist wie eine Taucherbrille. Wenn ich dann eine heiße, feuchte Stirn habe, ist es grenzwertig.“

Das Vertrauen in das Serviceteam ist groß, eine eigene Überprüfung der Brille daher nicht Teil des Standardprozederes. „Ich kontrolliere das nie. 170-mal ist es gut gegangen, dieses eine Mal nicht“, meinte Hirscher. Ihm sei zwar am Start aufgefallen, dass die Brille angelaufen ist, doch „normalerweise wird das während der Fahrt besser“.

Mit der Wut im Bauch und einer doppelglasigen Skibrille legte Hirscher dann im zweiten Durchgang einen regelrechten Husarenritt hin – mit ihm jubelte allen voran wohl auch der betroffene Servicemann. „Das hätte ich mir nie gedacht, ein unglaublicher Ausgang“, sagte Hirscher. „Dass die Piste so nachlässt, war für die anderen Pech, aber mein Glück.“ Vielleicht wäre sogar noch mehr möglich gewesen, hätte er im unteren Teil nicht das Tempo gedrosselt. „Da habe ich etwas taktiert.“

„Jedes Rennen fast ein Finale“

Die Krönung der imposanten Aufholjagd verhinderte einmal mehr nur Slalomdominator Kristoffersen. Zum fünften Mal landete Hirscher hinter dem Norweger auf Rang zwei, dieses Mal überwog jedoch die Freude. „Die größte Emotion ist Dankbarkeit“, betonte der Weltcup-Titelverteidiger auch im Hinblick auf den Kampf um die große Kristallkugel. „Natürlich denkt man an den depperten Glasbecher. Jedes Rennen ist fast ein Finale.“ In Schladming hat Hirscher wieder die Gesamtführung vom verletzten Aksel Lund Svindal übernommen, dahinter lauert jedoch Kristoffersen mit nur noch 98 Punkten Rückstand. Das Duell findet am Sonntag in Garmisch im Riesentorlauf seine Fortsetzung.

Für Kristoffersen war der Triumph in Schladming etwas Besonderes: Hier hat er 2014 seinen ersten Weltcupsieg gefeiert, seit Kurzem wohnt er unweit in Ramsau. „Das ist wie meine Heimat“, meinte der 21-Jährige, der als Erster seit Benjamin Raich das Klassiker-Triple aus Wengen, Kitzbühel und Schladming gewann. „Es hat zwar ausgeschaut, als könnte ich mehr Punkte auf Marcel gutmachen, aber Sieg ist Sieg“, sagte er und zollte dem Rivalen Respekt. „Chapeau. Er war oben unglaublich schnell.“

Der Slalomzweikampf dürfte damit entschieden sein: Kristoffersen geht mit 180 Punkten Vorsprung in die letzten drei Rennen, bislang war heuer ein zweiter Platz sein schlechtestes Resultat.

AUF EINEN BLICK

Marcel Hirscher fuhr im zweiten Lauf des Nightrace in Schladming vom 22. auf den zweiten Rang. Der Sieg ging mit 0,61 Sekunden Vorsprung an Henrik Kristoffersen, Dritter wurde der Russe Alexander Choroschilow (+0,77).

Bis zu 1,671 Millionen Menschenverfolgten den zweiten Durchgang im ORF. Erstmals überhaupt sahen jeweils mehr als eine Million Zuschauer beide Läufe, der Schnitt lag bei 1,011 Millionen und 54 Prozent Marktanteil.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2016)

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