Gegen die Geister der Legenden

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Endlich einmal die French Open gewinnen: Novak Djoković wird alles daran setzen, in Paris jene Grand-Slam-Lücke zu schließen, an der schon so viele gescheitert sind.

Mit minutenlangem Applaus und Standing Ovations bedachten die 15.000 Zuschauer am Court Philippe Chatrier den unterlegenen Novak Djoković. Die Nummer eins der Welt hatte gerade das Finale der French Open 2015 gegen Stan Wawrinka verloren – wieder wurde nichts aus dem Triumph in Paris, dem einzigen Grand-Slam-Titel, der dem Tennis-Dominator der vergangenen Jahre noch fehlt.

Djoković nimmt seinen zwölften Anlauf auf den Titel. Es gilt zu verhindern, als einer jener Spieler in die Geschichte einzugehen, deren große Karrieren in Roland Garros unvollendet blieben. So, wie es schon seinem Coach widerfuhr. Boris Becker triumphierte in Melbourne, Wimbledon und New York, einzig in Paris kam er nie über das Halbfinale (1987, 1989, 1991) hinaus. Pete Sampras brachte es von 1990 bis 2002 auf 14 Major-Titel, sein bestes French-Open-Resultat aber war ein Semifinale (1996). Selbst für Rekordmann Jimmy Connors, er gewann 109 Turniere, war am Bois de Bolougne spätestens im Halbfinale Endstation (1979, 1980, 1984, 1985). Stefan Edbergs bestes Paris-Ergebnis war der Finaleinzug (1989), alle anderen Majors gewann er je zweimal. Auch John McEnroe, Bill Tilden und John Newcombe fehlt dieser eine Grand-Slam-Titel.

Dasselbe Schicksal drohte weiteren Superstars. Andre Agassi hatte 1995 alle Major-Titel mit Ausnahme der French Open beisammen. Erst mit einem Kraftakt im Jahr 1999, als 13. der Setzliste, überwand er den Fluch von Paris. Selbst der erfolgreichste Tennisspieler der Geschichte musste sich lange gedulden. Roger Federer gewann 2004, 2006 und 2007 jeweils die Australian Open, Wimbledon und die US Open, lediglich sein Aus in Paris verhinderte den Grand Slam, den Gewinn aller vier Majors innerhalb eines Kalenderjahres. 2009 komplettierte Federer mit seinem Titel an der Seine zumindest den Karriere-Grand-Slam.

Wie Federer vor seinem bisher einzigen Paris-Triumph stand auch Djoković schon dreimal erfolglos (2012, 2014, 2015) im Endspiel. Kein Profi hat bei den French Open eine bessere Bilanz (48:11), ohne den Titel gewonnen zu haben. Heute feiert der Serbe seinen 29. Geburtstag, allmählich läuft ihm die Zeit davon. Der letzte fehlende Major-Titel ist auch zum mentalen Prüfstein geworden, die Konkurrenz weiß, wie sehr er sich danach sehnt.


Mit vereinten Kräften. Während für Sampras, Becker und Co. der ungeliebte Sandbelag die größte Hürde darstellte, ist für die Paris-Durststrecke von Djoković vor allem Rafael Nadal verantwortlich. Sechsmal scheiterte er am Rekordchampion (neun Titel), darunter 2012 und 2014 im Endspiel. Erst im Vorjahr durchbrach er dessen Dominanz mit seinem Sieg im Viertelfinale.

Doch nach seinem Krisenjahr 2015 kehrt bei Nadal, dem besten Sandplatzspieler der Geschichte, das Selbstvertrauen zurück. 19 Partien hat Nadal heuer auf seinem Lieblingsbelag gewonnen, mehr als jeder andere Profi. Mit seinen jeweils neunten Turniersiegen in Barcelona und Monte Carlo hat er Guillermo Vilas' Rekord von 49 Titeln auf Sand eingestellt. Zuletzt lieferte er Djoković in Rom ein hochklassiges Viertelfinal-Duell, erkämpfte sich sogar Satzbälle. Am Ende fehlte ihm wohl nur etwas Glück.

Im Endspiel von Rom hat dann Andy Murray kurzen Prozess mit Djoković gemacht (6:3, 6:3). Der Brite stellte seine Sandbilanz auf 12:2, mit 85 Prozent gewonnener Partien ist Murray auch der beste Sandplatzspieler der Saison. Gezeichnet vom Duell mit Nadal und einem Drei-Stunden-Halbfinale gegen Kei Nishikori konnte Djoković der Nummer zwei der Welt in Rom kaum Paroli bieten, mit vereinten Kräften hatte ihn die Konkurrenz aufgerieben. Angeführt von Murray, dem im Vorjahr der Durchbruch auf Sand gelang, wird dieses Trio wohl auch in Paris ein gewichtiges Wort um den Titel mitreden.

Die überraschende Auftaktniederlage von Djoković im April in Monte Carlo gegen Jiři Veselý (ATP-59.) zeigt zudem, dass auch der Weltranglistenerste trotz einer Saisonbilanz von 37:3 (Sand 9:2) einen schlechten Tag erwischen kann. Um dem Branchenprimus in Paris in einem Best-of-five-Duell gefährlich zu werden, braucht es aber eine überragende Leistung wie sie Wawrinka im Endspiel des Vorjahres abgerufen hat. Doch der Titelverteidiger stapelt tief, sein Schweizer Landsmann Federer musste wegen Rückenproblemen überhaupt absagen. Wawrinkas Favoriten sind daher Djoković, Murray und Nadal. „Für mich sind sie Lichtjahre entfernt“, erklärte er. Allerdings fühle er sich „weitaus besser“ als vor seinem Meisterstück 2015. Am Ende nahm Wawrinka den Coupe des Mousquetaires mit nach Hause, Djoković blieben die Sympathiebekundungen des Publikums. Der Traum war wieder einmal geplatzt. Die Nummer eins vergoss Tränen der Rührung und versprach, es heuer wieder zu versuchen.

Steckbrief

Geboren am 22. Mai 1987 in Belgrad, Wohnort: Monte Carlo.

Größe/Gewicht:
1,88 m/78 kg.

Verheiratet mit Jelena Ristic. Sohn Stefan (geb. 2014).

Profi seit 2003, Rechtshänder, beidhändige Rückhand.

Weltrangliste: 1.

Erfolge:
elf Grand-Slam-Titel, 64 ATP-Turniersiege, Davis-Cup-Sieger (2010).

Karrierepreisgeld:
99.673.404 Dollar.

Coaches:
Marián Vajda (SVK), Boris Becker (GER), Fitness: Gebhard Gritsch (AUT).

100-millionen-schallmauer

Novak Djoković kann bei den French Open (22. Mai bis 5. Juni) einen weiteren Meilenstein seiner Karriere erreichen: Schafft er es in Paris bis in das Halbfinale, das heuer 500.000 Euro einbringt, dann knackt er als erster Tennisspieler der Geschichte die 100-Millionen-Dollar-Preisgeld-Grenze. Bisher hat der Weltranglistenerste 99.673.404 Dollar Karriere-Preisgeld verdient (alle Beträge brutto).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2016)

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