Hirscher: "Schlechter Witz und Wahnsinn"

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Nach Felix Neureuther äußert sich Marcel Hirscher kritisch über Sotschi, er empfindet Boykottforderungen für Sportler aber als befremdend. Statt Vorfreude verspürt er nun Unbehagen.

Wengen/Wien. Boykottdrohungen, Menschenrechtsprobleme, beängstigende Terroranschläge, unzählige Reise- und Gesundheitswarnungen – vor den Winterspielen in Sotschi kommt vielerorts kaum Vorfreude auf. Den Athleten wurde vom Internationalen Olympischen Komitee und den jeweiligen Verbänden nahegelegt, politische Äußerungen zu unterlassen. ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel formulierte es so: „Man darf Politik nicht auf dem Rücken der Sportler austragen. Ein Sportler will seinen Sport ausüben, gewinnen. Darauf soll er fokussiert sein.“

Mancher Star nimmt sich trotzdem kein Blatt vor den Mund und bezieht offen Stellung. Vor wenigen Tagen ließ Deutschlands bester Slalomfahrer Felix Neureuther mit einer mutigen Stellungnahme aufhorchen. Er sagte, dass er „mit gemischten Gefühlen“ nach Sotschi anreisen werde. „Mich berührt die Debatte um Menschenrechte in Russland – und ich kann mir nicht vorstellen, dass andere Sportler das einfach ausblenden können.“ Auch übte der Bayer heftige Kritik am IOC: Es entstehe der Eindruck, dass Olympia nur noch dort stattfinde, „wo am meisten bezahlt wird“.

Vor dem Weltcup-Wochenende in Wengen fand nun Marcel Hirscher, Neureuthers „Spezi“ und schärfster Konkurrent auf der Piste, die richtigen Worte, um seine Eindrücke und seine Gefühle über das nahende Großereignis zu schildern. Auch er verspüre ein gewisses Unbehagen, was die Winterspiele an der Schwarzmeerküste anbelangt. „Eigentlich sollte man mit Freude zu Olympia fahren“, stellt der Slalomweltmeister klar, „allein, dass ich mir aber Gedanken mache, ist traurig. Diese Unruhe im Vorfeld ist nicht gut.“

Neureuther prangerte das Diktat des Kommerzes an, für Hirscher ist Olympia trotzdem ein Fest für Sportler, Fans und Familien. Dass man nun nachdenken müsse, ob Freunde und Familie mitfliegen sollen, trübe dieses Bild ungemein. Zwei Anschläge, zuletzt mit 34 Toten in Wolgograd, hinterließen Spuren beim 24-Jährigen. Vorfreude auf ein Fest sieht anders aus.

Guantanamo in den Bergen

Sorgen um seine Sicherheit hat Hirscher aber nicht. 37.000 Soldaten und Geheimdienstler sind im Einsatz. Straßensperren und minutiöse Kontrollen bei jedem Stadioneingang sind gewiss, Kritiker bezeichnen Sotschi angesichts dieser Vorkehrungen als das „Guantanamo in den Bergen“. Strenge Sicherheitsvorkehrungen sind jedoch Usus bei Olympia. Besonders ärgerlich sind für Hirscher jedoch die Diskussionen über die Frage, ob die Sportler Olympia boykottieren sollten. „Es ist ja fast schon so, dass wir uns rechtfertigen müssen, dass wir da überhaupt hinfahren. Das halte ich für einen schlechten Witz und Wahnsinn.“

Wie Neureuther hinterfragt auch Hirscher die Vergabe und die dahinterstehenden Aspekte. Geld, Lobbying, Machtspiele, Umweltschäden, gigantische Bauten und Korruption werden in einem Atemzug genannt, wenn es darum geht, Sotschi auch nur ansatzweise zu beschreiben. Dass die Spiele in wenigen Tagen in seiner Heimat hätten stattfinden können – Salzburg unterlag in drei Anläufen ÖOC-intern Klagenfurt, dann Vancouver (2010) und Sotschi –, daran will Hirscher gar nicht denken. „Das wäre unglaublich gewesen.“ Angesichts dessen ist es wenig verwunderlich, dass Hirschers Vorfreude auf die Klassiker in Wengen, Kitzbühel und Schladming deutlich größer ist als jene auf Sotschi. „Diese Rennen sind Klassiker, jedes hat einen eigenen Charakter und Charme“, sagt Österreichs Skistar. Olympia kann vorerst warten, aber ab 7. Februar zählt nur noch Edelmetall. Der Start von Benjamin Raich in der Super-Kombination am Freitag in Wengen ist weiterhin ungewiss. „Es geht ihm schon viel besser. Wir betrachten die Situation aber von Tag zu Tag“, sagt Cheftrainer Mathias Berthold. Will Raich, der mit Rückenproblemen kämpft, in Sotschi in der Super-Kombination dabei sein, muss er in Wengen unbedingt fahren. Sonst wäre der Tiroler gemäß FIS-Reglement nicht startberechtigt. (dat)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2014)

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