Hannes Reichelt, 35, verbindet mit dem Hahnenkamm Schmerzen und Sieg. Florian Scheiber verletzte sich schwer.
Kitzbühel. Das Hotel Kitzhof, Mittwochabend. Der Rummel um Hannes Reichelt ist gewaltig. Er ist regelrecht umzingelt von Journalisten, Mikrofone und Aufnahmegeräte sind gezückt. Reichelt ist ein Vollprofi, nicht nur auf der Skipiste. Der Salzburger beantwortet geduldig sämtliche auf ihn einprasselnden Fragen. Sie drehen sich um Kitzbühel, die Streif, Ziele und das Duell mit dem Norweger Aksel Lund Svindal.
Reichelt kennt das Gefühl des Triumphs auf dem Hahnenkamm, vor zwei Jahren schlug hier seine große Stunde. Denkt er daran zurück, vermengen sich Emotionen. Der 35-Jährige hatte das härteste Abfahrtsrennen der Welt unter starken Rückenschmerzen in Angriff genommen, zwei Läufer vor ihm spekulierte er sogar noch damit, die Skier abzuschnallen und einen Rückzieher zu machen. Der Rest ist Streif-Geschichte: Reichelt gewann triumphal, zwei Tage später wurde ein schwerer Bandscheibenvorfall diagnostiziert, eine Operation war unausweichlich. Saisonende, Olympiatraum geplatzt.
„Wir sind unterbezahlt“
„Dass ich damals gestartet bin, war ein großes Risiko. Ich würde es heute nicht mehr tun, hatte riesiges Glück“, sagt Reichelt. Dass die Skination am Samstag erneut den Sieg von ihm erwartet, bringt ihn nicht aus dem mentalen Gleichgewicht. Das Wissen, auf der Streif schon einmal der Schnellste gewesen zu sein, beruhigt. „Ich habe die Goldene Gams schon zu Hause, auch eine Gondel. Nein, Druck verspüre ich keinen.“
Kitzbühel ist eine Gratwanderung der besonderen Sorte. Nirgendwo sonst ist der Respekt der Abfahrer vor den Tücken einer Strecke so groß. Mausefalle, Hausbergkante und Traverse sind legendär. „Um hier gewinnen zu können, musst du 100 Prozent geben. Gibst du 101 Prozent, kann das brutal bestraft werden.“ Die Streif hat oftmals ihre Zähne gezeigt, viele Läufer unschön abgeworfen. Dieses Jahr geht von der Traverse eine besondere Gefahr aus. Beim zweiten und letzten Training am Donnerstag kam dort Florian Scheiber zu Sturz, der 28-Jährige erlitt einen Riss des Kreuzbandes und Meniskus im rechten Knie.
Die Gefahr, weiß Hannes Reichelt, fährt immer mit. „Wir tragen großes Risiko“, sagt er und kritisiert zugleich die finanzielle Entschädigung dafür. Der Sieger erhält in Kitzbühel 70.300 Euro, der Zweite 30.950 Euro. „Wir sind unterbezahlt“, klagt Reichelt, zumindest 100.000 Euro für den Sieger wären angemessen. „Wir haben nicht viel mehr als Helm, Rückenschutz und ein paar Netze, fahren hier aber mit 140 km/h hinunter. Dieses Risiko gehört belohnt!“
Wie schon zuletzt in Wengen erwarten viele Beobachter auch diesmal ein Duell zwischen Reichelt und Svindal. Das ÖSV-Ass möchte davon nichts wissen, Reichelt sieht den Zweikampf medial konstruiert, denkt bei Sieganwärtern etwa auch an den Franzosen Adrien Theaux oder den Italiener Dominik Paris. „Er ist ein echter Kitzbühel-Experte.“
Österreichs Ski-Fans lechzen nach Siegen, bei Heimrennen werden Niederlagen besonders ungern hingenommen. Das Los eines Abfahrers im ÖSV-Rennanzug ist mitunter hart. Reichelt: „Die Fragen, wann wieder ein Österreicher gewinnt, nerven. Mit einem zweiten Platz wie von mir in Wengen ist man nicht mehr zufrieden.“
Ergebnis 2. Abfahrtstraining
1. Casse (ITA) 1:56,85 Min. 2. Innerhofer (ITA) 0,34 3. Kriechmayr (AUT) 1,03 4. Theaux (FRA) 1,07; 12. Reichelt 1,54. 15. Schweiger 1,63 26. J. Kröll 2,07 27. Baumann 2,18 29. K. Kröll 2,24 32. Streitberger 2,40.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2016)