Ski-WM: Wenn Millimeter auf der Ziellinie fehlen

ALPINE SKIING - FIS Ski WC St. Moritz
ALPINE SKIING - FIS Ski WC St. Moritz(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Andreas Pranter)
  • Drucken

Luca Aerni lässt die Schweiz in St. Moritz jubeln, der 23-Jährige gewann mit seinem ersten Sieg überhaupt Gold in der Kombination, Mauro Caviezel eroberte Bronze. Marcel Hirscher wurde Zweiter, auf Gold fehlten ihm 0,01 Sekunden.

St. Moritz. Eine Ski-WM hat eigene Gesetze, und Kombinationen krönen mitunter überraschende Weltmeister. Dass der 30. nach der Abfahrt zu Gold fährt, scheint in dieser Disziplin jedoch Schule zu machen. Marcel Hirscher schaffte das 2015 in Beaver Creek, 2017 startete er als Dritter in den Slalom – und verpasste den Sieg um 0,01 Sekunden. Gold gewann der Schweizer Außenseiter Luca Aerni, der als 30. mit 0,06 Sekunden Vorsprung überhaupt erst ins Finale gerutscht war. Dass hingegen Romed Baumann, Erster nach der Abfahrt und nur Zwölfter nach dem Slalom, leer ausging, dokumentiert die Unberechenbarkeit dieses Bewerbs.

Aerni ist die Überraschung dieser WM. Gold zu gewinnen in einem Bewerb, in dem ausnahmslos jeder Hirscher ganz oben auf dem Podest gesehen hat, sei eine „Super-Sensation“. Zumindest titelte so „Blick“-Online Sekunden nach Aernis Triumph. Er war Fünfter im Slalom auf dem Ganslernhang 2014 und in Madonna di Campiglio (2015), jetzt ist Luca Aerni der dritte Schweizer Weltmeister beim Event in St. Moritz.

Schlotterpartie und Märchen

Dass der 23-Jährige aus der Uhrmacher-Hochburg Le Locle im Kanton Neuenburg, der 2014 Junioren-Vizeweltmeister im Slalom geworden ist, bis dato keinen einzigen Podestplatz im Weltcup geschafft hat, umhüllt seinen WM-Auftritt endgültig mit wirklich märchenhaftem Flair. Er sagt: „Ich kann es nicht glauben! Ich habe einen wirklich guten Lauf gemacht – aber gerechnet damit habe ich nicht. Es war schon in der Abfahrt eine Schlotterpartie, weil ich am Ende nur sechs Hundertstel Vorsprung auf den 31. hatte. Gold für Beat Feuz hat mich motiviert.“

Diese gewisse Form der Ehrerbietung für arrivierte Fahrer oder Weltmeister ist für jüngere Teamkollegen ein zumeist gepflegter Umgang. Aerni aber wird schnell lernen müssen, dass er selbst nun fortan als Weltmeister unterwegs sein wird. Als Champion, der beim Heim-Event gewonnen hat. Das macht ihn auch bei den Eidgenossen geradezu „unsterblich“, bürdet ihm aber im Umkehrschluss auch zusätzliche, ungleich höhere Erwartungen auf. „Blick“-Online ließ sich nicht lange bitten: „Unfassbare Goldfahrt, und wie geht es jetzt weiter?“ Dass ein Eidgenosse, Mauro Caviezel, auch Bronze gewann, verwandelte diesen Tag in einen „Super-Montag“. An der Flut der WM-Medaillen haben auch zwei Österreicher Anteil: Herren-Abfahrtschef Sepp Brunner und Damenchef Hans Flatscher.

Silber statt Klomuschel

Mal gewinne man, mal verliere man, doch wer im Kampf um Gold mit 0,01 Sekunden das Nachsehen hat, dürfe durchaus an der Situation zweifeln. Obendrein, wenn es nicht zum ersten Mal passiere. „In dieser Saison rauben mir die Hundertstel den letzten Verstand“, sagte Hirscher trocken. Mitentscheidend sei aber vor allem die schnell ramponierte Slalom-Piste gewesen, Hirscher hatte zehn Sekunden vor der Slalom-Ziellinie noch 44 Hundertstel Vorsprung auf Aerni. Der Annaberger, 27, sagt: „Bei der letzten Haarnadel habe ich nicht mein Bestes gezeigt. Vom dem her ist es dann ruckzuck vorbei. Und, es ist letzten Endes ein Freiluftsport.“ Ähnliche Gedanken dürften auch Caviezel gekommen sein, er verpasste Gold um sechs und Hirscher um fünf Hundertstel.

Zudem, wer Marcel Hirscher noch vor ein paar Tagen gesehen hätte, wäre womöglich erschrocken. Er war erkrankt, ein grippaler Effekt war die Pein. Folglich sei es nicht weiter von Belang, diese Hundertstelsekunde weiter zu strapazieren. Man müsse sich über das Erreichte doch auch freuen können. „Vor zwei Tagen bin ich vor der Klomuschel gehängt und habe mir gedacht, was tue ich da überhaupt. Und jetzt habe ich diese Silbermedaille, ich bin also eigentlich ziemlich happy.“

Das ÖSV-Team hält nach sechs Bewerben bei einmal Gold sowie je zweimal Silber und Bronze. Bereits heute im Teambewerb (ab 12 Uhr, ORF 1) könnte die präsidiale Vorgabe von Peter Schröcksnadel („sechs bis acht Medaillen“) erfüllt werden. Am Start sind: Stephanie Brunner, Katharina Truppe und Ricarda Haaser sowie Michael Matt, Manuel Feller und Marcel Hirscher. Philipp Schörghofer (Gold 2015 ohne Renneinsatz) und Michael Kirchgasser sagten ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.